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Chemieanlagen in der Nähe großer Städte: Warum?

Isabella Escobedo
29. Juli 2021

Chemiestandorte in unmittelbarer Nähe zu großen Städten sind in Deutschland keine Seltenheit. BASF beispielsweise bei Mannheim, Bayer in der Nähe von Köln. Das birgt Risiken, aber vor allem Vorteile. 

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Blick auf den Chempark Leverkusen (rechts im Bild). Links das Hauptquartier des Chemie- und Pharmakonzerns Bayer AG
Blick auf den Chempark Leverkusen (rechts im Bild). Links das Hauptquartier des Chemie- und Pharmakonzerns Bayer AGBild: Currenta

Die Chemieindustrie im Rheinland - einer Region des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen - zu denen auch der Chempark Leverkusen zählt, ist einer der größten Standorte der Branche in Europa. Über 260 Chemieunternehmen beschäftigen hier mehr als 70.000 Mitarbeiter, oft gebündelt in sogenannten Chemieparks. Von Wesseling im Süden bis Dormagen im Norden: In einem Umkreis von wenigen Kilometern um Köln haben Weltunternehmen wie Bayer, ExxonMobil Chemical, Ineos, Covestro, Lyondellbasell oder Lanxess ihren Standort. Um zu verstehen, wie Großstadt und Chemiepark in so unmittelbarer Nähe existieren können, die Chemieparks quasi in Metropolregionen eingebettet sind, muss man auf die lange Historie des Rheinlands als Industriestandort zurückblicken. 

Rauchwolke über Chempark Leverkusen
Rauchwolke über Chempark Leverkusen nach der Explosion am 27.JuliBild: picture alliance/dpa

Carl Leverkus und die Farbfabrik

Vor allem der Rhein als Transportweg für Massengut war dafür entscheidend, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts an der Rheinschiene viele Chemiekonzerne ansiedelten. Die Stadt Leverkusen verdankt der Industrie sogar ihren Namen: Im Jahr 1860 verlegte der Chemiker Carl Leverkus seine Ultramarinfabrik von Wermelskirchen ins kleine Wiesdorf am Rhein. Knapp 20 Jahre später zog auch der Vorgänger des internationalen Chemiekonzerns Bayer, die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer et comp., vom zu klein gewordenen Standort in Elberfeld (heute ein Stadtteil von Wuppertal) nach Wiesdorf. Am Rheinufer waren dank der Leverkus'schen Fabrik schon alle wichtigen Anlagen für die Produktion vorhanden. 

Die Anfänge: Herstellung des Fiebersenkers Phenacetin bei Bayer in Elberfeld im Jahr 1888
Die Anfänge: Herstellung des Fiebersenkers Phenacetin bei Bayer in Elberfeld im Jahr 1888Bild: Foto: Bayer AG/dpa

Weil man daran interessiert war, den Arbeitern einen kurzen Arbeitsweg zu ermöglichen (Pendeln war seinerzeit zudem keine Option), baute man die Siedlungen in unmittelbarer Nähe zur Fabrik. So wuchsen die Ortschaften zu Städten heran, schließlich wurde daraus das heutige Leverkusen. Bis heute findet sich deswegen die Wohnbebauung der Stadt in unmittelbarer Nähe zu den Werken. Gleichzeitig lieferte die Industrie immer mehr Arbeitsplätze, was in Städten wie Köln für Zuzug sorgte. 

Während des sogenannten Wirtschaftswunders der Nachkriegsjahre wuchsen die im Rheinland angesiedelten Konzerne erheblich. Um die Jahrhundertwende gingen aus Umstrukturierungen der bis dahin einzelnen Chemiewerke und Betriebe sogenannte Chemieparks hervor. Die Idee: Auf einem Standort bündeln verschiedene Unternehmen ihre Produktion, nutzen Synergien, schaffen die nötige Infrastruktur - mit Erfolg.

Exportschlager Chemieparks

"Das Modell der deutschen Chemieparks ist ein Exportschlager", weiß Ernst Grigat. Der promovierte Chemiker leitete über zehn Jahre den "Chempark" mit den Werken in Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen. In China seien über tausend Chemieparks nach deutschem Vorbild gebaut worden, sagt Grigat. Denn die Ballung von Expertise und Ressourcen ermögliche ein besseres Sicherheits- und Umweltmanagement.

Karte Explosion Chempark Leverkusen
Lage der Standorte des Chemparks

Zudem hat die Chemieregion im Rheinland einen weiteren Wettbewerbsvorteil. Die Dichte der Chemieparks ermöglicht den Werken, auch untereinander zu kooperieren, sagt Grigat. "Es gibt einen sehr starken Verbund zwischen den rheinischen Werken, zwischen Dormagen, Leverkusen und Wesseling." Dazu hat der Standort Zugang zu Seehäfen, befindet sich an einer Schnittstelle vieler europäischer Verkehrsachsen und ist an ein einzigartiges Pipeline-System angebunden, durch das 50 Prozent aller Stoffe transportiert werden können. "Der Kölner weiß das vielleicht nicht", sagt Grigat "aber Köln ist die Chemiehauptstadt Deutschlands, vielleicht sogar Europas."

Deutschland Brand im Chemiepark Leverkusen
Schon im November 2016 gab es einen Brand im Chempark LeverkusenBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Aber ist das nicht gefährlich, Chemieproduktion so nah an der Stadt? Nicht unbedingt, meint Ernst Grigat. Natürlich entstünden in der Chemie Zwischenprodukte, die gefährlich sein könnten. Aber ein wesentlicher Vorteil der Chemieparks sei, dass dort die nötigen Sicherheitsstrukturen wie speziell im Umgang mit Gefahrstoffen geschulte Werksfeuerwehren vorhanden seien. Neue Unternehmen siedelten sich deswegen nun direkt in den Chemieparks an, um sich rechtlich abzusichern. Auch Fabriken, die einst in einem Industriegebiet angesiedelt waren, heute jedoch aufgrund des Städtewachstums auf einmal mitten in der Stadt liegen, bevorzugten einen Umzug in einen Chemiepark. Und die seien, so Grigat, häufig so groß geplant, dass trotz der Nähe zu Wohnsiedlungen die Sicherheitsstandards gewahrt werden können.