Champions-League-Test bestanden!
5. April 2017Es war kein Sieg, der das Titelrennen beeinflussen wird, aber dennoch ein historischer Triumph: Zum ersten Mal hat 1899 Hoffenheim den großen FC Bayern geschlagen. "Wir müssen es schaffen, dass der Bann nicht bricht", hatte Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann noch am Vortag auf die Heimstärke seiner Mannschaft auch gegen die Bayern gehofft. "Sonst fallen sie über dich her." Sein Team enttäuschte ihn nicht. Hoffenheim und Nagelsmann bestanden den Champions-League-Eignungstest mit Bravour.
Punkte fürs Selbstvertrauen
Die Niederlage wird die Bayern - sie stehen mit nach wie vor großem Vorsprung an der Tabellenspitze - auf ihrem Weg zum Titel kaum stoppen, doch Hoffenheim überzeugte mit seinem überfallartigen und torgefährlichen Angriffsfußball. Auch wenn es am Ende noch einmal eng wurde, Hoffenheim besiegte die Bayern durchaus verdient. Vor einem (zu Nagelsmanns Freude) ausverkauften Stadion und den Augen von Nationaltrainer Joachim Löw holte sein Team drei wichtige Punkte, "auch für das Selbstvertrauens-Konto", wie der Trainer hinterher feststellte.
Robben in Schach gehalten
Auch gegen die Bayern verzichteten Nagelsmanns Spieler fast durchgängig auf lange Bälle - Torwart Oliver Baumann spielte in der ersten Hälfte jeden Abstoß kurz ab. Mit Mut und Geschick bewegte sich die Heimmannschaft durch die engen Räume, kurze, schnelle Pässe spielend. Nach hinten sicherten Niklas Süle, Kevin Vogt und Benjamin Hübner perfekt ab, ebenso auf den Außenbahnen Jeremy Toljan und Steven Zuber. Nagelsmann war voll des Lobes für seine Flügelspieler, die auf der linken Seite Arjen Robben und auf der rechten Kingsley Coman in Schach halten mussten. "Ich kenne nicht viele Verteidiger in der Liga, die Robben so gut unter Kontrolle hatten", sagte Nagelsmann später.
An der Linie wie Tuchel
Während seine Mannschaft gegen den großen Gegner sehr ruhig wirkte, schien Nagelsmann die ganze emotionale Last auf seine Schultern geladen zu haben. Bereits fünfzehn Sekunden nach Anpfiff drehte er sich zur Auswechselbank um, um etwas zu sagen. Nach anderthalb Minuten hämmerte er frustriert auf das Plexiglasdach, weil sein Team noch nicht in Führung gegangen war. Und als er zur Pause im Stadiontunnel verschwand, murmelte er unzufrieden vor sich hin. So sieht ein engagierter Fußball-Trainer aus.
Als das Tor fiel, ballte Nagelsmann vor Freude die Fäuste und schüttelte beinahe ungläubig den Kopf. In der Folge rannte er immer wieder zur Seitenlinie, schrie Anweisungen, und ärgerte sich, wenn etwas nicht klappte. Wenn seine Mannschaft in der Vorwärtsbewegung war, schritt er mit seinen Händen auf die Hüften durch seine Coaching-Zone. In vielerlei Hinsicht erinnerte er an Thomas Tuchel am Spielfeldrand.
Perfektionist Nagelsmann
Auf dem Rasen lieferte Hoffenheim die vielleicht intelligenteste und beeindruckendste Leistung der Vereinsgeschichte ab. Süle und Sebastian Rudy spielten im Stile ihrer Konkurrenten vom FC Bayern, indem sie mit einer Kombination aus aggressiver Verteidigung und schnellem Umschaltspiel Robert Lewandowski lange Zeit kaum zur Entfaltung kommen ließen. "Ich denke, die erste Hälfte gegen Hertha war noch einen Hauch besser", sagte Nagelsmann hinterher. Der erst 29-Jährige neigt zum Perfektionismus. Mit Akribie hat er sich in Hoffenheim nach oben gearbeitet und ist jünger als drei seiner Spieler - eine echte Seltenheit im europäischen Spitzenfußball. Trotz seiner fehlenden Erfahrung zeigt Nagelsmann eine erstaunliche Reife: taktisch, in der Führung seines Teams und auch in Interviews, in denen er kritische Fragen souverän pariert. Der Sportwissenschaftler und Familienvater könnte eine der großen Trainerpersönlichkeiten von morgen werden - und auch der Gegner wird seine Vita schon interessiert zur Kenntnis genommen haben. Denn beim FC Bayern dürfte man sich an kaum einen Gegner in dieser Saison erinnern, der dem Rekordmeister in der ersten Halbzeit so zugesetzt hat wie Hoffenheim.
Beeindruckende Bilanz
"Du musst die Nachspielzeit wie die 90 Minuten vorher spielen", sagte Nagelsmann über die letzten vier Minuten, in denen seine Mannschaft bedenklich gewackelt hatte. "Es war nicht Teil unseres Plans, am Ende so tief zu stehen", fügte Nagelsmann mit einem Lächeln hinzu. Jeder weiß, dass dies gegen die Bayern fast unvermeidlich ist, egal wie gut der Spielplan ist.
15 Minuten vor dem Ende hatte Nagelsmann die Faust geballt und seine Mannschaft noch einmal angetrieben: "Kommt, Jungs!" So reagieren viele Trainer, wenn alles andere als eine Niederlage gegen die Bayern in greifbarer Nähe ist. Doch Nagelsmanns Team hat mehr als das erreicht: Hoffenheim hat die großen Bayern besiegt und wird die Saison mit einer Bilanz von vier Punkten aus den beiden Spielen gegen den Bald-Meister beenden.
Bayern wird die Meisterschaft gewinnen, aber die Tatsache, dass sich Hoffenheim genauso wahrscheinlich für die Champions League qualifizieren wird, sagt viel darüber aus, was Nagelsmann in etwas mehr als einem Jahr als Trainer bewegt hat. Der Triumph gegen die Bayern war letztlich nur ein Spiel, in dem Hoffenheim auch das nötige Glück hatte. Und doch war es eine weitere Top-Leistung, die Nagelsmann seiner ohnehin schon beeindruckenden Bilanz hinzufügen kann.