Neue Köpfe und Konzepte gesucht
4. November 2018Trist und grau ist es in Berlin. Die Wolken hängen tief. Müde und welk halten sich noch verbliebene Blätter in den Bäumen. Es ist etwas zu Ende gegangen. Nicht nur in der Natur, auch in der Politik. Nach 18 Jahren an der Spitze der Christdemokraten will Angela Merkel nicht wieder für den Parteivorsitz kandidieren. Wer wird sie beerben? Interessenten gibt es bislang zwölf. Drei bekannte und neun unbekannte CDU-Mitglieder haben ihren Hut in den Ring geworfen. Für wen wird sich die Partei entscheiden? Und wie soll der Entscheidungsprozess verlaufen?
Darüber spricht der CDU-Vorstand in Berlin auf einer Klausurtagung, die bis Montagmittag dauern soll. Der oder die neue Vorsitzende soll am 7. Dezember auf einem CDU-Parteitag von rund eintausend Delegierten gewählt werden. Damit sich alle CDU-Mitglieder eine Meinung bilden können, werden sie zuvor auf Regionalkonferenzen mit den Kandidaten eingeladen. "Alle sollen genau abwägen können, was für die eine oder den anderen spricht", so der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet vor Beginn der Klausurtagung. "Das ist ein Prozess, den die CDU lange nicht mehr erlebt hat und der der Bundespartei gut tut."
Es wird auch eine Richtungsentscheidung
Zwei der sechs Kandidaten sitzen bei der Klausurtagung in Berlin mit am Tisch: CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Friedrich Merz, der dritte aussichtsreiche Bewerber im Rennen um Merkels Nachfolge fehlt, da er kein Mitglied im CDU-Vorstand ist.
Wer auch immer am Ende das Rennen machen wird - es wird auch eine Richtungsentscheidung sein. Die Generalsekretärin wird oft als Merkel 2.0 bezeichnet, unter ihr würde sich wohl am wenigsten ändern in der Partei. Aber geht es nach den Verlusten bei den zurückliegenden Wahlen nicht gerade darum, die CDU neu zu positionieren? Das wollen Jens Spahn und Friedrich Merz. Beide Männer sind Kritiker Angela Merkels, man könnte sie auch als klare Gegner der Kanzlerin bezeichnen.
Merz und Spahn stechen sich gegenseitig aus
Dumm für die beiden ist, dass ihre Positionen sich so sehr ähneln. Die beiden konservativen Männer kommen auch noch aus demselben Landesverband, nämlich Nordrhein-Westfalen. Damit machen sie sich gegenseitig die größte Konkurrenz. Tatsächlich haben sich bislang weder die Junge Union, noch die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung explizit für Spahn oder Merz ausgesprochen. Sie könnten mit beiden Kandidaten gut leben.
Der größte Unterschied zwischen den beiden ist das Alter und ihre Einstellung zur Flüchtlingspolitik. Zwar warnt der 62-jährige Merz vor "Überforderungs- und Überfremdungsängsten" in der deutschen Bevölkerung sowie Kriminalitätsentwicklungen, die "punktuell, nicht strukturell" Anlass zur Sorge bieten. Aber grundsätzlich hat er mit den derzeit niedrigen Flüchtlingszahlen keine Probleme.
Spahn prescht vor
Ganz anders der 38-jährige Jens Spahn. Der "Welt am Sonntag" gab er ein langes Interview, in dem er auf Distanz zum UN-Migrationspakt ging. "Wichtig ist, dass Deutschland seine Souveränität behält, Migration zu kontrollieren, zu steuern und zu begrenzen." Sehr wichtig finde er, dass es im Migrationspakt nicht nur um die Aufnahmeländer gehe, sondern auch um die Verantwortung der Herkunftsländer. "Dort liegt doch der eigentliche Schlüssel und auch der Teil muss in der Debatte eine Rolle spielen."
Wer in einem Monat das Rennen um die Nachfolge Merkels machen wird, ist derzeit allerdings noch vollkommen offen. Das liegt auch daran, dass sich die führenden Köpfe in der CDU davor hüten, vorzeitig Position zu beziehen. CDU-Vize Thomas Strobl sagte vor der Klausurtagung, die Partei mache derzeit den Eindruck, als sei sie "praktisch wachgeküsst" worden. Es gehe sehr munter zu. "Die CDU lebt." Nach diesem Prozess werde die Partei "hoffentlich schon besser dastehen, als sie heute dasteht".
Auch die SPD begibt sich in Klausur
Auf einen Neuanfang hoffen auch die Sozialdemokraten. Auf ihrer parallel zur CDU stattfindenden Vorstandsklausur wollen sie allerdings weniger über Köpfe, sondern vielmehr über Konzepte reden.
Nach den desaströsen Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen Mitte und Ende Oktober steht SPD-Chefin Andrea Nahles vor einem Scherbenhaufen. Bundesweit sind die Umfragewerte im Keller und immer weniger Bürger wissen, wofür die SPD thematisch eigentlich noch steht.
Im April war Nahles als neue Vorsitzende mit dem Versprechen angetreten, die Partei einerseits zu erneuern und andererseits in der großen Koalition mit CDU und CSU "gut" zu regieren. So gut, dass die Wähler schon wieder zurückkommen würden. Ein Spagat, der nicht aufgegangen ist. Im Gegenteil. Die SPD ist im freien Fall. Daher mehren sich innerparteilich die Stimmen derer, die aus der von Anfang an ungeliebten GroKo so schnell wie möglich wieder aussteigen wollen. Und nicht wenige fordern gar den Rücktritt des gesamten Führungspersonals.
Die Sozialdemokraten kämpfen ums Überleben
SPD-Chefin Nahles kontert die Kritik mit einem Gegenangriff. Sie führe die SPD mit all ihrer "Kraft, Leidenschaft und Zuversicht", sagte Nahles der "Süddeutschen Zeitung". "Wenn jemand meint, es schneller oder besser zu können, soll er sich melden." Auf der Klausurtagung in Berlin will Nahles unbedingt abwenden, dass der für Ende 2019 geplante SPD-Bundesparteitag samt Wahlen vorgezogen wird, wie es der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert fordert. Denn damit würde tatsächlich deutlich früher als geplant sowohl über Nahles politische Zukunft als auch über die GroKo entschieden.
Stattdessen will die SPD-Chefin über inhaltliche Fragen sprechen und den Erneuerungsprozess der Partei deutlich beschleunigen. Statt erst Ende 2019 soll nun bereits Anfang nächsten Jahres feststehen, wohin die Partei programmatisch will. Für die weitere Zusammenarbeit mit CDU und CSU hat Andrea Nahles zusammen mit ihrem Generalsekretär Lars Klingbeil einen Forderungskatalog ausgearbeitet. Darin werden konkrete Regierungsvorhaben aufgelistet. Mit genauem Zeitpunkt, wann sie umzusetzen sind.
Zwischendurch auch noch Regieren
Diesen Katalog will Nahles so schnell wie möglich mit der Union abstimmen. Angesichts der desolaten Lage der SPD kann die Parteichefin nicht warten, bis die CDU Angela Merkels Nachfolge geregelt hat. Das ist aber auch den Christdemokraten durchaus bewusst. "Wir werden nicht vergessen, dass Deutschland zwischendurch auch noch regiert werden muss", sagte CDU-Vize und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier kurz vor der Klausurtagung seiner Partei. "Es gibt viele Probleme, die wir lösen müssen."