Das ganz große Sportgeschäft
15. Januar 2020Xi Jinping, Chinas allmächtiger Staats- und Regierungschef, ist ein großer Freund des Fußballs. Da kann ihm nicht gefallen, dass sein Land in der FIFA-Weltrangliste vom Dezember 2019 knapp hinter Guinea und nur hauchdünn vor Uganda und den Kapverdischen Inseln auf Rang 76 eingeordnet ist.
Seit einigen Jahren sprießen überall im Riesenreich Fußballschulen aus dem Boden, werden Fußball-Experten aus aller Welt ins Land geholt. Gleichzeitig investieren viele europäische Fußballklubs im Reich der Mitte.
Für den Sportökonomen Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes HWWI, ist der Grund klar: "China mit einem Markt von knapp 1,4 Milliarden Menschen, mit einem sehr starken Wirtschaftswachstum, mit einem sich ausweitenden geopolitischen Einfluss, ist natürlich wichtig", sagte er der DW. "Man kann sich die Zukunft auch im Sport ohne China eigentlich nicht vorstellen."
Diesen Riesenmarkt der traumhaften Umsätze und hohen Gewinne wollte sich auch der 1. FC Köln nicht entgehen lassen. Gegenüber der DW bestätigte der Fußball-Bundesligist: "Es gab die Planung, eine Fußballakademie in Shenyang aufzubauen. Der FC hätte das sportliche und pädagogische Konzept verantwortet und umgesetzt." Aus diesen Plänen ist dann nichts geworden. Dieses Scheitern ist ein gutes Beispiel für die Schwierigkeiten, die es auf dem Weg ins Reich der Mitte zu meistern gilt.
China und die olympische Idee
Nicht nur im Fußball will China mit Macht an die Weltspitze, die roten Machthaber in Peking bedienen sich auch anderer internationaler Sportverbände, um ihren Einfluss zu mehren. Zum Beispiel im olympischen Sport. Nach den Sommerspielen 2008 wird Peking auch die Winterspiele 2022 ausrichten.
Wenn das asiatische Land in nur 14 Jahren zweimal Spiele für das IOC ausrichtet, ist das auf den ersten Blick nicht überraschend: Das bevölkerungsreichste Land auf diesem Planeten ist auch die zweitgrößte Volkswirtschaft - mit dem Drang zu mehr, sagt Henning Vöpel: "China, das wissen wir ja auch aus anderen Bereichen der Politik - denken Sie an die neuen Seidenstraßen oder an die Investitionen in die künstliche Intelligenz - will sich auch im Bereich der Soft Power präsentieren. Da bietet der Sport eine wunderbare Plattform."
Dazu kommt, dass das Land nur rudimentäre demokratische Gewohnheiten pflegt und sein Ein-Parteien-System Mitspracherechte für seine Milliarden-Bevölkerung nicht vorsieht. Ein System, das keinen Widerspruch duldet und auch nicht zu befürchten hat, kann alle Wünsche eines Sportverbandes erfüllen. Das wissen auch IOC und FIFA, um nur die größten und wichtigsten Sportverbände zu nennen. Sie schätzen das Entgegenkommen der chinesischen Regierung jedenfalls sehr.
Als Geschäftspartner sehr begehrt
Kritik an Peking? Nicht aus dem Sport. Der braucht ja seinen Geschäftspartner, vor allem, wenn der auch noch großzügig ist. Veranstalter wie Wladimir Putin in Russland, der laut Nachrichtenmagazin "Focus" rund 50 Milliarden Dollar in die Winterspiele von Sotschi investiert hat, oder das Regime in Peking, das für die Spiele von 2008 rund 40 Milliarden Dollar ausgegeben hat, sind dem IOC als Geschäftspartner sehr lieb.
Im Falle Chinas 2008 hatte das IOC seine Entscheidung für Peking außerdem mit den Worten begründet: "The overall presence of strong governmental control and support is healthy." (Die allgemeine Präsenz staatlicher Kontrolle und Unterstützung ist solide.) Solche Formulierungen machen klar, warum Regimes wie jene in Moskau oder Peking bei den Sportfunktionären so hoch im Kurs stehen.
Einen anderen Grund für die Beliebtheit gerade Chinas bei Verbänden und Vereinen sieht Henning Vöpel in der fortgeschrittenen Digitalisierung der Volksrepublik. Schließlich sei "der chinesische Markt sehr gut aufbereitet. China hat mit Alibaba und mit Tencent und anderen Unternehmen den Markt digital vermessen. Und so können private Akteure darauf auch relativ gut zugreifen."
NBA nach Tweet unter massivem Druck
So ist China in den vergangenen Jahren zu einem bevorzugten Partner der beiden größten und wichtigsten Sportverbände geworden, dem IOC und der FIFA. Bevor Peking 2022 die Winterspiele ausrichtet, findet im Jahr zuvor die "Klub-WM" der FIFA im Reich der Mitte statt, ein Prestigeprojekt des ebenso umtriebigen wie umstrittenen FIFA-Präsidenten Gianni Infantino.
