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Chaos in der Eizelle

19. August 2011

Wenn eine Eizelle heranreift, muss alles korrekt zugehen – sonst kommen keine gesunden Kinder zur Welt. Umso erstaunter waren Heidelberger Forscher, als sie sich den Vorgang genauer ansahen: Permanent geht etwas schief.

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Die mikroskopische Aufnahme zeigt eine menschliche Eizelle, die von Spermien umgeben ist (Foto: Jan-Peter Kasper/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Bei Frauen im gebärfähigen Alter passiert es normalerweise jeden Monat: Eine Eizelle reift heran. Dabei hat die Natur eine komplizierte Aufgabe zu erfüllen, denn sie muss Chromosomen - die Träger der Erbinformationen - gerecht verteilen. Jede menschliche Körperzelle beherbergt 46 Chromosomen, dabei stammen 23 von der Mutter und 23 vom Vater. Diese verschmelzen bei der Befruchtung miteinander. Reift eine Eizelle heran, muss dieser Vorgang umgekehrt werden: Vereinfacht gesagt, müssen aus einer Zelle mit 46 Chromosomen wieder zwei Zellen mit 23 Chromosomen entstehen. Denn auch das Spermium bringt wieder 23 Chromosomen mit.

Die Fehler häufen sich

Chromosomen und die Eiweißfäden, die sie auseinanderziehen (Foto: T.Kitajima, EMBL)
Eiweißfäden (grün) haben die Aufgabe, die Chromosomen (blau) in der Eizelle auseinanderzuziehen.Bild: EMBL/T.Kitajima

Wissenschaftler vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg haben erstmals mit einer speziellen Art von Mikroskop genau beobachtet, wie in einer Mäusezelle, die zur Eizelle reift, die väterlichen und mütterlichen Chromosomen voneinander getrennt werden. "Und zu unserer Überraschung haben wir festgestellt, dass dabei sehr oft Fehler unterlaufen", sagt Jan Ellenberg vom EMBL.

Überraschend ist das, da bei dieser Prozedur eigentlich nichts schief laufen darf, sonst hat das verheerende Auswirkungen: Eizellen mit zu vielen oder zu wenigen Chromosomen sterben entweder sofort ab oder kurz nach der Befruchtung – es kommt zu Unfruchtbarkeit oder Fehlgeburten. Denn mit nur wenigen Ausnahmen sind Menschen mit mehr oder weniger als 46 Chromosomen nicht lebensfähig. Eine berühmte Ausnahme sind Menschen mit Down-Syndrom: Sie haben durch einen Fehler bei der Zellteilung drei mal das Chromosom Nummer 21.

Lassospiele in der Eizelle

Wenn die Eizelle während der Reifung Chromosomen aufteilt, ähnelt das einem Rodeo: Die Zelle versucht, mit Eiweißfäden jeweils das mütterliche und das väterliche Chromosom der gleichen Art zu fangen und die beiden Chromosomen in entgegen gesetzte Richtungen der Zelle zu ziehen. Und das ist gerade in der Eizelle keine leichte Aufgabe: "Eine Eizelle ist sehr viel größer als eine normale Körperzelle, daher ist der Raum, in dem die Chromosomen gesucht werden müssen, sehr groß", erklärt Jan Ellenberg.

Väterliche und mütterliche Chromsomen werden bei der Reifeteilung auseinandergezogen. (Foto: T.Kitajima, EMBL)
Väterliche und mütterliche Chromosomen (hellblau) werden auseinander gezogen.Bild: EMBL/T.Kitajima

Bei der Chromosomenaufteilung geht es ganz schön chaotisch zu: Die Zelle fischt nicht nur mit zwei Eiweißfäden nach den Erbträgern, sondern gleich mit etwa 80. Wer beim Rodeo versucht, zwei Rinder mit 80 Lassos aus unterschiedlichen Richtungen zu fangen, um sie in unterschiedliche Hälften der Arena zu ziehen, wird schnell merken, dass dabei ein riesiges Durcheinander ausbricht: Viele Cowboys fangen beispielsweise dasselbe Rind und ziehen das Tier dann gleichzeitig nach vorne und hinten - dadurch bewegt es sich überhaupt nicht vom Fleck. Der einzige Ausweg: Einen Assistent damit zu beauftragen, die falschen Lassos wieder zu lösen.

Dasselbe passiert auch in einer Eizelle, die sich teilen will, haben die Forscher am EMBL herausgefunden. Die meisten Versuche der Eiweißfäden, ein Chromosom zu fangen, gehen in der gleichen Art und Weise daneben. Und auch in der Eizelle ist jemand dauernd damit beschäftigt, die falschen Anheftungen wieder zu lösen: Eiweiße, deren Aufgabe es ist, die Fehler wieder auszubügeln.

Eizelle eines Seeigels (Foto: European Molecular Biology Laboratory EMBL Heidelberg)
Eizelle (eines Seeigels). Die kreisrunde Struktur im Inneren ist der Zellkern.Bild: EMBL

Versuch und Irrtum

"Die Zellmechanismen, die fehlerhafte Anheftungen korrigieren, laufen auf Hochtouren", sagt Ellenberg. "Bei jedem Chromosom heißt es ständig: Nein, das war nicht ganz richtig, wir müssen das auflösen und noch mal probieren." Denn die Fehlerquote beim Eizellrodeo liegt bei 90 Prozent! Neun von zehn Lassos müssen also wieder gelöst werden, weil sie das falsche Chromosom gepackt haben - oder das richtige Chromosom an der falschen Stelle.

Nur diesem Korrekturmechanismus haben wir es zu verdanken, dass überhaupt brauchbare Eizellen entstehen und wir uns fortpflanzen können. Als Jan Ellenberg und sein Team diesen Korrekturmechanismus komplett mit Chemikalien ausschalteten, gingen bei der Eizellreifung so viele Chromosomen verloren, dass die Zellen unfruchtbar wurden, berichtet der Forscher. Aber auch wenn sich nur kleine Fehler in der Korrektur einschleichen, kann das schon Fehlgeburten zur Folge haben.

Die Wissenschaftler interessieren sich jetzt dafür, ob das Alter etwas damit zu tun hat: Gerade bei Frauen über 30 funktioniert die Aufteilung der Chromosomen weniger gut als bei jüngeren Frauen. "Wir vermuten, dass der Grund dafür ist, dass Teile dieses Korrekturmechanismus im fortgeschrittenen Alter nicht mehr so gut funktionieren. Das ist aber bisher nur eine Hypothese." Die Forscher machen sich demnächst daran, diese Hypothese zu überprüfen. Falls dem so ist, würden ihre Untersuchungen den Weg ebnen, um möglicherweise neue Medikamente zu entwickeln, die den Korrekturmechanismus wieder ankurbeln. Damit könnte man in Zukunft vielleicht Frauen helfen, deren Kinderwunsch bisher unerfüllt geblieben ist.

Autorin: Brigitte Osterath
Redaktion: Fabian Schmidt