Kein "Geschäft mit dem Tod"
9. Juni 2015Beim Thema Sterbehilfe lassen sich die Parlamentarier im Bundestag ganz bewusst Zeit. Im November 2014 fand eine fünfstündige sogenannte Orientierungsdebatte im Plenum statt. Viele Abgeordnete gaben zu, noch keine abschließende Meinung zu haben - damals lagen auch noch keine Gesetzesentwürfe vor, sondern nur Positionspapiere. Parlamentspräsident Norbert Lammert nannte es das wohl "anspruchsvollste Gesetzgebungsverfahren" der bis 2017 laufenden Legislaturperiode.
Nach sieben Monaten intensiver Diskussionen mit Bürgern, Ärzten und Wissenschaftlern wurde in Berlin nun ein erster fraktionsübergreifender Gesetzesentwurf vorgestellt. Zehn Abgeordnete von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linkspartei sprechen sich darin für einen "maßvollen und sensiblen Weg der Mitte" aus, beschrieb der CDU-Abgeordnete Michael Brand den Ansatz. Der Missbrauch der aktuellen Gesetzeslage müsse gestoppt werden. Die Aggressivität von Organisationen, die den "Tod auf Bestellung servieren", zwinge sie zu einer Regelung, sagte der CSU-Politiker Michael Frieser. Durch einen "Gewöhnungseffekt", heißt es in der Begründung des Entwurfs, könnten Menschen dazu verleitet oder sogar gedrängt werden, sich durch solche Angebote das Leben zu nehmen.
Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren
Strikt verboten ist in Deutschland, anders als beispielsweise in den Niederlanden, die aktive Sterbehilfe oder auch "Tötung auf Verlangen" - zum Beispiel durch eine Giftspritze. Seit 2010 ist die passive Sterbehilfe dagegen erlaubt: In einer sogenannten Patientenverfügung kann niedergeschrieben werden, dass man im Falle einer tödlichen Erkrankung auf künstliche Beatmung oder Ernährung verzichten kann. Auch die indirekte Sterbehilfe ist erlaubt - wenn der Arzt zum Beispiel einem unheilbar Kranken Medikamente gegen Schmerzen verabreicht, die als Nebenwirkung lebensverkürzend wirken. Der Suizid und Suizid-Beihilfe an sich sind ebenfalls straffrei.
Der Entwurf will an dieser Rechtslage im Grundsatz nicht rütteln. "Alles, was heute möglich ist, soll erhalten bleiben", sagte Kerstin Griese, die Kirchenbeauftragte der SPD-Fraktion. Die Gruppe aber sehe dort ein Problem, wo "Vereine oder auch Einzelpersonen geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid betreiben". Das Strafrecht solle deshalb um folgenden Paragrafen ergänzt werden: "Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Als "geschäftsmäßig" wird im Entwurf die "auf Wiederholung angelegte Förderung zum assistierten Suizid" definiert. Die Regelung zielt damit auf Sterbehilfevereine oder Einzelpersonen. Die Definition "geschäftsmäßig" geht über eine kommerzielle Beschreibung hinaus, denn die daran festgemachte "Gewinnerzielungsabsicht" könne leicht verschleiert werden, heißt es.
Weder Totalverbot noch Öffnungsklausel für Ärzte
Der nun vorgestellte Entwurf wird nicht der einzige sein, der im Bundestag zur Diskussion steht. Drei weitere Entwürfe sind für die kommenden Tage angekündigt. Eine Gruppe um die Grünen-Abgeordnete Renate Künast möchte die Arbeit von Sterbehilfe-Vereinen erlauben, die Bedingungen dafür allerdings ausdrücklich regeln, zum Beispiel mittels einer Beratungspflicht. Im November hatte Künast davor gewarnt, "unsere ethische Vorstellung ins Strafgesetzbuch zu schreiben". Die gegenteilige Position formulierte kürzlich der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg: Er will jede Beihilfe zum Suizid mit bis zu fünf Jahren Haft ahnden.
Eine Gruppe um den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach schließlich möchte Ärzten die Beihilfe zum Suizid ausdrücklich gestatten. Lauterbach wies im November im Bundestag darauf hin, dass es keine Rechtssicherheit für Ärzte gebe. Hintergrund ist, dass es keine bundesweit einheitliche Regelung gibt. Deshalb droht Ärzten in manchen Bundesländern nach einer Suizidbeihilfe der Entzug der Zulassung. Die Ärzteschaft hätte darum gebeten, mit dem neuen Gesetz eben keine "Lex Ärzte" zu verfassen, sagte dagegen nun der CSU-Politiker Frieser: Die Ärzte arbeiteten mit dem Leben und nicht mit dem Tod.
Keine Strafen für Angehörige
Der Gesetzesentwurf sieht Ausnahmen vor: "Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger (...) ist oder diesem nahesteht."
Rechtsexperte Frieser sagte, dass der Begriff "nahestehende Personen" nicht neu sei und relativierte damit Bedenken der anwesenden Journalisten. Laut Gesetz können dies neben Verwandten auch gute Freunde oder Mitbewohner sein. Wenn diese aus Mitleid Hilfe zur Selbsttötung leisteten, dann drohe keine Strafe.
Außerdem weisen die Autoren im Entwurf explizit darauf hin, dass eine "Hilfe beim Sterben" durch das neue Gesetz nicht kriminalisiert werden solle. Das sei zu unterscheiden von der "Hilfe zum Sterben".
Unterstützung durch öffentliche Diskussion
Schon bei der Orientierungsdebatte im November war unter den Abgeordneten eine Mehrheit gegen ein "Geschäft mit dem Tod" herauszuhören. Auch in der öffentlichen Diskussion außerhalb des Parlaments gibt es einen starken Fokus auf diesen Aspekt.
Der Deutsche Ethikrat sowie die katholische und die evangelische Kirche sprechen sich für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe aus. Das Ziel des Gesetzes sollte eine solidarische Gesellschaft sein, sagte die SPD-Abgeordnete Griese. Das bedeute die "Achtung vor dem Leben, auch vor dem leidenden, schwer kranken und behinderten Leben", heißt es. Die bisher zehn Unterzeichner des Entwurfs rechnen mit weiteren Unterstützern und einer breiten Mehrheit im Parlament. Der Antrag soll, zusammen mit den drei anderen Entwürfen, noch vor der parlamentarischen Sommerpause Anfang Juli erstmals im Plenum des Bundestags behandelt werden. Im Herbst könnten die Beratungen dann zu einer Entscheidung führen.