Bundestag debattiert über Beitrittsverhandlungen mit Türkei
16. Dezember 2004Es ging am Donnerstag (16.12.2004) noch einmal richtig zur Sache im Deutschen Bundestag in Berlin. Ein letztes Aufbäumen der Union, ein letzter Versuch von Angela Merkel, für ihre Idee einer so genannten "privilegierten Partnerschaft" für die Türkei zu werben. "Weil die privilegierte Partnerschaft ein Konzept ist", begründete sie ihr Anliegen, "das der Türkei einzigartige Beziehungen intensivster Art mit der Europäischen Union in Aussicht stellt, und genau diesen Weg halten wir als Alternativweg für wichtig, um ein Scheitern und eine Katastrophe zu verhindern."
SPD-Chef Franz Müntefering feixte zurück: "Wir waren noch mal ganz gespannt darauf, von ihnen zu hören, wie das denn eigentlich ist mit der privilegierten Partnerschaft, was das eigentlich ist."
"Extrem fatal"
Außenminister Joschka Fischer sagte, im Grunde gebe es für die Türkei schon so etwas wie eine privilegierte Partnerschaft, denn immerhin sei sie an vielen wichtigen Entscheidungsprozessen schon beteiligt. Ihr nun diesen Status als Ziel weiterer Verhandlungen anzubieten, wäre kein gutes Signal, so Fischer. "Die Türkei wird das als ein Nein sehen", gab er zu bedenken, "und die Konsequenzen dieses Neins - da sind wir uns doch einig - wären extrem fatal."
Doch Angela Merkel bleibt dabei: Die Türkei, wetterte sie, werde die Kriterien nicht erfüllen, die überhaupt den Beginn von Beitrittsverhandlungen erlaubten. "Ich glaube, man hilft der Türkei auch wirklich nicht, wenn immer wieder darüber hinweg gesehen wird, dass die Kopenhagener Kriterien, so wie ich mir das vorstelle, heute in der Türkei nicht erfüllt werden", sagte die CDU-Vorsitzende. "Es gibt keinen Zweifel, dass es Folter gibt, es gibt keinen Zweifel daran, dass es keine Religionsfreiheit gibt."
Ansporn
Dem widersprach auch Franz Müntefering zumindest grundsätzlich nicht. "Die Türkei kann und muss noch viel tun", sagte er, "aber sie hat die Chance; die Chance, zu dieser EU dazukommen zu können, das ist der Ansporn für alle Demokraten in diesen Ländern, dies auch zu versuchen."
Das sieht auch der Außenminister so. Eine Modernisierung der Türkei sei ein wichtiges Signal für die gesamte islamische Welt, so Fischer. Doch noch gehe es nicht um den Beitritt, das müsse immer wieder klar gesagt werden. "Wir wollen die Entscheidung über den Beitritt der Türkei dann, wenn sie beitrittsfähig ist", sagte Fischer. "Und wir wissen, dass das ein 10-, vielleicht sogar 15-jähriger Prozess sein wird. Und wir wissen, dass es keinen Automatismus geben wird. Und wir wissen auch, dass entsprechende Vorsorgeregelungen eingezogen sind, wenn die Entwicklung stagniert oder wenn sie sich sogar völlig in die andere Richtung bewegt."
Genervte Verliererin
Immer wieder schüttelte Angela Merkel genervt den Kopf und blickte verkniffen vor sich hin. Man spürte, dass sie bei Bemerkungen wie dieser von SPD-Chef Franz Müntefering, innerlich brodelte: "Sie reden über die Risiken, wir reden über die Chance, die es auch gibt, Sie reden kleinmütig und Sie reden mutlos."
Angela Merkel weiß: Sie hat in dieser Debatte ebenso verloren wie bei der Abstimmung im Bundestag, der am Ende mit der Mehrheit der rot-grünen Koalition für eine Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei votierte. Frau Merkel versprach aber, das Thema Türkei und EU weiter zu verfolgen. Dass es für sie ein wichtiges Wahlkampfthema sein wird, hat sie nicht dementiert.