"Charlie Hebdo" ist wieder da!
25. Februar 2015Am Zeitungskiosk an der Place de l'Ecole Militaire, nahe den Touristenströmen um den Eiffelturm, ist die neue Ausgabe um 9.30 Uhr morgens schon ausverkauft. Monsieur Georges, der Besitzer erklärt, er habe leider nur 50 Exemplare bekommen, mit dem Vertrieb würde es nicht so richtig klappen. "Dabei haben sie angekündigt, dass sie zweieinhalb Millionen davon drucken würden, das müsste doch für alle reichen". Das Interesse sei noch groß, fügt er an, aber natürlich nicht mehr so intensiv wie bei der Sonderausgabe im Januar nach den Anschlägen, deren Titelbild mit dem weinenden Propheten Mohammed um die Welt gegangen war.
Noch immer findet sich in Pariser Schaufenstern der Solidaritäts-Slogan "Je suis Charlie“" der längst benutzt wird, um vom Schlussverkauf im Schuhladen bis zum neuen Grippemittel in der Apotheke alle erdenklichen Produkte an den Käufer zu bringen, und der innerhalb von Tagen zum modischen Accessoire wurde.
Journalisten und Zeichner weiter unter Polizeischutz
Die Blattmacher nehmen sich auch selbst auf die Schippe in ihrer neuen Ausgabe und zeigen einen Parkwärter, der "Je suis Charlie" Blätter wegbläst, eine einkaufende Pariserin, die ihren Fido mit dem Slogan dekoriert hat und sogar Jesus am Kreuz trägt "Charlie" auf seinem Lendentuch. Am Ende sitzen zwei grübelnde Journalisten, bewacht von der Polizei, die sich fragen "Wer bin ich?" Gelächter über die leichtfertige Solidarität und die eigene Identitätskrise. Denn die neue Redaktion besteht im Wesentlichen aus den Überlebenden des Anschlages, von den landesweit bekannten Zeichnern ist nur noch Luz dabei.
Er zeichnete auch die Titelseite mit den Höllenhunden, die den kleinen anarchistischen "Charlie Hebdo"-Kläffer verfolgen: Es ist die Meute der alten Feinde, Marine Le Pen, Nicolas Sarkozy, der Papst und ein Jihadist. "Sehr gut gemacht. Graphisch gut komponiert und völlig unverständlich", ätzt der französische Blogger Daniel Schneidermann schon am Morgen. Die Islamisten in Pakistan oder im Niger würden sich am Kopf kratzen und sich fragen, ob diese neue Ausgabe es wert wäre, ein paar Kirchen deswegen zu verbrennen. Tatsächlich muss man die Geschichte des Blattes kennen und die Akteure der französischen Politik, um die Titelseite zu verstehen.
Die berühmtesten der Zeichner gehören zu den Toten
Und da liegt auch das Dilemma der Redaktion: Die großen Namen bei Charlie Hebdo sind tot: Cabu, Charb, Tignous, Wolinski waren Zeichner, die jedermann in Frankreich kannte, und die den besonderen Stil der satirischen Zeitung prägten. "Ich habe Cabu hier einmal getroffen. Er war ein großer, ein besonderer Mann", erinnert sich einer der Kellner im nahen "Café des Officiers".
Das Blatt musste also neue Mitarbeiter rekrutieren, was Chefredakteur Gérard Biard schwieriger fand, als erwartet. Einige junge Zeichner, die man gefragt habe, hätten abgewinkt. Immer noch erhält die Redaktion Morddrohungen, sie fanden den Job zu gefährlich. Das Team hat vorübergehend in den Räumen der Zeitung "Libération" Unterschlupf gefunden und wird nach wie vor rund um die Uhr von der Polizei bewacht. Vor der Tür steht eine lange Reihe Stühle für die Aufpasser. Die Journalisten suchen unterdessen auch nach neuen Redaktionsräumen, aber die müssen nach Sicherheits-Gesichtspunkten ausgesucht werden. Bisher hat sich noch nichts Passendes gefunden.
Die finanzielle Zukunft ist gesichert
Zumindest die finanziellen Sorgen der Wochenzeitung sind vorbei. Es gingen rund vier Millionen Euro an Spenden ein, mit der die Familien der ermordeten Journalisten versorgt werden konnten. Und die Gedenk-Ausgabe, mit dem weinenden Propheten auf dem grünen Titelblatt, verkaufte sich weltweit rund acht Millionen Mal. Davon bleiben dem Blatt etwa 10 Millionen Euro Gewinn, die Zukunft für das nächste Jahrzehnt sei gesichert, so rechnet die linksliberale Zeitung „Le Monde“ den Kollegen vor. Auch das Gratisblatt "20Minutes" erörtert die dramatisch verbesserte Finanzlage von "Charlie Hebdo" im Detail und erklärt, das viele Geld sei auch eine Hypothek für die Zukunft. Hier und dort in der notorisch unterfinanzierten französischen Presse scheint fast ein fieses Zipfelchen Neid hochzukommen, weil die satirische Nischenpublikation sich durch den Anschlag plötzlich keine Zukunftssorgen mehr machen muss.
Charlie Hebdo muss sich weiter entwickeln
Weniger sicher ist dagegen die publizistische und künstlerische Zukunft des Blattes. 220.000 neue Abonnenten wollen jede Woche über die scharfsinnigen Zeichnungen und Kommentare lachen und sich aufregen. Die Redaktion muss sich an den Erfolgen der Vergangenheit messen lassen, ohne sie imitieren zu können. Sie muss eine eigene Handschrift entwickeln und moderner werden, weil die großen Alten nicht mehr dabei sind, und dabei doch die Erwartungen des riesigen, neu gewonnenen Publikums nicht enttäuschen. Eine große Aufgabe für die Überlebenden von "Charlie Hebdo".