Puigdemont - Märtyrer der Unabhängigkeit?
25. März 2018Salvador Clara ging einst mit Carles Puigdemont in die Schule. Im Oktober 2017 traf die Deutsche Welle ihn im gemeinsamen Heimatort Amer im Nordosten Kataloniens. Clara war damals Vizebürgermeister des Örtchens, erzählte, wie früh sich sein Schulfreund Carles nach der Unabhängigkeit Kataloniens gesehnt habe, und er sagte über seinen Freund etwas, worüber er seither mehrfach nachgedacht haben dürfte: "Er wäre bereit, für die Unabhängigkeit ins Gefängnis zu gehen."
Als zweiter Sohn einer zehnköpfigen Bäckerfamilie war Puigdemont die politische Karriere nicht gerade in die Wiege gelegt, aber er machte Abitur, zog danach in die nahe gelegene Provinzhauptstadt Girona, wo er Philosophie studierte. Er bereiste Südosteuropa und widmete sich dem Thema "Nationen ohne Staaten" am Beispiel des ehemaligen Jugoslawiens. Er wurde Journalist bei der englischsprachigen "Catalonia Today" und wurde 2004 ihr Chefredakteur. Anschließend gründete er die offizielle katalanische Nachrichtenagentur. Puigdemont spricht fünf Sprachen.
Durch einen "Unfall" zur Macht
Trotz seines frühen Interesses an der Politik gilt Puigdemont eher als Quereinsteiger. Doch nach seiner Wahl zum Bürgermeister von Girona 2011 wurde es turbulent. 2015 übernahm er den Vorsitz des einflussreichen "Verbandes für die Unabhängigkeit Kataloniens". Zum mächtigsten Amt Kataloniens kam er Anfang 2016 dann quasi über Nacht: Nachdem ein Teil des Regierungsbündnisses seinen Vorgänger Artur Mas wegen Korruptionsvorwürfen nicht erneut zum Regionalpräsidenten wählen wollte, war Puigdemont der gemeinsame Nenner der Separatistenkoalition.
Es sei ein "Unfall, das Ergebnis von Umständen" gewesen, dass er überhaupt dieses Amt innehabe, sagte Puigdemont kurz darauf dem deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".
Verfassungsbruch mit Ansage
Dennoch startet er mit großen Worten in sein Amt: "Es sind keine Zeiten für Feiglinge", verkündet Puigdemont in seiner ersten Rede als Präsident der "Generalitat", der politischen Institutionen Kataloniens. Seinen Worten lässt er Taten folgen: Trotz Drohgebärden der Nationalregierung in Madrid hält er am 1. Oktober 2017 ein Referendum ab, in dem die Katalanen über die Unabhängigkeit der Autonomen Region abstimmen sollen.
Ein solches Referendum ist nach der spanischen Verfassung möglich, aber nur unter Beteiligung aller Spanier. Das wissen auch Puigdemont und seine Regierung, aber sie stören sich nicht daran.
Zwischen allen Stühlen
Um das Referendum zu stoppen, hat Madrid Polizei nach Katalonien entsandt. Auf dem Weg zum Wahlamt wechselt der Regionalpräsident Gerüchten zufolge unter einer Brücke das Auto und schüttelt seine Beschatter ab. An den Wahlbüros stoßen Polizisten mit Wählern zusammen, fast 900 Menschen werden verletzt - für die Separatisten der Beweis für die Unterdrückung aus Madrid. Der Ruf nach Unabhängigkeit erreicht einen neuen Höhepunkt.
Wie bei früheren Befragungen haben deutlich weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten abgestimmt. Doch Puigdemont feiert die 90-prozentige Zustimmung als Sieg. Dennoch laviert er im Streit mit der Nationalregierung: Er unterschreibt die Unabhängigkeitserklärung, setzt sie aber sogleich wieder aus.
Doch sein Widersacher, Spaniens Präsident Mariano Rajoy, geht auf das vermeintliche Gesprächsangebot nicht ein, sondern droht mit Verfassungsartikel 155, der unter anderem die Entmachtung einer Regionalregierung vorsieht, wenn diese die spanische Verfassung missachtet.
Auch intern scheint sich Puigdemont verzettelt zu haben: Sein Regierungsbündnis "Junts pel Sì" (Gemeinsam für das Ja) bröckelt. Es besteht aus Konservativen, Liberalen, Linksrepublikanern und Radikallinken. Vor allem Letzteren ist ihr Präsident nicht aggressiv genug.
Flucht vor der Justiz
Wie sich Puigdemont den Weg zur Unabhängigkeit vorstellte, bleibt unklar: Drei Wochen nach dem Referendum setzt Madrid seine Regierung unter Berufung auf Artikel 155 ab. Puigdemont flieht vor der spanischen Justiz nach Brüssel, während mehrere Mitglieder seiner Regierung inhaftiert und wegen Rebellion angeklagt werden. Spanien erlässt einen Europäischen Haftbefehl gegen Puigdemont, zieht aber wieder zurück, um diplomatische Verwicklungen mit Belgien zu umgehen.
Aus dem Exil mischt sich Puigdemont weiter in die katalanische Politik ein, klagt die spanische Regierung an, mit seinen Gefährten "politische Gefangenen", ja "Geiseln" genommen zu haben. Viele empfinden das als Verhöhnung der Opfer der Franco-Diktatur.
Den neu formierten Parteienbündnissen der Separatisten schadet das kaum: Bei der Neuwahl im Dezember erlangen sie wieder eine Mehrheit im katalanischen Parlament. Puigdemont interpretiert das als erneutes Votum für die Unabhängigkeit und wird trotz Flucht und Exil als Kandidat für den Regierungsvorsitz gehandelt. Doch ein spanischer Haftbefehl hält ihn von der Rückkehr ab.
Feiger Verräter oder kluger Märtyrer
Puigdemonts Flucht wirft bald die Frage auf: Ist er ein Verräter? Während seine Minister im Gefängnis sitzen, lasse er es sich in Brüssel gut gehen, ätzen die einen. Als Opfer Madrids sei er den spanischen Schergen entwischt, sagen die anderen und sehen ihn, wie seine Mitstreiter, als Märtyrer der Unabhängigkeit.
Klar ist: Freiwillig geht er nicht ins Gefängnis. Stattdessen versucht Puigdemont seinen schwindenden Einfluss geltend zu machen. Seine eigene Kandidatur für die katalanische Präsidentschaft zieht er erst Anfang März 2018 offiziell zurück - "einstweilen", wie er in einer Videobotschaft erklärt. Die Wahl des gemeinsamen Kandidaten seiner neuen Liste "Junts per Catalunya" und der "Esquerra Republicana de Catalunya" scheitert am 22. März, weil die radikale Splitterpartei CUP sich der Stimme enthält.
Wenige Tage später befindet sich Puigdemont zu einem Vortrag in Helsinki, als die spanische Justiz einen neuen Europäischen Haftantrag stellt. Finnland will dem nachkommen, aber der Flüchtige hat das Land bereits verlassen. Am 25. März wird er Puigdemont in Deutschland nahe der dänischen Grenze festgenommen.
Nun prüft die deutsche Justiz seine Auslieferung nach Spanien. Dort drohen ihm wegen Rebellion und Veruntreuung öffentlicher Gelder für das illegale Referendum bis zu 30 Jahre Haft. Im Gefängnis wäre er dann wegen der Unabhängigkeit, aber wohl nicht am Ziel.