EU: Migranten in Ceuta sollen zurück
18. Mai 2021Ylva Johansson strickt, während sie der Debatte von EU-Abgeordneten im Brüsseler Europaparlament zuhört. Vielleicht um ihre Nerven zu beruhigen. Die EU-Kommissarin für Inneres, zuständig für Migration, hat kein leichtes Ressort.
Schon per se nicht. Zu zerstritten sind die 27 Länder der Europäischen Union. Die einen wollen mehr Hilfe, andere wollen keine Geflüchteten aufnehmen. Migration ist in der EU immer ein wichtiges Thema, aber auch eines, das ab und an aus dem Scheinwerferlicht verschwindet. Nur um dann wieder eine umso größere Rolle auf der EU-Bühne zu spielen.
Zum Beispiel gerade. Seit Beginn der Woche sind etwa 6000 Migranten in Ceuta angekommen, einer spanischen Exklave in Nordafrika, der einzigen Landgrenze der EU mit Afrika. Viele schwammen in der Nacht von Marokko aus durchs Meer oder liefen bei Ebbe, um nicht über die Zäune klettern zu müssen, welche die Stadt umgeben.
Dass Menschen aus Marokko oder anderen Ländern Afrikas über Ceuta - oder die zweite spanische Exklave Melilla - versuchen, in die EU zu gelangen, ist nichts Neues. Spanischen Medien zufolge waren es aber noch nie so viele an einem Tag.
EU-Kommission besorgt über die Lage in Ceuta
EU-Kommissarin Ylva Johansson spricht von bisher "beispiellosen irregulären Ankünften" in Ceuta. Es sei besorgniserregend, dass so viele Menschen, darunter ein hoher Anteil Kinder, ihr Leben aufs Spiel setzten. Viele hätten gerettet werden müssen, eine Person sei gestorben.
"Das Wichtigste ist jetzt, dass Marokko weiter irreguläre Ausreisen verhindert." Außerdem müssten Menschen, "die keine Bleiberecht haben, geordnet und effektiv zurückgeführt werden", so Johansson.
Denn eigentlich hat sich Marokko in einer 2013 geschlossenen "Mobilitätspartnerschaft" mit der EU dazu verpflichtet, illegale Migration stärker zu bekämpfen. Im Gegenzug können Marokkaner und Marokkanerinnen einfacher in die EU einreisen. Allein im Jahr 2019 bewilligte die EU Marokko 101,7 Millionen Euro, um Schleuser und irreguläre Migration zu bekämpfen.
Aufgrund dieses Deals - und eines hohen Zauns, der sich um Ceuta und Melilla rankt - hatten marokkanische Sicherheitskräfte Migranten meist schon vorher abgehalten. Grund dafür, dass sie die Tausenden Menschen diesmal haben passieren lassen, könnte ein diplomatischer Streit sein - zwischen Spanien und Marokko wegen der nach Unabhängigkeit strebenden Westsahara.
"Marokko spielt mit Spanien und der gesamten Europäischen Union"
Im Brüsseler Europaparlament sagt die spanische Abgeordnete Maite Pagazaurtundua von der liberalen Renew-Fraktion, Marokko spiele mit Spanien und der gesamten Europäischen Union. Die EU brauche endlich eine gemeinsame Asylpolitik, um nicht dieser Art von Erpressung ausgesetzt zu sein.
Und tatsächlich ringen die 27 EU-Länder, das Europäische Parlament und die EU-Kommission, die Exekutive des Blocks, seit Jahren um Modelle, die Migration und Asyl in der EU besser regeln, als das im Moment der Fall ist.
Ein Versuch ist der neue Migrationspakt, den EU-Kommissarin Ylva Johansson im September vergangenen Jahres vorstellte. Sie unterstrich darin besonders, dass die Außengrenzen der EU gesichert - und Menschen, die kein Recht auf Asyl haben, so schnell wie möglich in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden müssten.
Bei beiden Vorhaben ist die Europäische Union auf andere Staaten angewiesen, Länder wie die Türkei und Marokko etwa. Während EU-Abgeordnete wie der Österreicher Harald Vilimsky von der rechtsgerichteten FPÖ nur eine Lösung bei der momentanen Lage in Ceuta sehen, nämlich "dass Europa seine Grenzen schließen muss", sehen andere das Problem eben gerade in der Zusammenarbeit mit einigen Nicht-EU-Staaten.
Pushbacks an Ceutas Grenze gelten als legal
"Wir beobachten in Ceuta, was passiert, wenn die EU ihre Außengrenzen an Diktatoren auslagert", sagt etwa der spanische Europaparlamentarier Miguel Urbán Crespo von der Links-Fraktion.
Er meint damit einerseits, Gewalt, Verhaftungen und Schikane gegenüber Migranten auf marokkanischer Seite - Vorwürfe, die Berichte von Medien und NGOs belegen. Andererseits die Tatsache, dass viele Menschen direkt, teils gewaltsam, an der Grenze zurückgewiesen werden, ohne einen Asylantrag stellen zu können.
Was Hilfsorganisationen als Versuch deuten, sogenannte Pushbacks zu legalisieren, wertete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Anfang 2020 als nicht illegal. Der Grund: Die Migranten hätten nicht legale Möglichkeiten genutzt, um in die EU einzureisen. NGOs zufolge werden Asylsuchende allerdings oft von der marokkanischen Polizei davon abgehalten, Grenzübergänge zu erreichen, an denen genau das möglich wäre.
Mit ihrem Migrationspakt will EU-Kommissarin Ylva Johansson auch für mehr legale Wege in die EU sorgen. Wenn es um Migration und Asyl gehe, müsse die EU jetzt sofort etwas tun. "Und wir tun ja gerade auch etwas", sagt sie in Brüssel. Für die Migranten in Ceuta bedeutet das, dass sie möglichst schnell wieder dahin zurück sollen, wo sie herkommen.