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Im Kino: "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"

Hans Christoph von Bock
9. Dezember 2019

"Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" wurde 1971 als Buch veröffentlicht. Die Autorin Judith Kerr beschreibt darin teils autobiographisch eine Fluchtgeschichte aus Nazi-Deutschland. Caroline Link hat es verfilmt.

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Deutschland Weltpremiere des Films "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Einige der Darsteller bei der Premiere des Films in BerlinBild: Imago Images/Photopress Müller

Caroline Link zählt zu den erfolgreichsten Filmemacherinnen Deutschlands - sie ist eine große Geschichtenerzählerin. Bereits ihr Kinodebüt "Jenseits der Stille" über die Tochter gehörloser Eltern bekam 1996 eine Oscar-Nominierung. Für das Emigrationsdrama "Nirgendwo in Afrika" gab es 2001 dann einen Oscar. Familie, Kindheit, Coming of Age, Themen, die sich wie ein roter Faden durch Caroline Links Werk ziehen. Nun kommt ihre Verfilmung des Jugendbuchklassikers "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" von Judith Kerr in die Kinos. Lange Zeit galt es als Standardwerk für den Schulunterricht zur Einführung in das Thema Nationalsozialismus und in die Flüchtlingsproblematik. 1974 wurde der Roman mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Im Mittelpunkt steht die neunjährige Jüdin Anna, die mit ihrer Familie vor den Nazis von Berlin über die Schweiz nach London fliehen muss. DW hat Caroline Link in München zum Interview getroffen.

Filmstill von "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Verfilmung des Kinderbuchs "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"Bild: Sommerhaus/Warner Bros.

DW: Was hat Sie am Buch von Judith Kerr interessiert, dass sie es auch als Film erzählen wollten?

Caroline Link: Ich hab lange darüber nachgedacht, ob ich nach 'Nirgendwo in Afrika' nochmal einen Film machen möchte, in dem es um eine jüdische Familie geht, die im Exil den Krieg überlebt und aus einer fremden Welt auf das Geschehen Zuhause schaut. Was mich schließlich überzeugt hat, ist, dass diese Geschichte komplett aus der Perspektive der neunjährigen Anna erzählt wird, die die Zeit der Flucht gar nicht nur als schrecklich empfindet, sondern auch als großes Abenteuer. Der Film ist also, wie das Buch, der Versuch, Kindern und Jugendlichen die Nazizeit nahezubringen, ohne dass man sie mit zu viel Grauen schockiert. Trotzdem erzählen wir von dem Schmerz, den man empfindet, wenn man von heute auf morgen seine Heimat verlassen muss.

Haben Sie die Autorin kennengelernt und konnte sie den Film sehen?

Leider nicht, ich habe mit Judith Kerr nur telefoniert und sie hat sich zu dem Drehbuch geäußert. Gerade zu ihrem 95. Geburtstag war ja sehr viel zu lesen und zu sehen ( unter anderem auch die Fernsehdokumentation der Deutschen Welle) über ihre Haltung zu dieser Zeit, zu ihrer Flucht und was es bedeutet, eine Familie zu haben, die einen durch solche schweren Zeiten führt. Es ist schade und sehr traurig, dass sie im Mai 2019 gestorben ist, so knapp bevor wir den Film "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" fertig gestellt haben. Ich hätte ihn Judith Kerr wirklich gerne gezeigt.

Anna flieht mit ihrer Familie aus Deutschland: Filmstill von "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Anna flieht mit ihrer Familie aus DeutschlandBild: Sommerhaus/Warner Bros.

Von der realen Gefahr, die durch die Nazis ausgeht, von der realen Lebensbedrohung für die Familie spürt der Zuschauer in dem Film sehr wenig. Haben Sie sich bewusst entschieden, auf die Visualisierung des Terrors zu verzichten?

