Can Dündar spricht von türkischer Rache
23. Dezember 2020"Für mich war das eine Art Racheversuch der Regierung Erdogan", sagte Dündar im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Sie wollten mich wegen einer wahren Geschichte bestrafen und gleichzeitig versuchen, andere Journalisten in der Türkei einzuschüchtern, die es wagen, ein solch sensibles Thema anzusprechen."
Der türkische Journalist, der in Deutschland im Exil lebt, ist von einem Istanbuler Gericht wegen angeblicher Unterstützung des Terrorismus und "militärischer oder politischer Spionage" in Abwesenheit zu 27 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Vorwürfe stammen aus seiner Zeit als Chefredakteur der Oppositionszeitung Cumhuriyet. Hintergrund des Prozesses gegen Dündar ist vor allem ein Bericht aus dem Jahr 2015, in dem seine Zeitung geheime Informationen veröffentlichte, die Waffenlieferungen der türkischen Regierung an Rebellen in Syrien belegen sollten.
Strafe wird nichts in seinem Leben ändern
Dündar lobte die deutsche Öffentlichkeit und die deutschen Medien, die ihn in seiner Notlage "wirklich unterstützt haben". Gleichzeitig sagte er, dass sich die deutsche Regierung zurückhalte, um "Erdogan und seine Regierung nicht zu verärgern". Ihre zögerliche Haltung gründe sich auf die Flüchtlingspolitik, den Handel und die Waffenverkäufe, so Dündar.
Der Journalist sagte, dass wegen seines Exils in Deutschland die Gefängnisstrafe sein tägliches Leben nicht groß beeinflussen werde. "Ich habe schon einige Zeit im Gefängnis verbracht und in der Türkei wurde auf mich geschossen. Dann bin ich ins Exil gegangen. Mein gesamtes Vermögen wurde beschlagnahmt", erzählte Dündar. "Ich glaube nicht, dass die neue Strafe etwas an meinem Leben ändern würde. Also werde ich weiterhin von Deutschland aus in Richtung Türkei berichten."
Dündar will vor den Europäischen Gerichtshof
Dündar und sein Anwaltsteam planen, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Große Hoffnungen hat der Journalist aber nicht - der türkischen Justiz vertraut er nicht. "Das Justizsystem ist fast vollständig unter der Kontrolle von Erdogans Regierung, also gibt es keine Hoffnung auf eine Berufung", sagte er. "Aber wir werden zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen, und ich hoffe, dass die Richter dort bestätigen werden, dass es sich nicht um einen terroristischen Akt, sondern um einen journalistischen Text gehandelt hat."
ina/nob/gri