Charlie Chaplin: "Der große Diktator" wird 80
15. Oktober 2020Vor 80 Jahren wurde "Der große Diktator" von Charlie Chaplin in New York uraufgeführt. Als der Film zwei Monate später auch in London lief, waren die ersten Reaktionen von Presse und Publikum auf die Hitler-Persiflage schon über den Atlantik geschwappt.
"Ein wahrlich herausragendes Werk eines wahrlich großen Künstlers und - aus einem bestimmten Blickwinkel - vielleicht der bedeutsamste Film, der je produziert wurde", schrieb die "New York Times". In Europa wütete der Zweite Weltkrieg und noch war nicht abzusehen, dass die deutschen Truppen gestoppt werden würden. Das amerikanische Publikum wurde also mit einem Filmstoff konfrontiert, der aktueller und bedrohlicher nicht hätte sein können.
Aufschlussreiche Produktionsgeschichte
Charlie Chaplin war 1940 einer der größten Filmkünstler und Komiker des Kinos. Dass er sich ausgerechnet mit seinem ersten echten Tonfilm ein derart heikles Thema ausgesucht hatte, überraschte viele. Und auch Chaplin selbst sagte später, dass er den Film nicht hätte inszenieren können, wenn das ganze Ausmaß des NS-Terrors schon damals offenkundig gewesen wäre: "Hätte ich von dem Grauen in den deutschen Konzentrationslagern gewusst, ich hätte 'Der große Diktator' nicht machen können."
Nachlesen kann man die Entstehungsgeschichte des Films in einem großartig ausgestatteten Bild- und Textband, den der deutsche, aber international agierende Taschen Verlag veröffentlicht hat. Der amerikanische Herausgeber Paul Duncan hat für den Band "Das Charlie Chaplin Archiv" eine beeindruckende Fülle an Materialien und Fotos zusammengetragen und auf viele bisher nicht zugängliche Quellen zurückgreifen können. Duncan dokumentiert das Werk des Regisseurs und Schauspielers mit allen Details - dem Film "Der große Diktator" ist ein zentrales Kapitel gewidmet.
Ein heikles Unterfangen - Lachen über Hitler
"Das Lustigste auf der Welt kann für mich sein, Angeber und Wichtigtuer in hohen Stellungen lächerlich zu machen", kommentierte Chaplin sein filmisches Konzept. "Je größer der Angeber ist, an dem man arbeitet, desto besser stehen die Chancen für einen lustigen Film - und es wäre schwierig, einen anderen Angeber vom Kaliber Hitlers zu finden."
Die Auseinandersetzung des gebürtigen Briten Chaplin mit dem in Österreich geborenen Adolf Hitler währte schon lange, wie bei Duncan nachzulesen ist. Chaplin wurde von den nationalen Kräften in Deutschland schon seit den 1920er-Jahren denunziert. In der Hetzschrift "Der Stürmer" war bereits 1926 zu lesen: "Charlie Chaplin ist Jude... Seine Handlungen sind die eines Tagediebes, der immer wieder mit den Gesetzen in Konflikt kommt." Chaplin wurde ein "frei erfundener Stammbaum angedichtet", so Paul Duncan.
Chaplin war kein Jude. Doch lehnte er es Zeit seines Lebens ab, dies öffentlich zu äußern. "Er sagt, jeder, der dies von sich selbst bestreite, spiele in die Hände der Antisemiten", so der britische Politiker und Filmemacher Ivor Montagu. Solidarität mit den Juden - das war es, was Chaplin mit seiner Haltung und seinem Film zum Ausdruck bringen wollte. Das Ergebnis: Als er sich im März 1931 in Berlin aufhielt, kam es zu Anti-Chaplin-Demonstrationen vor seinem Hotel, organisiert von den Nationalsozialisten.
Hitler und Chaplin: Beide trugen den berühmten gestutzten Schnurrbart
Schon früh war der film- und politikinteressierten Öffentlichkeit aufgefallen, dass Chaplin und Hitler, beide im April 1889 geboren, rein Äußerlich einiges verband: "Ich wohnte 1921 in München (…) und auf der Straße fiel mir des Öfteren ein Mann auf, der mich aufgrund seines charakteristischen Schnurrbarts und seiner federnden Gangart vage an eine militante Ausgabe von Charlie Chaplin erinnerte", textete der Autor William Walter Crotch in der Zeitschrift "New Statesman and Nation". Sein Lebensmittelhändler, so Crotch, habe ihm dann gesagt, dass es sich um einen Herrn Adolf Hitler aus Braunau in Österreich handeln würde, der Anführer einer winzigen politischen Splittergruppe sei.
Es war also nicht einmal ein so großer Sprung für Chaplin, Hitler im Film darzustellen. Doch hatte der Regisseur und Schauspieler später durchaus Widerstände aus verschiedenen Richtungen zu überwinden, bevor die erste Klappe zu "Der große Diktator" fiel. Auch in der amerikanischen Öffentlichkeit war das Projekt umstritten. Konservative Kreise protestierten. Den Ausschlag gab erst US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der persönlich bei Chaplin intervenierte und ihn bat, doch an dem Filmvorhaben unbedingt festzuhalten. Chaplin hatte zuvor ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, das Projekt aufzugeben.
In Deutschland kam "Der große Diktator" erst 1958 in die Lichtspielhäuser. Zwei Testvorführungen vor deutschem Publikum unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren zwar durchaus auf ein positives Echo gestoßen, trotzdem entschieden sich die amerikanischen Behörden in Deutschland, den Film nicht in die Kinos zu bringen.
Nachlesen kann man die spannende Produktionsgeschichte und viele andere Etappen der künstlerischen Karriere Charlie Chaplins in dem Band: "The Charlie Chaplin Archives" ("Das Charlie Chaplin Archiv"), herausgegeben von Paul Duncan in Zusammenarbeit mit der Familie Chaplin und der "Cineteca di Bologna" im "Taschen Verlag", ISBN 978-3-8365-3840-4.
Dies ist eine leicht überarbeitete Version eines Artikels, der erstmalig am 11.12.2015 veröffentlicht wurde.