Che Guevara bleibt, die Guerilla geht
9. Oktober 2017Sogar die FARC hat sich von ihm verabschiedet. Seitdem die Rebellen in Kolumbien ihre Waffen abgegeben haben, bestimmt Che Guevara nicht mehr ihren Alltag. Bis vor kurzem zierte sein Konterfei noch die Uniformen der Kämpfer im kolumbianischen Urwald. Nun müssen sie ohne ihn klarkommen.
Am 9. Oktober jährt sich der Todestag von Ernesto "Che" Guevara zum 50. Mal. Weltruhm erlangte der 1928 in Argentinien geborene Arzt, Revolutionär und Guerillero, als er von 1956 bis 1959 die kubanische Revolution anführte, gemeinsam mit seinem Mitstreiter und späteren kubanischen Staatschef Fidel Castro (1926-2016). Che wurde eine ihrer wichtigsten Symbolfiguren. Seine politischen Posten in Kuba verließ er später, um Revolutionen im Kongo und in Bolivien voranzubringen. 1967 wurde er von bolivianischen Regierungstruppen gefangen genommen und erschossen.
Was ist von seinen Botschaften nach dem Ende des Kalten Krieges, der Annäherung zwischen Kuba und den USA und dem Tod Fidel Castros geblieben? Dient er außerhalb Kubas der politischen Linken noch als Ikone und Inspiration?
Aus der Zeit gefallen
"Als politische Gestalt ist Che längst beerdigt worden, aber als Revolutionsführer, Pop-Ikone und Lichtgestalt der Studentenbewegung der 1968er Jahre fristet er immer noch ein Nachleben", meint Matthias Rüb, Lateinamerika-Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", im DW-Gespräch.
In seiner jüngst erschienenen Biographie Che Guevaras beschäftigt sich Rüb nicht nur mit den Aufzeichnungen des Revolutionsführers, sondern auch mit dessen politischer Rezeption. Seine Bilanz: "Obwohl Che heute wie aus der Zeit gefallen wirkt, ist er als Symbolfigur für Anti-Amerikanismus nie schwächer geworden."
Feiert der Patron der Globalisierungskritiker und Held linker Befreiungsbewegungen in der Ära Trump also eine unverhoffte Wiederauferstehung? Für Guevara-Experte Rüb ist das nicht ausgeschlossen. "US-Präsident Donald Trump tut alles dafür, dass der Anti-Amerikanismus wieder auflebt und Che womöglich ein Nachleben im Nachleben erlebt."
"Christus mit der Knarre"
In Deutschland ist der Blick auf Che Guevara vor allem durch die jüngste deutsch-deutsche Geschichte geprägt. Während der ostdeutsche Liedermacher Wolf Biermann Guevara einst als "Jesus Christus mit der Knarre" bezeichnete, sah ihn Literaturwissenschaftler Richard Herzinger als "unerbittlichen Doktrinär, dessen Denken und Handeln von obsessiver Verherrlichung von Gewalt und Tod beherrscht war".
Selbst innerhalb der Linkspartei gibt es Meinungsverschiedenheiten über Che. "Bei uns im Büro in Karlsruhe hängt ein Plakat von Che und neulich wurde in der Soli-Bewegung über dessen Homophobie diskutiert", erzählt Michel Brandt, der erstmals für die Linke in den Bundestag eingezogen ist und mit 27 Jahren zu den jüngsten Abgeordneten zählt.
Während die älteren Parteimitglieder Che verteidigten, hätten sich die Jüngeren gefragt, ob das Plakat noch angemessen sei. Einige seien der Auffassung gewesen, das passe doch gar nicht mehr zur politischen Ausrichtung der Linken.
Absage an den bewaffneten Kampf
Für die Linkspolitikerin Heike Hänsel, 51, ist Che Guevara "nach wie vor der wichtigste Werbeträger Kubas und in der Solidaritätsbewegung als Symbol unverzichtbar". Denn: "Es geht um die Botschaft. Für die Linke ist es ein wichtiger Punkt, sich nicht mit Ausbeutung und Imperialismus abzufinden."
Einen bewaffneten Kampf für soziale Gerechtigkeit und Sozialismus, wie er einst Che Guevara vorschwebte, lehnt Hänsel allerdings ab. "Es gibt so viele Kriegseinsätze, Konfliktherde und Bürgerkriege, dass es unverantwortbar ist, den bewaffneten Kampf zu propagieren", stellt sie klar. Angesichts der modernen Militärtechnik sei es heute wahnsinnig, mit Waffen politische Ziele durchsetzen zu wollen.
Der ehemalige mexikanische Außenminister Jorge Castañeda begann schon vor 20 Jahren mit der Demontage des rastlosen Revolutionsführers. "Guevaras Ideen, sein Leben, sein Werk, seine Vorbildhaftigkeit gehören der Vergangenheit an. Daher werden sie nie wieder aktuell sein", schrieb er in seiner 1997 auch auf deutsch veröffentlichten Biographie.
Zum damaligen Zeitpunkt waren Castañedas Äußerungen in Lateinamerika skandalös. Denn Guevara war und ist politische Inspiration für Kritiker der neoliberalen, von Washington unterstützten Wirtschaftspolitik, die in Argentinien zum Staatsbankrott führte. Die Wahlsiege der politischen Linken Anfang 2000 verhalfen Guevara zu einem historischen Comeback in der Region.
Che und Franziskus: Brüder im Geiste
Für Che Guevara-Biograph Matthias Rüb führen in Lateinamerika heute die sozialen Bewegungen den Kampf des kubanischen Revolutionsführers fort. "Es gibt nicht mehr den einen Großrevolutionär. Der Kampf gegen die sozialen Gegensätze ist in Lateinamerika noch lebendig, aber er wird heute von Kollektiven und sozialen Bewegungen gelebt, die auf friedlichem Wege zu ihrem Recht kommen wollen."
Auch Papst Franziskus, Argentinier wie Che Guevara, gehört für Rüb dazu. "Dieser Papst ist einer, der versucht, Ches Erbe auf friedlichem Wege fortzuführen, und dies bedeutet in Lateinamerika vor allem die Überwindung der krassen sozialen Ungerechtigkeit." Rübs Fazit: "Ein wenig überspitzt kann man sagen: Der Papst ist der neue Che Guevara."