Calais-Flüchtlinge nähen sich die Lippen zu
3. März 2016Aus Protest gegen die gewaltsame Räumung des südlichen Teils des Camps im nordfranzösischen Calais haben sich mehrere Flüchtlinge mit Nadel und Faden die Münder zugenäht. Anschließend versammelten sie sich zu einer Kundgebung. "Wir sind Menschen", "Wo ist eure Demokratie?", "Wo ist unsere Freiheit?" stand auf ihren Plakaten, die sie stumm in die Luft hielten.
Ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen sagte: "Sie haben uns gebeten, ihnen die Lippen zuzunähen, das haben wir natürlich abgelehnt." Daraufhin hätten sie es selbst gemacht. "Die Nadeln haben sie erhitzt, um sie zu sterilisieren."
Unter dem Schutz zahlreicher Polizisten hatten Bauarbeiter am Montag mit dem Abriss der provisorischen Hütten im sogenannten Dschungel am Ärmelkanal begonnen. Von dem Lager aus, in dem mehrere tausend Menschen unter erbärmlichsten hygienischen Bedingungen hausen, versuchen die Flüchtlinge, auf Züge oder Lastwagen und Fähren zu gelangen, die sie von Frankreich nach Großbritannien bringen. Einige von ihnen haben dort Verwandte. Generell hoffen sie auf ein besseres Leben dort.
Die französischen Behörden wollen die "Dschungel"-Flüchtlinge auf andere Einrichtungen im Land verteilen. Doch die Migranten befürchten, damit auch die letzte Chance für eine Weiterreise Richtung Großbritannien zu verlieren.
Paris will mehr Geld von London
Angesichts der Flüchtlingskrise in Calais pocht Frankreich jetzt auf mehr Geld von Großbritannien. "Wir erwarten zusätzliche finanzielle Zusagen", erklärte ein Pariser Diplomat im Hinblick auf die französisch-britischen Regierungskonsultationen an diesem Donnerstag im nordfranzösischen Amiens. Unter anderem gehe es darum, neue Aufnahmezentren für Flüchtlinge einzurichten, die Sicherheitsmaßnahmen am Hafen von Calais und am Eurotunnel auszuweiten und den Kampf gegen Schleuserbanden zu verschärfen.
London hatte bereits im August 2015 Paris zusätzliche Finanzhilfen zugesagt. Die Regierung des konservativen Premiers David Cameron will damit verhindern, dass Flüchtlinge auf die britische Insel gelangen.
Deutsche Aktivistin freigesprochen
Die bei den schweren Ausschreitungen zu Beginn der Teilräumung des "Dschungels" festgenommene deutsche Aktivistin ist wieder auf freiem Fuß. Ein Gericht im nahe gelegenen Boulogne-sur-Mer sprach sie vom Vorwurf der Brandstiftung frei. Es gebe keine hinreichenden Beweise gegen die 23-Jährige aus Stuttgart. Freigesprochen wurde auch ein britischer Aktivist.
Flüchtlinge und Aktivisten hatten sich am Montag heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert: Sie warfen Steine auf die Beamten, diese antworteten mit Tränengas. Rund 20 von den Migranten errichtete Hütten wurden in Brand gesetzt. Die Räumung des "Dschungels" geht weiter. Am Mittwoch habe es keine größeren Vorkommnisse gegeben, teilte die Polizei mit.
se/SC (afp, dpa)