Bundeswehr: eine Skandalarmee?
22. März 2017Es will keine Ruhe bei der Bundeswehr einkehren. Erst wenige Wochen ist es her, dass ein Skandal die Elite-Kaserne der Bundeswehr in Pfullendorf in Baden-Württemberg erschütterte. Entwürdigende Rituale sorgten für einen medialen Aufschrei. Ausbilder sollen untergebene Soldatinnen zum Tanz an der Stange gezwungen und sie im Intimbereich abgetastet haben.
Der Pfullendorf-Fall ist längst noch nicht aufgebarbeitet, da machen neue Vorwürfe die Runde. Dieses Mal in Bayern. Die Staatsanwaltschaft Traunstein ermittelt bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall, einer weiteren Eliteeinheit der Bundeswehr. Ein Obergefreiter soll hier laut Verteidigungsministerium zwischen November 2015 und September 2016 von Kameraden und Vorgesetzten sexuell belästigt und genötigt worden sein. Gegen vierzehn Soldaten wird ermittelt. Gegen drei weitere Bundeswehrangehörige laufen Verfahren wegen des Verdachts auf Volksverhetzung.
Verteidigungsausschuss: Opposition drängt auf schnelle Aufklärung
Am Mittwoch erreichten diese jüngsten Skandale jetzt auch die Politik. Der Verteidigungsausschuss im Deutschen Bundestag befasste sich mit den Ermittlungen - in nicht öffentlicher Sitzung. Die grüne Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger forderte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dazu auf, jetzt reinen Tisch zu machen. "Alle Vorfälle, die in der Bundeswehr darüberhinaus bekannt sind, müssen transparent und lückenlos" öffentlich gemacht werden. Brugger kritisierte zudem, dass die Ministerin bereits seit längerem über die Anschuldigungen informiert gewesen sei, ohne das Parlament in Kenntnis zu setzen. "Diese Informationspraxis schafft ordentlich Misstrauen und zeugt von mangelndem Aufklärungswillen", warf Brugger der Ministerin vor. Das Ministerium hatte die Vorfälle nach Bekanntwerden am Montag als "äußerst bedauerlich und vollkommen inakzeptabel" bezeichnet.
Für die verteidigungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag Christine Buchholz ist aus einzelnen Skandalen längst mehr geworden. Die Übergriffe offenbarten "ein systemisches Problem bei der Bundeswehr." Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Hans-Peter Bartels (SPD) hatte dem zuvor vehement widersprochen. Er hatte die Aufklärung gelobt. Nichts sei vertuscht worden.
Mäuse mit Luftgewehren getötet?
Aus dem Umfeld des Verteidigungsausschusses in Berlin wurden neue Vorwürfe bekannt. Die zuständige Staatsanwaltschaft habe ihre Ermittlungen ausgeweitet. Nach Informationen der Nachrichtenagentur DPA soll es bei den Gebirgsjägern weitere Verstöße gegen das Tierschutzgesetz gegeben haben. So seien in der Kaserne Mäuse mit Luftgewehren getötet worden.
In einem Offenen Brief an Soldaten und zivile Beschäftigte hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am Dienstag "respektvolle und menschenwürdige Umgangsformen" in der Bundeswehr eingefordert. Sie hatte mit diesem Brief auf einen anderen Fall sexueller Belästigung in der Truppe reagiert, hieß es. Die Ministerin verwies in dem Brief darauf, dass es seit Februar - als Reaktion auf den Skandal in Pfullendorf - eine Ansprechstelle "Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr" gebe. Das sende eine eindeutige Botschaft. "Ich dulde in der Bundeswehr kein Verhalten, das die Würde, die Ehre und die Rechte auf sexuelle Selbstbestimmung von Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Beschäftigten verletzt", schrieb die Ministerin weiter.
Ludger Jungnitz hält dies für eine reine Wunschvorstellung der Ministerin. Der Soziologe und Männerforscher sagte im Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit": "Man hat festgestellt, dass in sehr ungleichen Machtverhältnissen Gewalt gedeiht." In strengen Hierarchien wie der Bundeswehr, die auf Unterordnung und Macht beruhten, falle es schwer, sich gegen Misshandlungen zur Wehr zu setzen. "Das heißt, wo Gewalt möglich ist, findet sie auch statt", sagt der Forscher. Viele junge Männer würden daher Gewaltakte innerhalb der Bundeswehr als Selbstverständlichkeit tolerieren. Das spiegelt sich auch im Umgang mit der Öffentlichkeit wieder.
"Ihr seid so ne sensationsgeile Mannschaft"
Und genau das erlebt derzeit Hans Häuser, Reporter beim Studio Traunstein des Bayrischen Rundfunks. Er recherchiert den Skandal und wurde vom Wachpersonal der Kaserne beleidigt.
Im DW-Interview erläutert er, wie sich die Stimmung unter den Elitesoldaten in Bad Reichenhall spürbar verschlechtert hat: "Sie fühlen sich nicht wertgeschätzt und reagieren besonders gereizt und abweisend." Dennoch glaubt der Lokalreporter nicht, dass der Skandal negative Folgen für die Beziehung zwischen Stadt und Kaserne haben werde. "Die Stadt steht tausendprozentig hinter der Kaserne und hinter den Soldaten", sagt Häuser. Dabei hat die Kaserne in Bad Reichenhall bereits in der Vergangenheit Negativschlagzeilen produziert: Betrunkene Soldaten, die den Hitlergruß zeigen, menschenunwürdige Aufnahmerituale, makabre Posen mit Totenschädeln in Afghanistan oder Kriegsspiele für Kinder: von all dem hatten Nachrichtenagenturen bereits berichtet.
Der Sprecher der Stadt Bad Reichenhall will von all dem nichts wissen. Er bestätigt die "sehr enge und sehr herzliche" Beziehung zwischen Bundeswehr und der Stadt Bad Reichenhall. "Das findet auch darin seinen Ausdruck, dass die Brigade 23 und die Stadt jedes Jahr gemeinsam einen Neujahrsempfang veranstalten", sagt Stadtsprecher Robert Kern dem BR. Die Vorwürfe gegen die Kaserne trügen sicherlich nicht zu einem "positiven Image" der Stadt bei. Dennoch wolle man jetzt erst einmal abwarten, was die unabhängigen Ermittlungen zu Tage beförderten. Erst dann könne und wolle man weitersprechen.