Cardosos fünf Finger
5. Oktober 2002Für die beiden Männer ist es eine politische Ungerechtigkeit. Weit abgeschlagen liegt Jose Serra, der Favorit Präsident Fernando Henrique Cardosos, im Rennen um das brasilianische Präsidentenamt hinter dem Bewerber der Arbeiterpartei Luiz Inácio "Lula" da Silva und könnte sogar die Stichwahl verpassen. Dabei war es Cardosos und Serras sozialdemokratische PSDB, der es Mitte der neunziger Jahre gelang, die Hyperinflation zu bändigen und Brasilien vorübergehend zum wirtschaftspolitischen Musterschüler Lateinamerikdas zu machen. Doch trotz ihres Sparkurses hat es die Regierung Cardoso nicht geschafft, die Probleme in den Griff zu bekommen.
Wenig Wachstum, viel Kriminalität
So tendiert das Pro-Kopf-Wachstum gegen Null und die Arbeitslosigkeit ist seit 1998 deutlich gewachsen. Ein Fünftel der 175 Millionen Einwohner lebt von weniger als dem Mindestlohn von 200 Real (rund 55 Euro). Zudem ist es der Regierung nicht gelungen, die steigende Verschuldung in den Griff zu bekommen. Im Juli erreichte sie die Rekordmarke von 62 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und lag damit mehr als doppelt so hoch wie zu Beginn von Cardosos Amtszeit. Auch die zunehmende Kriminalität lasten die Wähler der Regierung an.
Schlechtes Zeugnis für Cardoso
Entsprechend schlecht ist die Stimmung in der Bevölkerung. "Cardosos Regierungsleistung wird von der Mehrheit der Bevölkerung als mittelmäßig bis schlecht angesehen", erklärt Gilberto Calcagnotto, Brasilien-Experte am Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg. "Allerdings stellt niemand ihre wichtigsten Errungenschaften, wie die Preiswertstabilität, in Frage." Cardoso habe in vielen Bereichen sein Regierungsprogramm ungenügend umgesetzt. "Er hat gesagt, sein Programm habe fünf Finger. Um zwei von den fünf hat er sich überhaupt nicht gekümmert: die Sicherheit und die Beschäftigung."
Verunsicherung bei den Anlegern
Den internationalen Anlegern wäre es trotzdem lieber, wenn die Sozialdemokraten mit Serra das Ruder in der Hand behielten. Trotz aller Versicherungen Lulas befürchten sie ein Ende von Haushaltsdisziplin und Schuldendienst und hüten sich, in solch unsicheren Zeiten in Brasilien zu investieren. Die Landeswährung Real, der Aktienindex Bovespa und die Kurse der Staatsanleihen – alle befinden sich im Sturzflug. Der Real hat seit Jahresbeginn um fast 40 Prozent verloren. "Die enorme Wirtschaftskrise, die jetzt läuft, kommt von der Unsicherheit der Investoren über die Perspektiven der Wirtschaftspolitik," so Calcagnotto.
Unterstützung durch den Währungsfonds
Selbst die demonstrative Rückendeckung des IWF konnte die Anleger nicht beruhigen. Erst im August hatte der Internationale Währungsfond versucht, das Vertrauen in Brasilien mit einem 30-Milliarden-Dollar-Kredit zu stärken. Doch auch der höchste Kredit, den die Anstalt je vergeben hat, konnte die Ängste nicht dämpfen. Sollte Lula die Wahl gewinnen, wird es seine Aufgabe sein, die Finanzmärkte zu beruhigen. "Ich gehe davon aus, dass alles davon abhängen wird, wen Lula als Zentralbankchef ernennt", mutmaßt Calcagnotto. Der jetzige Chefbanker, Arminio Fraga, wird gehen müssen, soviel scheint sicher. Doch die Finanzmärkte werden einen Präsidenten Lula scharf im Auge behalten.