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Laien erforschen Artenvielfalt

Elizabeth Owuor /ri11. März 2014

Um die Biodiversität zu erforschen setzen Wissenschaftler immer mehr auf das Engagement ihrer Mitbürger ohne Promotion oder Uni-Job. Durch das Internet wächst diese “Citizen Science”-Bewegung so schnell wie nie.

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Ein Kolibri mit rotem Kopf und dunklem Körper auf einem Ast (Foto: CC 2.0/ Will Scullin)
Bild: CC 2.0/ Will Scullin

Michael Münch liebt Krabbeltiere. Der 43 Jahre alte IT-Fachmann ist kein studierter Entomologe und hat in keiner der großen Fachmagazine veröffentlicht. Aber mit einer riesigen Büchersammlung und großem Enthusiasmus für das Thema unterstützt der Autodidakt die Wissenschaftler dabei, wichtige Daten über Insekten und Pflanzen zu sammeln. In den 1990er Jahren stürzte sich der Chemnitzer, der vorher Pflanzenbeobachtung betrieb, kopfüber in die Welt der Insekten. Es brauchte nicht lange bis sich Münch mit örtlichen Hobby-Insektenforschern zusammentat. Und schon bald konnte er mit seinem Computer-Fachwissen helfen ein Online-Portal aufzubauen, um das Insektenleben im Bundesland Sachsen zu dokumentieren.

Und so wurde Münch ein Teil der wachsenden Citizen Science-Bewegung.

Diese Bürgerwissenschaftler sind Amateure, Hobby-Forscher, Menschen wie Sie und ich. Sie wollen eine neue Wissenschaftskultur prägen und zusammen mit Profi-Wissenschaftlern und Forschungsorganisationen wichtige Daten sammeln - das Lebenselixier jeder Wissenschaft. Egal ob Astronomie oder Zoologie, beinahe jede Disziplin des Wissenschaftsuniversums hat mittlerweile ihr eigenes “Citizen Science”-Projekt.

Ein Mann und eine Frau beobachten etwas, der Mann zeigt nach oben, die Frau nutzt ein Fernglas (Foto: NABU/P. dos Santos)
Laien helfen Profi-Wissenschaftlern. Wie hier bei der Stunde der Gartenvögel, organisiert vom NABU.Bild: NABU/P. dos Santos

Stellen Sie sich vor, Sie beobachten die Schnecken in Ihrem Garten um die Evolutionsforschung zu unterstützen. Oder erforschen als Scuba-Taucher die Artenvielfalt unter Wasser. Oder zeichnen den Flug von Kolibris auf, ohne sich vom Computer weg zu bewegen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs - es braucht keinen Doktortitel und keine akademische Affilierung.

Die ersten Bürgerwissenschaftler

Auch wenn diese Art des kooperativen Forschens gerade durch das Internet so viel Rückenwind hat wie nie, Bürgerwissenschaft hat Tradition: “Historisch gesehen ist das Konzept des professionellen Wissenschaftlers relativ neu. Gewöhnliche Bürger waren die ersten Wissenschaftler - darunter Bäcker oder Bauern. Um zu lernen, wie man Brot backt oder Bier braut, war wiederholtes praktisches Herumprobieren unerlässlich”, sagt Christopher Kyba vom Leibniz Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin.

Und das kooperative Zusammentragen vieler Einzelbeobachtungen sei die Grundlage der Vogelkunde gewesen - lange bevor Bürgerwissenschaft zu dem heutigen Massenphänomen wurde, ergänzt Lars Lachmann vom Naturschutzbund Deutschland (NABU). “Die ersten Vogelkundler waren Priester oder Heiler. Es gibt eine Menge Wissen außerhalb der Universitäten, und die Bürgerwissenschaft profitiert von der Zeit und dem Wissen der Menschen jenseits des akademischen Bereichs. Ohne diese vielen Individuen, könnten viele Ressourcen gar nicht genutzt werden.”

Der NABU veranstaltet zwei der größten und ältesten Gemeinschaftsprojekte für Laienforscher - die “Stunde der Wintervögel” und die “Stunde der Gartenvögel”. Mit Tausenden von Teilnehmern und Beobachtungen, die in die Millionen gehen, hat der NABU sie zu eifrigen Datensammlern für die Wissenschaft gemacht. Und angesichts der riesigen Datenmengen, die es für den wissenschaftlichen Fortschritt braucht, würde es schwierig für den Wissenschaftsbetrieb, wenn es diese Armee von Laien-Forschern nicht gäbe, ist Lachmann überzeugt.

Charles Darwin würde dem sicherlich zustimmen. Um seine Evolutionstheorie belegen zu können, schrieb er alleine innerhalb eines Jahres 1500 Briefe, sowohl an Naturkundler also auch Laien - per Post und ohne Google, Facebook oder Twitter. Darwin setzte auf Bürgerwissenschaft, lange bevor sie durch das Internet zum Massenphänomen wurde.

