Kein Rabatt für Erdogan
12. Mai 2016Auf Antrag der Linksfraktion hat der Bundestag eine Stunde lang über das EU-Türkei-Abkommen debattiert. Die Linke forderte die Bundesregierung auf, das Abkommen zur Flüchtlingspolitik zu stoppen und stattdessen Meinungsfreiheit und europäische Grundwerte zu verteidigen. Die Vereinbarung mit der Türkei sei ein "dreckiger Deal", der beendet werden müsse, sagte der Linken-Abgeordnete Jan Korte. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sei "nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems" in der Flüchtlingskrise.
Für die Unionsparteien verteidigte der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer das Abkommen zwischen der EU und der Türkei. Zwar verletze Ankara bei der Meinungs- und Pressefreiheit sowie im Umgang mit der kurdischen Minderheit "elementare Menschenrechte". Es müsse aber auch mit Ländern verhandelt werden, die nicht den Standards westlicher Demokratien entsprächen. Bei den Bedingungen zur Einführung der Visafreiheit für Türken in der EU dürfe es allerdings keine Zugeständnisse geben, betonte Mayer.
Nachgiebigkeit wäre falsches Signal
Einig waren sich alle Parteien im Bundestag darin, dass es "keinen Rabatt" gegenüber Erdogan geben dürfe. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Stephan Mayer warnte vor einer nachgiebigen Haltung. Denn welche Signale würde Deutschland damit an andere Länder wie die Ukraine oder Georgien senden, die ebenfalls auf Visa-Erleichterungen hofften, fragte der CSU-Politiker.
Die CDU-Politikerin Nina Warken betonte die schon erreichten Fortschritte durch das Abkommen. So sei die Zahl der Flüchtlinge durch die erfolgreiche Bekämpfung der Schlepper gesunken. Flüchtlinge bekämen - trotz noch bestehender Mängel - eine Chance darauf, einen ordentlichen Asylantrag zu stellen.
Warken warnte davor, in der jetzigen Debatte jede Äußerung Erdogans, die eigentlich einer innenpolitischen Rhetorik folge, mit seinen außenpolitischen Interessen gleichzusetzen. Erdogan habe sehr wohl ein Interesse daran, dass die Vereinbarung voll umgesetzt werde.
Die SPD-Politikerin Dorothee Schlegel erinnerte daran, dass die Bedingungen für eine Visafreiheit schon seit 2013 beiden Seiten bekannt waren und akzeptiert wurden. Es sei nicht so, wie Erdogan behauptet habe, dass die Bedingungen erst jüngst genannt wurden.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), wies die Türkei schon vor der Aktuellen Stunde in in einem TV-Interview scharf zurecht: "Wir sind nicht erpressbar". Die Europäische Union sei bereit zu liefern, sagte Röttgen weiter. Erdogan habe es in der Hand, ob seine Bürger frei reisen könnten. Der CDU-Politiker sagte, er sei nicht "völlig pessimistisch", dass es zu einer Lösung des Streits kommen könnte.
Türkei will Anti-Terror-Gesetzte nicht ändern
Unterdessen hat sich die türkische Regierung im Streit mit der EU-Kommission über die Bedingungen für eine Visafreiheit unnachgiebig gezeigt. Sein Land habe alle 72 von der EU geforderten Bedingungen dafür erfüllt, sagte der türkische EU-Minister Volkan Bozkir vor Journalisten in Straßburg. Eine ungerechtfertigte Verschiebung der Visa-Liberalisierung sei für die Türkei inakzeptabel, eine Änderung der Anti-Terror-Gesetze werde es für die Visafreiheit nicht geben. Die nächsten Schritte der türkischen Regierung würden in Einklang mit den Anweisungen von Präsident Recep Tayyip Erdogan getroffen.
Der türkische Präsident selbst äußerte sich bei einer Veranstaltung in Ankara. An die Adresse der Europäischen Union gerichtet sagte er: "Seit wann lenkt ihr die Türkei? Wer hat euch diese Kompetenz gegeben?" Er unterstellte der EU außerdem, "Terroristen" mit Waffen und Geld auszustatten. "Sie sagen: Geht und spaltet die Türkei", sagte Erdogan: "Glaubt ihr, wir wissen das nicht?"
Verhärtete Fronten: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ermahnte die Türkei zur Erfüllung der europäischen Bedingungen. "Wir haben Bedingungen gestellt, was die Visa-Liberalisierung anbelangt", sagte Juncker in Berlin: "Wir legen Wert darauf, dass die Bedingungen, die Voraussetzungen erfüllt sind." Ansonsten werde es keine Visa-Freiheit geben.
Die türkischen Anti-Terror-Gesetze gelten als größte Hürde auf dem Weg der Türken zur Visafreiheit in der EU. Auf Grundlage der Gesetze wurden in den vergangenen Jahren Dutzende Journalisten und Wissenschaftler in der Türkei festgenommen.