Ceta: Schicksalstage für Sigmar Gabriel
16. September 2016Ceta, Ceta und noch einmal Ceta. Im Terminkalender von Sigmar Gabriel gibt es derzeit nichts, was mehr Raum einnimmt als das europäisch-kanadische "Comprehensive Economic and Trade Agreement". Der Bundeswirtschaftsminister ist Feuer und Flamme für Ceta. Es sei ein gutes Abkommen. "Gegenüber Kanada haben wir exzellente Bedingungen durchsetzen können", freute sich Gabriel noch bevor er sich auf den Weg nach Montreal machte, um letzte Absprachen mit Ministerpräsident Justin Trudeau und Handelsministerin Chrystia Freeland zu treffen.
Gespräche, die nicht ohne Grund gerade jetzt stattfanden. Am Montag wollen die Sozialdemokraten auf einem kleinen Parteitag in Wolfsburg darüber entscheiden, ob sie das Abkommen mittragen oder nicht. Vier SPD-Landesverbände sind strikt dagegen, dazu kommt der gesamte linke Parteiflügel. Eine missliche Lage für SPD-Chef Sigmar Gabriel, der sich für Ceta politisch weit aus dem Fenster gelehnt hat.
Sollte die SPD ihm nicht folgen, hätte das für den Bundeswirtschaftsminister außenpolitisch zwar keine rechtliche Bindung für die Abstimmung innerhalb der EU, doch er wäre innenpolitisch als SPD-Vorsitzender und potenzieller Kanzlerkandidat unmöglich gemacht. Daher setzt er alles daran, den Widerstand gegen Ceta so weit wie möglich einzufangen und zu entkräften.
Änderungen sollen her
Es sind die Gewerkschaften, auf die Sigmar Gabriel in dieser Situation setzt. Das mutet kurios an, da der Deutsche Gewerkschaftsbund seit Monaten gegen die Freihandelsabkommen wettert. Die zum DGB gehörende Dienstleistungsgewerkschaft verdi hat mit Umwelt-, Sozial- und Verbraucherorganisationen für Samstag zu bundesweiten Großdemonstrationen aufgerufen. Unter dem Motto "CETA & TTIP stoppen - für einen gerechten Welthandel!" sollen zwei Tage vor dem SPD-Parteikonvent in sieben Großstädten Hunderttausende auf die Straße gehen.
Doch hinter den Kulissen laufen intensive Gespräche. Gabriel verhandelt auf höchster Ebene mit den Gewerkschaften, um sie doch noch auf seine Seite zu ziehen. Der Kompromiss soll darauf hinaus laufen, Ceta zwar auf den Weg zu bringen, im parlamentarischen Beratungsverfahren jedoch Klarstellungen und Verbesserungen zu erreichen. Eine Linie, für die der Bundeswirtschaftsminister in Kanada offenbar erfolgreich werben konnte. Kanada sei zu solchen "rechtsverbindlichen Klärungen" bereit, um Skeptiker vom Nutzen von Ceta zu überzeugen, sagte Handelsministerin Chrystia Freeland nach dem Treffen in Montreal.
Mehr als Augenwischerei?
Gabriel kündigte eine gemeinsame Erklärung Kanadas und der EU-Kommission noch vor der auf einem Gipfeltreffen in Brüssel geplanten Unterzeichnung von Ceta am 27. Oktober an. "Die Dinge, die jetzt noch von den kanadischen und deutschen Gewerkschaften angemahnt werden, die werden wir auch noch lösen können." Dabei gehe es insbesondere um die Bereiche Investitionsschutz und Arbeitnehmerrechte. Beide Minister betonten allerdings, dass es dabei nur um die Klärung von Details ginge. Neuverhandlungen über Ceta werde es nicht geben.
Ob sich die Ceta-Gegner davon beeindrucken lassen? Marietta Strasser von der globalisierungskritischen Organisation Campact bleibt kritisch: "Das war ein reiner Schleiertanz, den SPD-Chef Gabriel in Kanada aufgeführt hat." Das Abkommen sei ausverhandelt, der Vertragstext liege fertig vor. "Wir halten es für sehr, sehr unrealistisch, dass vor der Abstimmung im EU-Rat ein bindendes Zusatzabkommen ausgehandelt werden kann." Für die Grünen meldete sich der Bundestagsabgeordnete Sven Kindler auf Twitter zu Wort.
3,4 Millionen Flyer laden zur Demo ein
Die Ceta-Gegner setzen darauf, dass von den Großdemonstrationen am Samstag ein deutliches Signal an den SPD-Parteikonvent ausgeht. Außerdem haben sie einen Brief an die SPD-Delegierten geschrieben, in dem sie den Parteikonvent zur Ablehnung des Abkommens aufrufen. "Ceta stärkt den ohnehin zu dominanten Einfluss der Konzerne und schwächt die demokratischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger", heißt es in dem Schreiben, das unter anderem von Greenpeace, Foodwatch und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) unterschrieben ist.
Sigmar Gabriel hält dagegen, der EU sei mit den Kanadiern gelungen, was in den Verhandlungen mit den USA über das "Transatlantic Trade and Investment Partnership", kurz TTIP, bislang gescheitert sei. "Wir haben keine privaten Schiedsgerichte mehr - die wollen die US-Amerikaner unbedingt", zählt Gabriel auf, "wir haben eine richtige Marktöffnung und die ist besonders wichtig für mittelständische Unternehmen - die verweigern die Amerikaner." Der Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge sei genauso verankert wie ein Recht auf Re-Kommunalisierung und Re-Verstaatlichung. "Wir haben den Schutz der Kulturförderung und vieles andere mehr."
Blaupause für TTIP?
Es gehe darum, "nachhaltige, gute Regeln für die Globalisierung zu schaffen", sagte Gabriel in Montreal. "Niemand steht Europa in der Auffassung, was dort zu tun ist, so nah wie Kanada." Ceta werde dafür sorgen, dass zukünftige Abkommen höhere Standards erreichen müssten, "zum Beispiel in der Debatte mit den USA". Damit zielt Gabriel auf TTIP, das er stets vehement verteidigt und für notwendig erachtet hatte, das in seinen Augen inzwischen aber "de facto gescheitert" sei, "auch wenn es keiner so richtig zugibt".
Kritiker unterstellen ihm einen Rückzug aus taktischem Kalkül. Indem der SPD-Chef das bislang immer weitaus umstrittenere TTIP fallen lasse, versuche er, seine Gegner ein wenig besänftigen, um wenigstens Ceta zu retten.
Freeland kommt nach Wolfsburg
Dass die Bundeskanzlerin weiterhin auf erfolgreiche TTIP-Verhandlungen setzt, scheint Gabriel dabei nicht zu kümmern. "Weiterhin der Fiktion hinterher zu laufen, als ob mit den Amerikanern, die absolut nicht in der Lage und bereit sind, europäischen Anforderungen nachzugeben, ein Verhandlungsergebnis in diesem Jahr zu erreichen und damit ständig irgendwelche Demonstrationen zu beschäftigen, halte ich für keine, sagen wir mal, Maßnahme politischer Klugheit", erwiderte er auf Kritik aus dem Kanzleramt.
Ob ihn das in den Augen seiner Partei tatsächlich glaubwürdiger macht? Die Abstimmung in der SPD am Montag wird hinter verschlossenen Türen stattfinden. Eingeladen ist auch Chrystia Freeland. Die kanadische Handelsministerin soll den Delegierten glaubwürdig versichern, dass es zu den die gewünschten Änderungen an Ceta tatsächlich rechtsverbindlich kommen wird. Auf das Votum der SPD-Basis darf man gespannt sein.