Bundestag überlegt Umgang mit der AfD
5. September 2017Im Plenum des Bundestages ist es ganz still. Alle Blicke der Abgeordneten ruhen auf Norbert Lammert, der nach zwölf Jahren als Bundestagspräsident seine Abschiedsrede hält. Mit Blick auf das künftige Parlament wird er sehr deutlich, ohne die AfD auch nur ein einziges Mal wörtlich zu nennen.
Er hoffe sehr darauf, sagte Lammert, dass der "Konsens der Demokraten gegen Fanatiker und Fundamentalisten" weiterhin gesucht werde. Unabhängig vom Wettbewerb der Parteien dürfe man sich nicht zu einer "Spaltung" hinreißen lassen. Die anwesenden Abgeordneten scheinen die Botschaft verstanden zu haben. Stehend spenden sie Beifall.
"Nicht provozieren lassen"
Wie rüsten sich nun die einzelnen Parteien und Fraktionen für den Fall, dass die AfD in den Bundestag einzieht? Zu strategischen Maßnahmen gibt es bisher keine offiziellen Stellungnahmen. In parteiinternen Kreisen sollen folgende Verhaltensratschläge ausgegeben worden sein. Erstens: "Nicht provozieren lassen", und zweitens: "Die AfD sachlich entzaubern".
CDU-Generalsekretär Peter Tauber empfahl in einem Interview mit dem Magazin "Der Spiegel", die AfD auf keinen Fall in ihren Einstellungen "nachzuahmen". An gleicher Stelle meinte der heutige Außenminister Sigmar Gabriel, man müsse "standhaft und souverän bleiben". Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wendete sich gegen eine "Tabuisierung" und plädierte für "differenzierte Kritik". Die Führungsriege der Linken ist für eine "deutliche Abgrenzung" zur AfD.
In den Parteien lässt man sich bisher Erfahrungen mit der AfD aus allen Landesparlamenten schildern, in denen die Partei bereits vertreten ist. Wie etwa in Thüringen. Wie es im dortigen Landesparlament seit 2014 zugeht, fasst Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena im Gespräch mit der DW zusammen: "Der Ton ist rauer geworden. Wir stellen eine Verrohung der politischen Debatte fest."
Rauer Umgangston
Es gebe immer wieder Beleidigungen, rassistische oder völkische Rhetorik. Quent nennt den möglicherweise auch in den Bundestag einziehenden Abgeordneten Stephan Brandner, der bis zur Halbzeit der Legislaturperiode alleine 25 Ordnungsrufe kassiert haben soll.
"Der Charakter von Plenarsitzungen hat sich verändert", berichtet Quent und verweist auf eine Polarisierung, die zugenommen habe. Quent kritisiert auch die Ausschussarbeit der AfD, die nicht immer ausreichend stattfinde. Dies sei aber ein Sonderfall und liege an dem AfD-Politiker Björn Höcke, der die AfD eher als Bewegungspartei betrachte.
Die Reaktionen der anderen Parteien auf die AfD-Präsenz im Thüringer Landtag fallen laut Quent überwiegend souverän aus. Man überlege sehr genau, womit man sich inhaltlich auseinandersetze und worauf man sich garn nicht mehr einlasse.
"Da werden deutlich rote Linien gezogen." Sehr häufig würden zu Anträgen der AfD schlicht von den anderen Parteien alternative Anträge formuliert, die dann zustimmungsfähig seien. "In Thüringen hat es aus meiner Sicht keinen AfD-Antrag gegeben, dem so zugestimmt wurde, dass er durchgekommen wäre oder Mehrheiten aus anderen Parteien bekommen hätte", erklärt Quent. Sein Fazit: "Man hat sich im Dialog mit der AfD gerüstet."
Dieser Prozess steht den Bundestagsfraktionen noch bevor. Abgeordnete der großen Volksparteien sahen sich bereits im Frühjahr 2017 mit einem für sie bedrückenden Szenario konfrontiert: Im Falle seiner Wahl könnte der 77-jährige Wilhelm von Gottberg von der AfD als ältester Abgeordneter nach der Bundestagswahl das neue Parlament mit einer Rede eröffnen und vorübergehend als Chef des Parlaments agieren. Um dies zu verhindern, wurde auf Initiative von Norbert Lammert schlicht die Geschäftsordnung geändert.
Die AfD protestierte und sprach von "Tricksereien unter Altparteien" und selbst Staatsrechtler wie Sophie Schönberger von der Universität Konstanz finden die Lösung "problematisch für den Parlamentarismus". Aber die Regelung findet sich seit dem 12. Juni im Bundesgesetzblatt.