Neue Aufgaben, neue Armee?
22. Juni 2012Eine kontinuierliche Anpassung der Bundeswehr wäre jetzt zu wenig gewesen, sagte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière jüngst vor einem kleinen Kreis außenpolitischer Experten in Berlin (14.06.2012). Die Neuausrichtung der deutschen Bundeswehr ergebe sich vielmehr zwingend aus der völlig veränderten sicherheitspolitischen Lage. "Das sind zwei Seiten einer Medaille", sagte der Minister, dessen Vorfahren bereits viele hochrangige Ämter in Politik und Streitkräften wahrgenommen haben.
Helfen, schützen und kämpfen können
Doch keiner seiner Vorfahren hätte ihn wohl um die aktuelle Aufgabe beneidet. Denn Thomas de Maizière muss den radikalsten Umbau der Bundeswehr seit ihrer Gründung 1955 im damaligen Westdeutschland verantworten. Eingeläutet wurde der Epochenwechsel bei der Bundeswehr bereits im vergangenen Jahr, als am 1. Juli mit der Aussetzung der Wehrpflicht der Übergang zur Berufs- und Freiwilligenarmee markiert wurde. Jetzt kommen Infrastruktur, Investitionen und Personal als Ganzes auf den Prüfstand.
32 Kasernen werden geschlossen, 90 drastisch reduziert und die Zahl der Soldaten von 250.000 auf 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten und 15.000 freiwillig Wehrdienstleistende reduziert. Selbst die Zahl der Zivilbeschäftigten schrumpft um rund 20.000 auf dann nur noch 55.000 Angestellte. All das geht aus einem Neuausrichtungskonzept hervor, das der Minister bis im Jahr 2019 umgesetzt haben will.
Ein Reformbegleitgesetz, das den Personalabbau einfacher machen soll, wurde am Donnerstag (14.06.2012) im Bundestag trotz scharfer Kritik der Opposition von der Regierungsmehrheit verabschiedet. Der Minister begründet die Rosskur für die Bundeswehr vor allem mit der veränderten Bedrohungslage. "Wahrscheinlicher als Landesverteidigung sind heute Einsätze der Bundeswehr zur Krisenbewältigung und Konfliktverhütung nahezu überall in der Welt, über Grenzen von Nationalstaaten hinweg." Deutschland sei nach dem Ende der Blockkonfrontation umringt von befreundeten Nationen zu einer "normalen europäischen Führungsmacht" geworden, sagt der Minister. Das ändere die Bedrohungslage: nicht mehr vorrangig zwischenstaatliche Konflikte, sondern Terrornetzwerke, Staaten am Rand von Staatszerfall und Bürgerkrieg, Cyberattacken oder moderne Seepiraterie seien die neuen Sicherheitsrisiken.
Kleine, flexible Einheiten für den internationalen Einsatz
Die Zielvorgabe des Ministers ist dabei so eindeutig wie vieldeutig: in einem wenig vorhersehbaren sicherheitspolitischen Umfeld müsse sich die Bundeswehr auf vieles gut vorbereiten und dürfe auf nichts ganz unvorbereitet sein. Zu den Aufgaben gehöre die Unterstützung im Katastrophenfall, der Einsatz gegen den internationalen Terrorismus, die Evakuierung deutscher Staatsbürger und internationale Einsätze im Rahmen von UN- oder EU-Missionen. Ein Anforderungsprofil, das einen neuen Aufbau der Armee erzwingt. Zwar bleiben die großen Teilstreitkräfte Heer, Marine, Luftwaffe und Streitkräftebasis bestehen, in den unteren Hierarchien wird kräftig umgebaut.
Statt aus Großverbänden soll die Bundeswehr in Zukunft aus kleinen, hochprofessionellen und flexibel einsetzbaren Einheiten bestehen. Das Ziel ist es, bestmöglich in Auslandseinsätzen mit Bündnispartnern zusammenarbeiten zu können. "Im Heer wird zukünftig die Brigade die Fähigkeiten zu einem leistungsfähigen Ganzen integrieren", sagt der Minister. Nach dem Baukastenprinzip sollen diese Einheiten bei internationalen Operationen in Afghanistan oder am Horn von Afrika mit den Truppen anderer Bündnispartner kombiniert werden. Was dem einen Partner an Fähigkeiten fehle, könne damit durch anderen Partner ausgeglichen werden. Der Minister nennt das "intelligenten Fähigkeitsverzicht" oder "smart defence", was Kritiker dagegen als Eingeständnis der Reform nach Spardiktat bezeichnen.
Auch die Investitionen in militärisches Großgerät wie Panzer, Kampfflieger oder schweres Räumgerät werden hinterfragt. Schließlich gebe die Bundeswehr aktuell rund ein Viertel des rund 32 Milliarden Euro schweren Verteidigungshaushaltes für Investitionen aus, sagt der Minister. "95 Prozent davon sind durch Aufträge aus weit zurückliegenden Jahren gebunden, zum Teil für Großgeräte, die in der Zahl oder Ausstattung nicht mehr gebraucht werden." Bei den bevorstehenden Verhandlungen mit Unternehmen der Rüstungsindustrie will er auf die Stornierung alter Bestellungen pochen, um so Etatmittel für neue Investitionen frei zu machen.
Von der Verteidigungs- zur Interventionsarmee?
10.000 Soldaten will der Verteidigungsminister in bis zu zwei Einsatzgebiete gleichzeitig entsenden können. Darüber hinaus wird Deutschland auch Soldaten für die schnelle Eingreiftruppe der NATO und die EU-Kampftruppen entsenden können, so die Vorgabe. Aus Verantwortung für die Soldaten soll eines allerdings beibehalten werden: am Rhythmus von grundsätzlich vier Monaten Einsatz in zwei Jahren werde nicht gerüttelt, um Regeneration, Ausbildung und Vorbereitung auf Einsätze zu ermöglichen. Um 10.000 Soldaten damit jederzeit einsatzbereit halten zu können, würden folglich insgesamt 50.000 Einsatzsoldaten gebraucht. Ohne radikale Neuausrichtung ein nicht erreichbares Ziel, betont der Minister.