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NSA belauscht Bundesregierung

1. Juli 2015

Der US-Geheimdienst hat auch Minister und Spitzenbeamte der Bundesregierung abgehört. Die Überwachung geht laut Wikileaks bis in die 90er-Jahre zurück. Das Kanzleramt lädt den Botschafter der USA zum Gespräch.

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Bundeskanzleramt Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Die Empörung über angebliche US-Spähaktionen gegen französische Präsidenten ist kaum verklungen, da legt Wikileaks nach. Diesmal rückt wieder Berlin in den Fokus - auch frühere Gespräche Merkels zum Thema Griechenland sollen abgehört worden sein.

Bereits vor der Veröffentlichung konnten Journalisten des Rechercheverbundes aus NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung das Material der Enthüllungsplattform sichten und auswerten. Dabei zeigte sich auch, dass die NSA offenbar jahrelang eine ganze Reihe von Telefonanschlüssen in verschiedenen Ministerien abgehört hat. Nach Informationen der Journalisten gehe aus den Unterlagen außerdem hervor, dass sich der US-Geheimdienst vor allem für die deutsche Währungs- und Handelspolitik interessiert habe.


Jahrzehntelange Überwachung

In den Unterlagen von Wikileaks finde sich eine Überwachungsliste mit insgesamt 69 Nummern - davon knapp die Hälfte aus dem Wirtschaftsministerium. Auch der Anschluss des Ministers und seines Büroleiters stünden darauf, berichtet das Rechercheteam. Darüber hinaus habe die NSA offenbar das Bundesfinanzministerium und das Landwirtschaftsministerium ins Visier genommen. Neben Nummern der jeweiligen Minister finden sich auf der Liste die Durchwahlen von Staatssekretären und vieler Spitzenbeamter.

Sogar die zentrale Vermittlung von Wirtschafts- und Agrarministerium sowie mehrere Faxnummern wurden demnach überwacht sowie ein Anschluss der Europäischen Zentralbank in Frankfurt und frühere Nummern der Wirtschaftsabteilung des Auswärtigen Amts in Bonn, berichtet der NDR auf seiner Internetseite. Dabei soll es sich um in der Vergangenheit überwachte Anschlüsse wie auch um aktuelle Anschlüsse handeln. Die NSA-Überwachungsliste stamme offenbar aus der Zeit von 2010 bis 2012. Insgesamt reichten die Aktivitäten aber wohl bis mindestens in die 90er-Jahre zurück.

Ein Sprecher der Bundesregierung erklärte laut "Süddeutscher Zeitung": "Ohne nähere Kenntnis des zugrunde liegenden Sachverhalts ist der Bundesregierung eine Bewertung derzeit nicht möglich."

US-Botschafter ins Kanzleramt

Am Nachmittag wird US-Botschafter John Emerson zu einem Gespräch über die jüngsten Spionagevorwürfe im Kanzleramt erwartet. Kanzleramtschef Peter Altmaier habe den diplomatischen Vertreter der USA in Berlin darum gebeten, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Zuvor hatte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" online über den Vorgang berichtet.

Sonderermittler für die Selektorenliste

Unterdessen versucht der NSA-Untersuchungsausschuss, weiter Licht in die gemeinsamen Spähaktivitäten von Bundesnachrichtendient und NSA zu bringen. Mit der Mehrheit von Union und SPD soll an diesem Donnerstag der ehemalige Richter des Bundesverwaltungsgerichtes Kurt Graulich als Sonderermittler benannt werden. Er soll Suchkriterien wie Handynummern oder Mailadressen prüfen, die der US-Geheimdienst NSA an den Bundesnachrichtendienst zur Datenausspähung gegeben und die der BND aussortiert hatte. Die USA hatten eine Freigabe der Liste abgelehnt. Abgeordnete von Grünen und Linken bestehen aber nach wie vor darauf, die Liste direkt - und nicht über einen Sonderermittler - einzusehen.

bri/stu (NDR, Süddeutsche Zeitung, dpa)

Designierter Sonderermittler Richter Kurt Graulich
Designierter Sonderermittler Kurt GraulichBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas