Bulgarien, Russland und die EU
6. Juli 2014Der Konflikt in der Ostukraine und die Annexion der Krim haben die bulgarische Gesellschaft tief gespalten. Die Bandbreite der Stimmungen reicht von Sympathie für die Russen bis zu Angst vor dem Machtstreben Putins. Durch Schrift, Religion und Geschichte verbunden, sind viele Bulgaren den Russen wohlgesonnen.
Gleichzeitig aber besteht die Befürchtung, Moskau könnte wieder versuchen, Bulgarien in seine geopolitische Machtsphäre zu ziehen. Das südosteuropäische Land hat zwar keine gemeinsame Grenze mit Russland, dafür aber lange und komplizierte Beziehungen mit dem "großen Bruder".
Russland - Befreier oder Besatzer?
Die Konfrontation von "Russophilen" und "Russophoben" hat in Bulgarien eine lange Geschichte: In der offiziellen bulgarischen Geschichtsschreibung gilt Russland als "Befreier vom türkischen Joch", weil die bulgarische Staatlichkeit nach dem Russisch-Türkischen Krieg von 1877/78 wiederhergestellt wurde.
Der Geschichtswissenschaftler Plamen Tzvetkov sieht darin allerdings ein reines Propagandaklischee, das in Geschichtsbüchern und Medien meist unkritisch wiedergegeben werde. "Die meisten Bulgaren wissen überhaupt nicht, dass der Friedensvertrag von 1878 keine 'Befreiung' war. Vielmehr besiegelte er die dauerhafte Besetzung Bulgariens durch die russische Armee und diente der Durchsetzung russischer Machtinteressen am Bosporus", so Tzvetkov. War es also eher eine Okkupation? Darüber ist die öffentliche Meinung in Bulgarien immer noch tief gespalten. Genauso kontrovers werden die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine interpretiert.
Enttäuschte EU-Bürger unterstützen Putin
Bulgarien ist zwar EU-Mitglied und trägt offiziell die EU-Position zur Ukraine mit, gleichzeitig ist das Land aber extrem abhängig von russischen Energielieferungen. Doch die stille oder laute Unterstützung für Putins Politik hat nicht nur geschichtliche und energiepolitische Wurzeln.
Viele Bürger des ärmsten EU-Landes sind von der EU-Mitgliedschaft enttäuscht und empfinden eine gewisse Genugtuung über die neue Eiszeit zwischen Kreml und Brüssel. "Die antieuropäische Stimmung in Bulgarien hat sich mit der Russophilie gepaart", fasst der Politikwissenschaftler Daniel Smilov zusammen.
Keine verfestigten politischen Identitäten
Diese Meinung vertritt auch der Kulturwissenschaftler Ivailo Ditschev. Die heutigen Verhältnisse seien tatsächlich sehr merkwürdig: Ex-kommunistische Sozialisten, bulgarische Nationalisten, aber auch überzeugte Antieuropäer und Antiamerikaner machten gemeinsam Stimmung für Wladimir Putin und seine Politik, obwohl diese Politik die Sicherheit Bulgariens gefährde und mit linken Ideen wenig zu tun habe. Das sei ein Beweis dafür, dass die meisten Bulgaren keine verfestigte politische Identität haben, meint Ditschev: "Die bulgarischen 'Russophilen' bezeichnen sich als Linke, gleichzeitig aber unterstützen sie ein Imperium, das 200 Jahre lang Revolutionen und nationale Befreiungsbewegungen zerschlagen hat." Als 'rechtsorientiert' würden in Bulgarien diejenigen gelten, die auf Russland schimpften, und als 'linksorientiert' - die Russland-Unterstützer. "Das ist idiotisch", sagt Ditschev.
Auch der Meinungsforscher Parvan Simeonov glaubt, die Einteilung in links und rechts sei im heutigen Bulgarien irreführend, wenn es um Russland gehe: "Es ist eigentlich die ehemalige Konfrontation zwischen Ost und West, die offensichtlich in Bulgarien noch nicht überwunden ist", so Simeonov.
EU-Mitgliedschaft als Sicherheitsgarantie
Die pro-europäischen und Russland-kritischen Stimmen im Land weisen darauf hin, dass Moskau seit Jahrzehnten Bulgarien als Exklave behandelt. Die Furcht vor dem mächtigen großen Bruder wächst: Tausende russische Bürger besitzen Immobilen in Bulgarien, russische Lobbyisten sind in Bulgariens Wirtschaft und Medien sehr aktiv und es wird befürchtet, dass die alten Seilschaften aus der Zeit des Ostblocks wieder eine Renaissance erleben könnten. Die Mitgliedschaft Bulgariens in EU und NATO sehen daher die Befürworter der Westbindung als unverzichtbare Sicherheitsgarantie für Bulgarien.
Zum zweiten Mal seit der politischen Wende 1989 bis 1990 sieht sich Bulgarien zwischen West und Ost, zwischen Moskau und Brüssel hin- und hergerissen. Damals waren die Hoffnungen der Bürger auf die EU gerichtet, heute sind viele Bulgaren enttäuscht. Ob das Land wieder in Moskaus Machtsphäre geraten könnte? Unwahrscheinlich, meinen Beobachter. Aber die antieuropäische Stimmung ist deutlich spürbar.
South Stream als Zankapfel
Ein Paradebeispiel dafür ist die aktuelle Diskussion um die umstrittene Pipeline South Stream. Bulgarien hat dem Druck der EU nachgegeben und die Arbeiten am russischen Gasleitungsprojekt vorerst eingestellt. Durch diese Entscheidung ist in der bulgarischen Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, Sofia sei vor dem Westen eingeknickt und würde ein für das eigene Land sehr lukratives Projekt aufgeben. Eine Beteiligung an South Stream böte Bulgarien zum einen die Möglichkeit, Rabatte für russisches Erdgas zu bekommen. Zum anderen stiege die Versorgungssicherheit, weil die Pipeline die Ukraine umgehen soll.
Von South Stream erhoffen sich die Bulgaren außerdem Investitionen in Milliardenhöhe und Tausende von neuen Arbeitsplätzen. Deshalb gibt es im ärmsten EU-Land eine breite Unterstützung für das Projekt - und eine große Unzufriedenheit mit der Politik Brüssels im Fall South Stream.