Der kommt in dem Roman auch gar nicht vor. Es gibt keine Szene, die sich tatsächlich mit der Bedrohung der Nationalsozialisten beschäftigt. Die Familie Kerr ist schon früh gegangen, 1933, sie wurde von einem befreundeten Polizeibeamten gewarnt. Der Vater Alfred Kerr (ein bekannter Theaterkritiker) stand auf einer schwarzen Liste und würde den Pass entzogen bekommen, wenn Hitler bei den Wahlen eine Mehrheit erhält. Deshalb hat Judith Kerr in ihrem Roman auch vermieden, diese typischen Naziszenen zu erzählen, die wir im Kino ja schon so oft gesehen haben. Ich finde es schön, dass der Film und auch der Roman versuchen, durch eine ganz andere Perspektive auf das Grauen hinzuweisen. Indem wir zeigen, was im Exil empfunden wird und wie schwer es ist, wenn Menschen ihr Zuhause hinter sich lassen müssen und ihre Wurzeln verlieren. Auch heute sind sehr viele Menschen vertrieben oder auf der Flucht. Wir ziehen keinen Vergleich zu den Flüchtlingen aus Syrien oder aus Afrika, deren Situation heute noch existentieller und schrecklicher ist als das der Familie Kerr 1933, die immerhin immer ein Dach über dem Kopf hatte und genug zu essen. Aber was alle gemeinsam haben, ist natürlich das Gefühl, in einem Land zu sein, in dem man die Spielregeln nicht kennt, die Sprache nicht versteht und wieder ganz neu anfangen muss. Vielleicht gelingt es dem Film, dafür eine Sensibilität zu schaffen, was das bedeutet, für die Menschen in einem völlig fremden Land Fuß zu fassen.

Ihre Generation hat den Krieg nicht selbst erlebt. War Krieg in ihrer Familie Thema? Wie haben Sie sich damit auseinandergesetzt?

Kinostart "Der Junge muss an die frische Luft", 2018 Regie: Caroline Link
Caroline Link führt RegieBild: Warner Bros.

Durch meinen letzten Film "Der Junge muss an die frische Luft", der in den 70er Jahren spielt, habe ich tatsächlich als Erwachsene noch einmal verstanden, wie nahe der Zweite Weltkrieg damals war, wie sehr doch meine Eltern und Großeltern vom Krieg gezeichnet waren. Meine beiden Omas waren typische Kriegsfrauen, die ihre Familien unter schweren Bedingungen durchgebracht haben. Die Männer waren eigentlich immer abwesend und wollten auch nicht mehr über den Krieg sprechen. Ich erinnere mich noch an Schilder in Bussen und Bahnen "Für Schwangere und Kriegsversehrte ist Platz zu machen!" Auf der Straße und im Alltag habe ich als Kind häufig Männer gesehen, die offensichtlich vom Krieg verwundet waren . Das Trauma hat schon noch hineingeweht in meine Kindheit.

Filmstill von "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" mit Schweizer Bergen im Hintergrund
Erste Station auf der Flucht ist die SchweizBild: Sommerhaus/Warner Bros.

Das Thema Familie, Kinder, erwachsen werden zieht sich durch alle Ihre Filme. Und Sie haben ein besonderes Gespür für Ihre jungen Darsteller, ob in "Der Junge muss an die frische Luft" oder jetzt in "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Wann ist der Moment, in dem Sie sagen: 'Ja, dieses Kind ist es!'?

"Ja, der ist es!" ist immer so viel auf den Schultern von einem Kind. Es ist eher der Gedanke: Mit dem oder der kriege ich das hin, mit ihr oder ihm kann man das machen. Kinder sind ja nicht von sich aus große Schauspieler. Sie brauchen jemanden, der ihnen genau sagt, was in der Szene von ihnen verlangt wird, und das mit ihnen dann herausarbeitet. Es ist ja nicht so, dass ein Kind kommt und genial ist. Aber man kann mit Kindern das dann herausarbeiten, wenn sie Talent und diese Natürlichkeit haben. Deshalb arbeite ich immer gerne mit Kindern, die noch nie vorher etwas gedreht haben, weil sie noch nicht über ihre Wirkung nachdenken. Wie jetzt Riva Krymalowski, die die Anna im "Rosa Kaninchen" spielt. In der ersten Arbeit sind Kinder noch sehr offen und wenn ich sage, 'geh durch den Raum', dann gehen sie durch den Raum und denken sich nichts dabei. Schauspieler versuchen ja meistens, irgendwas darzustellen oder rüberzubringen. Kinder können so wunderbar einfach sein.

Das Gespräch führte Hans-Christian von Bock