Das Leinwand-Chamäleon Michael Fassbender
1. April 2017Das hat eigentlich nur Robert De Niro geschafft. Nachdem man De Niro als drahtigen Hungerhaken in Filmen wie "Hexenkessel" und "Taxi Driver" kennengelernt hatte, verblüffte der Amerikaner sein Publikum 1980 mit einem scheinbar ganz anderen Körper: Für das Boxerdrama "Wie ein wilder Stier" hatte der Schauspieler etliche Kilos zugelegt, um überzeugend auch den alternden Boxer Jake LaMotta zu spielen.
Fassbender machte es 28 Jahre später umgekehrt. Für die Rolle des in den Hungerstreik getretenen IRA-Häftlings Bobby Sands magerte Fassbender 58 Kilo ab. In den letzten Szenen des Films, der Aktivist Sands starb nach 66 Tagen an den Folgen des Hungerstreiks, ist die Performance des Schauspielers Michael Fassbender für das Publikum in seiner Eindringlichkeit kaum zu ertragen.
Mit "Hunger" und "Shame" Kultstatus erreicht
Fast eine Art von schauspielerischer Erholung dürfte der Part eines sexsüchtigen New Yorkers in "Shame" für Fassbender drei Jahre später gewesen sein. "Shame" war die zweite Zusammenarbeit Fassbenders mit dem britischen Künstler und Filmemacher Steve McQueen. Zwei Jahre später sollte McQueen den Deutsch-Iren noch einmal verpflichten: für sein Sklavendrama "12 Years a Slave". Auch da konnte sich der Darsteller bester Kritiken erfreuen. Steve McQueen, so viel lässt sich sicher sagen, wurde für den Schauspieler zum wichtigsten Regisseur. In den drei Rollen zeigte der 1977 in Heidelberg geborene Michael Fassbender, was in ihm steckte.
Als Fassbender den Part in "Hunger" übernahm, war er gerade 30 Jahre alt, hatte aber schon einige Rollen in Film und Fernsehen hinter sich. Er galt als begabter Schauspieler, doch nur wenige in der internationalen Filmszene hatten vor "Hunger" vermutet, dass sich Fassbender als so wandlungsfähig erweisen würde. Eine Dekade später ist er ein Superstar des internationalen Kinos - wenn sich das Wort "Superstar" bei Fassbender nicht irgendwie falsch anhören würde.
Kluge Rollenauswahl
Auch wenn der in London lebende Mime inzwischen in Hollywood ein sehr gefragter Mann ist und seine kommerzielle Zugkraft in den X-Men-Blockbuster-Filmen und der Videospieladaption "Assassin's Creed" mehrfach unter Beweis gestellt hat, das Image eines Hollywood-Superstars hat Fassbender nicht. Vermutlich strebt er es auch gar nicht an. Immer wieder wählt er seine Rollen auch in kleineren Filmen klug aus.
Zwei Filme, die Fassbender soeben abgedreht hat, stehen für diese Doppelstrategie. Im Mai wird er als künstlicher Mensch in der neuesten Version des Aliens-Filmreihe, "Alien: Covenant", zu sehen sein - ohne Zweifel ein Film mit großem Budget und mutmaßlich wohl auch einer der Kinohits der Saison 2017. Im Oktober dann folgt wieder ein "kleinerer" Film. Der Schwede Tomas Alfredson führt Regie im Krimidrama "The Snowman", in dem Fassbender einen Detektiv spielt.
Fassbender, so scheint es derzeit, leistet sich den Luxus, seine Rollen gezielt auszuwählen, seien es kommerzielle Filme oder Autorenkino. Der Deutsch-Ire kann eigentlich alles spielen: Androiden wie Hungerstreikende, reale Personen wie Comic-Helden. Eine beneidenswerte Situation für einen Schauspieler, der gerade einmal 40 Jahre alt ist.