Haarige Angelegenheit
31. März 2017Grace Kelly trug das Kopftuch als modisches Accessoire - das ist nun mehr als 60 Jahre her. Heute bedecken Frauen vor allem in religiösen Zusammenhängen ihre Haare. Eine Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Die weibliche Haarpracht gilt in vielen Kulturen immer noch als zu intim, um sie öffentlich zu zeigen.
Wenn gesellschaftliche Ideale und religiöse Vorschriften zusammentreffen, kommt es zu Konflikten, fühlen sich beispielsweise französische Strandgäste von Burkinis, dem Ganzkörperbadeanzug, provoziert. Wie viel Religiosität vertragen säkulare Gesellschaften? Anregungen dazu will jetzt die Ausstellung "Cherchez la femme" im Jüdischen Museum in Berlin geben (bis 2. Juli 2017). Wir sprachen mit Miriam Goldmann, einer der Kuratorinnen, darüber, warum Frauen ihre Haare verstecken.
Deutsche Welle: "Cherchez la femme" lautet der Titel der Ausstellung. Müssen wir die Frauen tatsächlich suchen?
Miriam Goldmann: Im Zuge der Diskussion um das muslimische Kopftuch fühlt es sich tatsächlich so an - hier melden sich ja fast nur Männer zu Wort. Und auch die religiösen Vorschriften sind meist von Männern gemacht. Wir möchten mit unserer Ausstellung Frauen die Möglichkeit geben, sich zu äußern. Was denken sie über Kopfbedeckungen, wie stehen sie selbst dazu?
In Ihren Exponaten kommen Verhüllungen von Frauen aller Glaubensrichtungen vor: Christentum, Judentum und Islam. Gibt es hier etwas Verbindendes?
In allen Religionen geht es um das Thema Anstand. Dahinter steht die Idee, dass Haare etwas Intimes seien und nur dem Ehemann und der Familie gezeigt werden dürften. Dabei hat mich überrascht, wie viel Spielraum es hier gibt, den die Frauen auch nutzen. Trotz der Vorschriften ist viel Bewegung drin. Das zeigt auch unsere Ausstellung, in der wir unter anderem jüdisch-orthodoxe Frauen vorstellen, die auch mithilfe von Perücken ihre Kopfbedeckung modern interpretieren.
Sie möchten Besucher mit der Frage konfrontieren, wie viel sichtbare Religiosität säkulare Gesellschaften heute vertragen. Geben Sie darauf eine Antwort?
Nein, die Ausstellung ist ein spielerischer Kommentar auf die aktuellen gesellschaftlichen Debatten, wie beispielsweise das Burkini-Verbot in Frankreich. Reibungspunkt ist dabei das christliche Religionsverständnis, in dem Religion etwas Privates ist. Im Judentum und Islam funktioniert das so aber nicht. Religiöse Rituale und Bräuche werden in der Gemeinschaft gelebt und dadurch sichtbar gemacht.
Wobei ein muslimisches Kopftuch viel mehr provoziert als ein jüdisches…
Ja, jüdische Kopfbedeckungen rufen im Westen höchstens Erstaunen hervor. Manchmal werden die Frauen auch als verschroben abgewertet, was verletzend sein kann. Bei muslimischen Kopfbedeckungen wird aber noch viel mehr hineingelesen, zum Beispiel dass die Frau sich nicht integrieren will oder gar politische Motive hätte. Ich glaube, das liegt daran, dass das Judentum eine längere Tradition hat, sich als Minorität zu verhalten. Es gibt eine lange Erfahrung, wie man seine Kernwerte beibehält und gleichzeitig die Landesgesetze achtet.
Worin liegen Ihrer Meinung nach die Ursprünge für die weiblichen Kopfbedeckungen?
Im Subtext schwingt das Geschlechterverhältnis mit. Es geht um Macht, um Sexualität, um den Blick der Männer auf das Haar, das seit jeher fasziniert und auch eine erotische Anziehungskraft hat.
Haben Sie ein Lieblingsstück unter den Exponaten?
Natürlich, aber das wechselt ständig. Im Moment freue ich mich sehr, dass wir ein sogenanntes Spitzel zeigen können. Das ist ein Kopftuch für jüdisch-orthodoxe Frauen, das an der Stirn die Imitation eines Haaransatzes hervor schauen lässt. Diese Kopfbedeckung ist sehr selten und vor allem im nicht-religiösen Kontext kaum zu bekommen, ein wahres Insider-Teil.
Was wünschen Sie sich, sollen die Besucher von "Cherchez la femme" mitnehmen?
Ein bisschen mehr Verständnis für die Religiosität anderer. Ich bin mir sicher, dass unsere Gesellschaft mehr aushalten kann und ich wünsche mir mehr Lässigkeit gegenüber Andersgläubigen ohne dass gleich der Untergang des Abendlandes befürchtet wird. Schließlich leben wir in einer globalisierten Welt, in der nicht nur Waren Ländergrenzen überqueren, sondern auch Menschen mit ihren Bräuchen.
Das Interview führte Nadine Wojcik.
Miriam Goldmann studierte Judaistik in Freiburg, an der Hebrew University in Jerusalem und an der Freien Universität in Berlin. Seit 1999 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Ausstellungskuratorin am Jüdischen Museum Berlin. Sie kuratierte u.a. die Ausstellungen "Berlin Transit" (2012) und "Die ganze Wahrheit...was Sie schon immer über Juden wissen wollten" (2013).