Jüdische Seelsorge für jüdische Soldaten
21. Juni 2021"Sehr geehrter Herr Balla, herzlich willkommen bei uns in der Bundeswehr!" Ausgesprochen herzlich beendet Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ihre gut zehnminütige Rede in der Leipziger Brodyer-Synagoge. Von einem "ganz besonderen Tag" auch für sie persönlich sprach sie, mehrmals äußerte sie sich "bewegt". Es sei für die Bundeswehr ein Tag "von großer Tragweite".
Erstmals gibt es nun wieder jüdische Militärseelsorge für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, erstmals trägt ein Rabbiner in Deutschland, der 42-jährige Zsolt Balla aus Leipzig, den Titel "Militärbundesrabbiner". Damit geht die jüdische Gemeinschaft in Deutschland einen Schritt, der über die Geschichte der Bundesrepublik hinaus zurückverweist. Nach rund 100 Jahren gibt es wieder Rabbiner für die Angehörigen des deutschen Militärs.
Nach hundert Jahren
Einige Male während der gut 80-minütigen feierlichen Einführung Ballas in sein neues Amt fiel der Name des großen liberalen Rabbiners Leo Baeck (1873-1956). Der über Jahrzehnte bedeutendste Vertreter des deutschen Judentums, der im Konzentrationslager Theresienstadt die Nazi-Gräuel überlebte, war im Ersten Weltkrieg (1914-18) der berühmteste deutsche Feldrabbiner. Einer von knapp 30 in Kriegszeiten, die sich um geschätzt 100.000 jüdische Soldaten kümmerten.
Schon der Ort der Feier wirkt wie eine Mahnung: Die orthodoxe Brodyer Synagoge unweit des Leipziger Hauptbahnhofs, benannt nach einer Stadt in der heutigen Ukraine, könnte eine fast 250-jährige Geschichte erzählen. Dabei überstand sie die Pogromnacht 1938 zwar verwüstet und entweiht – abgefackelt wurde sie nicht, weil sie sich direkt in einem Wohnhaus befand. Bereits im Oktober 1945 wurde sie wieder eingeweiht und ist damit eines der ältesten jüdischen Gotteshäuser in Deutschland.
Kippa und Barett
An diesem Montag fallen die unterschiedlichen Kopfbedeckungen der Gäste in der wegen der Corona-Pandemie nur locker besetzten Synagoge auf. Zwischen Kippas unterschiedlicher jüdischer Traditionen sieht man das ein oder andere Barett von Soldaten höherer Dienstgrade der Bundeswehr, irgendwo leuchtet das Violett der Kopfbedeckung des katholischen Militärbischofs.
Derzeit spricht das Verteidigungsministerium von rund 300 Bundeswehr-Kräften jüdischen Glaubens. Kramp-Karrenbauer war Verteidigungsministerin und damals noch CDU-Vorsitzende, als sie im Dezember 2019 mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, den Staatsvertrag über die Errichtung der jüdischen Militärseelsorge unterzeichnete. Auch damals war es ihr spürbar ein Anliegen.
"Null-Toleranz" gegen Antisemitismus
Und fast jeder, der in der ehrwürdigen Synagoge das Wort ergreift, verbindet seine Freude über das jüdische Engagement in der Truppe mit der Sorge über Antisemitismus und Rechtsextremismus in den deutschen Streitkräften. Kramp-Karrenbauer kündigte, wieder einmal, "eine konsequente Null-Toleranz-Haltung" auch bei leisem, schleichendem Antisemitismus an.
Zur Halbzeit des Jubiläumsjahres "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" wurde die Amtseinführung des "Militärbundesrabbiners" zu einem Höhepunkt des seit Dezember 2020 von Einschränkungen angesichts der Corona-Pandemie überschatteten Festjahres. "Zsolt Balla schreibt Geschichte", sagt Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Aber historische Schritte als Erster zu gehen, darin sei Balla schon geübt. Er zähle zu den ersten orthodoxen Rabbinern, die nach der Schoa in Deutschland ordiniert wurden.
Balla, der auch sächsischer Landesrabbiner ist, ist in der Brodyer-Synagoge zuhause. Der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbiner-Konferenz, der Berliner Rabbiner Andreas Nachama, Nachfahre zweier Holocaust-Überlebender, erzählt in seiner Rede, dass er 1977, zwölf Jahre vor dem nie erwarteten Fall der Mauer, als Westberliner in dieser Synagoge war. Damals hätten noch "eine Handvoll älterer Herrschaften" dort den Schabbat gefeiert. Nie hätte er für möglich gehalten, dass dort "der erste Militärbundesrabbiner in einem friedlich vereinigten Deutschland ins Amt eingeführt wird".
"Die Last der Geschichte"
"Ich spüre die Last der Geschichte auf meinen Schultern", sagt Zsolt Balla in seinen Dankesworten. Balla selber, 1979 in Budapest geboren, ist der Sohn eines Oberstleutnants der ungarischen Volksarmee. "Mein Vater lehrte mich einen großen Respekt für die Arbeit, die die Streitkräfte leisten."
Und dann erläuterte er, zwischen theologischer Reflexion und persönlicher Schilderung, wie sehr ihn auch Dankbarkeit dazu bewege, dieses Amt anzutreten. Es sei im kleinen eine große Geschichte über Integration. "Als ich vor 19 Jahren nach Deutschland kam, um das Judentum zu studieren, hatte ich ambivalente Gefühle. Es hat nicht lange gedauert, bis diese Gefühle verflogen waren", erinnert sich der Geistliche. Bei allen Herausforderungen, die es heute auch angesichts der Probleme im Bereich des Rechtsextremismus gebe, empfinde er "eine ungeheure Dankbarkeit, in einem Land leben zu dürfen, das sich seiner Vergangenheit gestellt hat, sich aber auch entschlossen hat, nach vorne zu gehen, um aktiv eine bessere Welt zu gestalten."
Balla ist der erste Militärrabbiner bei der Bundeswehr. Weitere orthodoxe und liberale Rabbiner sollen ihm folgen und sich neben ihrer Gemeindearbeit um den sogenannten lebenskundlichen Unterricht für alle Soldaten kümmern. "Wir verpflichten uns, dass wir für alle Soldaten der Bundeswehr da sein werden", sagte Balla.