Aber führt die Laienforschung auch zu echten Ergebnissen? Eindeutig “Ja”, sagt Mathias Nuss vom Dresdner Senckenberg Museum für Tierkunde. Laienwissenschaftler böten die nötige Manpower um die Daten zu sammeln, von denen professionelle Wissenschaft abhängt.

Konkret: Bei mehr als 34.000 Insektenarten alleine in Deutschland wäre es professionellen Entomologen unmöglich alle wichtigen Daten über diesen riesigen Artenreichtum zu katalogisieren. Und hier spielen passionierte Nicht-Wissenschaftler eine Schlüsselrolle. Das 2010 gegründete NABU-Projekt “Insekten Sachsen” ermuntert gerade Neueinsteiger dazu, Fotos regionaler Insekten einzureichen, die dann von Experten klassifiziert werden. Dank tausender Freiwilliger feierte das Projekt gerade erst das 2000. eingereichte Foto.

Die Idee kooperativer Laienforschung wird weltweit immer populärer. In Großbritannien helfen Laien in der Krebsforschung, in ganz Nordamerika zählen Amateur-Lepidopterologen Schmetterlinge, und eine weltweite Community dokumentiert Löwenbeobachtungen in der Serengeti.

Und auch eines der artenreichsten Länder der Erde macht dabei keine Ausnahme. Mit deutscher Kooperation hat der brasilianische Serra de Bodoquena Nationalpark ein Biodiversitäts-Monitoring-Programm gestartet, in dem Bewohner und Wissenschaftler gemeinsam Details über die lokale Biodiversität zusammentragen. Angesichts der Tatsache, dass das Land 70 Prozent aller bekannten Pflanzen- und Tierarten beherbergt, sind Bürgerwissenschaftler mehr als nur Forschungsteilnehmer: Sie werden zu wichtigen Akteure im Kampf um den Erhalt der globalen Biodiversität.

Open Science - Offene Wissenschaft

“Laienforscher sind gerade dort essentiell, wo ein Mensch prinzipiell viel besser arbeiten kann, als ein Computer: etwa in der Erkennung von Mustern oder, wenn bestimmte Beobachtungen an vielen verschiedenen Orten gleichzeitig nötig sind”, sagt Kyba.

Kyba glaubt an das große Potential von “Open Science” - dem Bestreben Forschung und Daten der Gesellschaft auf allen Ebenen zugänglich zu machen. Seine “Verlust der Nacht”-App, die die Licht-Verschmutzung dokumentiert, erlaubt es Smartphone-Nutzern auf der ganzen Welt Informationen zur Sichtbarkeit von Sternen und örtlichen Lichtverhältnisse zu sammeln, die in eine große Datenbank einlaufen. Diese Daten nutzen Wissenschaftler dann um Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Umwelt und der Gesellschaft zu untersuchen.

Technologische Neuerungen haben den kooperativen Laienforscher-Ansatz endgültig zum Durchbruch verholfen. Kyba ist überzeugt, dass Internet und Smartphones die Citizen Science-Bewegung enorm gepusht haben. Die einfache Nutzung von GPS oder die Einbettung von Zeit und Ortsinformationen hat viele Citizen Science Projekt möglich gemacht, an die vorher nicht mal zu denken war, sagt er. Mobile-Apps, die besonders durch Spiele inspiriert sind, würden hier in Zukunft eine zentrale Rolle einnehmen.

Aber trotz neuer Technik und oft genutzter Trendbegriffe, wird diese Bürgerwissenschaft von den gleichen grundsätzlichen Fragen getragen, die die Wissenschaftlergemeinde schon immer angetrieben haben, sagt Kyba.

“Ich denke, dass Wissenschaftler neuen Ideen immer zunächst skeptisch gegenüber stehen, und das ist gut so. Ein neues Citizen Science-Projekt sollte ebenso kritisch betrachtet werden, wie etwa ein neues Experiment am Teilchenbeschleuniger CERN. Ist die Methode angemessen, um die Forschungsfrage zu beantworten?”

Ein Mann mit Hut baut eine Schmetterlingsfalle (Foto: Privat/ Oliver Thie)
Laienforschung wird in Zeiten von Smartphones und Internet immer bedeutender. Handwerk ist trotzdem wichtig, wie hier, beim Bau einer Schmetterlingsfalle.Bild: Privat/ Oliver Thie
Zwei Personen sitzen auf einer Wiese und beobachten die Natur mit professionellem Gerät (Foto: Privat/ Oliver Thie)
Bürgerwissenschaft hat eine lange Tradition, schon Charles Darwin nutzte sie intensiv.Bild: Privat/ Oliver Thie