CDU-Vorsitz: Konflikte für die Kanzlerin
5. Dezember 2018Der anstehende Bundesparteitag der CDU ist mit Erwartungen überhäuft. Die Entscheidung über die Merkel-Nachfolge an der Parteispitze ist - was die Christdemokraten bei einer zentralen Personalentscheidung gar nicht kennen - völlig offen. Für das Treffen in Hamburg sind 1500 Medienvertreter akkreditiert. Eine rekordverdächtige Zahl. Der Politologe Frank Überall nennt die Entscheidung von Angela Merkel, den CDU-Parteivorsitz zum jetzigen Zeitpunkt aufzugeben, "historisch". Der Parteitag sei ein Datum, an dem die Weichen für die Zukunft der Partei gestellt würden.
Die Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz ist in Deutschland ungewöhnlich, aber nicht einmalig. Zuletzt gab es das auf Seiten der SPD. Im März 2004 gab der damalige Parteichef Gerhard Schröder im Ringen um die Durchsetzung umstrittener sozialpolitischer Reformen den Vorsitz ab und führte die rot-grüne Bundesregierung noch 18 Monate lang. Und von 1974 an war Helmut Schmidt acht Jahre Kanzler, während Willy Brandt die Sozialdemokraten führte.
Bei der CDU muss man mehr als 50 Jahre zurückblicken: In den 1960er Jahren war Ludwig Erhard drei Jahre Kanzler, ohne an der Spitze der Partei zu stehen. Danach führte sein Parteikollege Georg Kiesinger ein Jahr die Regierung, aber nicht die Partei. Doch spätestens mit Helmut Kohl (CDU-Chef von 1973-1998, Bundeskanzler von 1982-1998) war klar: Die Führungsgestalt will beide Bereiche kontrollieren, die Partei als seine Machtbasis und die Regierung als politische Exekutive. Auch für Angela Merkel gehörten die beiden Spitzenpositionen - die Kanzlerschaft und der Parteivorsitz - zusammen. Deshalb ist der anstehende Wechsel an der Spitze eine wichtige Zäsur.
"Eine spannende Erfahrung"
Die Aufteilung der beiden Ämter ist das eine. Als mindestens so ungewöhnlich gilt das völlig offene Rennen von mehreren Kandidaten für die Parteiführung. "Das ist für die CDU auch eine neue Erfahrung, eine spannende Erfahrung, dass die Delegierten da tatsächlich eine Auswahl haben und es ein Kandidaten-Wettrennen gibt", sagt Überall, der an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln Politik, Soziologie und Journalismus lehrt. Kein Experte wagt im Vorfeld zu sagen, ob Annegret Kramp-Karrenbauer (die eher als Merkel-nah gilt) oder Friedrich Merz (einst einer ihrer parteiinternen Gegner) auf Merkel folgt. Nur bei Jens Spahn scheint nach allen Umfragen klar: Er hat keine Chancen, die Führung der Partei zum jetzigen Zeitpunkt zu übernehmen.
Wer auch immer gewählt wird - Kanzlerin Merkel wird sich an das Gesicht gewöhnen müssen. Denn der oder die Neue sitzt mit am Tisch bei den Koalitionsrunden, den unregelmäßig stattfindenden Spitzentreffen der großen Koalition. Für Überall ist das "ein ganz wichtiger Punkt". Wer bei diesen Gesprächen im Kanzleramt dabei sei, könne Debatten mit beeinflussen, ihnen eine Richtung geben. Das bringe viel Macht für die Person an der Spitzen der Volkspartei.
Mehr Diskussionskultur
Überall erwartet auf jeden Fall eine spürbare Veränderung für die CDU. Unter Merkel sei für die Partei gewiss vieles gut gelaufen. "Aber eins hat kaum stattgefunden, nämlich wirklich Kontroversen auszutragen." Traditionell gehören zu einer Volkspartei verschiedene Flügel. Unterschiedliche Ausrichtungen unter einem Dach. Bei der CDU sind dies der eher linke soziale Flügel, der eher rechte konservative und der wirtschaftsliberale Flügel. "Und gerade der konservative Flügel der CDU fühlt sich in der Vergangenheit weniger wahr- und weniger ernstgenommen", sagt Überall. Der oder die neue Vorsitzende werde da gewiss "wieder etwas mehr Diskussionskultur in die Partei hineintragen". Mag sein, dass dem Unionslager dann etwas von der Konfliktfreude zwischen Partei und Regierungsauftrag ins Haus steht, mit der sich der Koalitionspartner SPD seit vielen Monaten vergnügt.
…und ein neuer "General"
Wer künftig als Chef im Adenauer-Haus sitzt, wird nicht nur der Partei dienen, sondern auch eigene Akzente setzen und entsprechend bekannt werden wollen. Der Parteivorsitzende ist nach allgemeiner Erwartung favorisiert, wenn Merkel auch als Kanzlerin abtritt und die Spitzenkandidatur bei der nächsten Bundestagswahl ansteht. Er wird auf jeden Fall einen neuen Generalsekretär oder eine Generalsekretärin ernennen müssen und auch damit eine Richtungsentscheidung anzeigen. Die derzeitige Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer steht für dieses Amt nicht mehr zur Verfügung. Frank Überall fände es nicht überraschend, wenn ein "etwas scharfkantigerer" Vertreter diese Rolle übernehmen und die Parteilinie "intensiver und vielleicht auch frecher" vertreten würde.
Übrigens: Im Statut der CDU ist immer schon die Möglichkeit vorgesehen, dass ein CDU-Politiker zwar Bundeskanzler, aber nicht Parteivorsitzender ist. Ein CDU-Bundeskanzler gehört qua Amt stets auch dem Parteipräsidium an. Wie auch immer der oder die neue Vorsitzende heißt - Merkel bleibt im Spitzengremium.