Das ist umso bemerkenswerter, wenn man zwei Ereignisse des Jahres 2019 betrachtet, die beispielhaft belegen, was geschieht, wenn die Machthaber in Peking mal nicht so zufrieden sind. Zuerst hatte es den US-Basketball getroffen. Ein NBA-Funktionär hatte in den Sozialen Medien Verständnis für die in Hongkong protestierenden Studenten gezeigt und sie zu weiterem Widerstand aufgefordert.
Im Folgenden war es in Festlandchina zu heftigen Protesten gegen die NBA gekommen. Die Verantwortlichen innerhalb der NBA und Vertreter vieler Vereine distanzierten sich vom ursprünglichen Tweet und von jeder Kritik an China überhaupt. Um ihre Geschäftsinteressen nicht zu gefährden, ruderten die Amerikaner zurück und führten einen formvollendeten medialen Kotau auf.
Mit Stalins Methoden
Ein weiteres Beispiel dafür, wie kompliziert der Umgang mit den Machthabern in Peking ist, lieferte der frühere deutsche Fußballnationalspieler und Weltmeister von 2014, Mesut Özil. Er hatte in einem Tweet den Umgang der kommunistischen Partei Chinas mit den im Nordosten des Landes lebenden muslimischen Uiguren kritisiert. Als könne ein einzelner Fußballer aus Europa eine Weltmacht ernsthaft herausfordern, griff Peking zu drakonischen Maßnahmen. So wurde der Kicker aus der chinesischen Version des Videospiels "eFootball PES 2020" gelöscht.
Diese an die Methoden des sowjetischen Diktators Stalin erinnernde Praxis, der Fotos retuschieren ließ, um Menschen optisch "aus der Geschichte" zu tilgen, wurde mit großer Geste erklärt: "Seine [Anm. d. Red.: Özils] Worte haben die Gefühle der chinesischen Fans verletzt und gegen den Sportgeist der Liebe und des Friedens verstoßen", so der chinesische Betreiber des Computerspiels. Pekings Staatssender CCTV hatte die Übertragung des Spiels des FC Arsenal gegen Manchester City gestrichen. Özils "falsche Kommentare" hätten die chinesischen Fans und den nationalen Fußballverband "enttäuscht".
Der 1. FC Köln als abschreckendes Beispiel
Verbände und Vereine, aber auch einzelne Sportler müssen vorsichtig sein. Das eingangs erwähnte Engagement des Bundesligisten 1. FC Köln wirft ein Schlaglicht auf die Fallstricke, von denen es im Riesenreich mit dem Riesenmarkt viele gibt. Es zeigt ebenfalls, dass es unter gewissen Umständen auch am heimatlichen Markt heftigen Gegenwind geben kann.
Zunächst hatte der Verein sein geplantes Investment in China abgesagt. Stefan Müller-Römer vom Mitgliederrat und ehemaliger Interimspräsident des Vereins hatte die Entscheidung allerdings moralisch begründet und gesagt, der FC könne eine "totalitäre und brutale Diktatur nicht unterstützen."
Der Verein hatte daraufhin klargestellt, die Absage sei aus sportlichen Gründen erfolgt, so Vereinspräsident Werner Wolf. Auch in der Stellungnahme des Vereins gegenüber der DW wird als Grund für die Absage die "derzeitige sportliche Situation" angeführt. Aber auch wirtschaftlich könne der vom Abstieg bedrohte Verein das Engagement nicht stemmen. Das habe "mit dem Bündeln von Ressourcen und dem Setzen von Prioritäten zu tun, denn wir hätten bei dem Projekt auch Personal einsetzen müssen."
Dennoch bekam dieser Vorgang in Deutschland selbst eine ungeahnte Dynamik. Eine Zeitung hatte berichtet, die Deutsche Fußballliga (DFL) wolle nun den Verein zur Zahlung von Schadensersatz verpflichten, weil der chinesische Medienpartner der DFL mit einer Reduktion der Lizenzzahlungen gedroht habe. Der DW versicherte die DFL, dass es "keine Reaktion aus China in Richtung DFL" gegeben habe. Und daher gäbe es auch "keinen Anlass, dem 1. FC Köln entsprechende Einnahmeausfälle zu belasten."
Sport und Moral?
Der Deutsche Fußballbund (DFB) hatte im Zusammenhang mit dem Streit um Özils Tweet übrigens auf ein Abkommen des Verbandes mit der Deutschen Fußball Liga (DFL), dem chinesischen Bildungsministerium und dem chinesischen Fußball-Verband (CFA) verwiesen: "Die Zusammenarbeit zielt auf den Austausch zwischen beiden Ländern ab", schrieb der DFB. "Das heißt, die Partnerschaft besteht weiterhin."
Ähnlich sieht das auch der Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstitutes. Auf die Frage, wie sich Sport, Geschäft und Moral unter einen Hut bringen lassen und ob man profitorientierte Sportunternehmen überhaupt mit moralischen Ansprüchen belasten sollte, antwortete Henning Vöpel: "Ich denke: Es gibt nach wie vor rote Linien. Das muss man schon sagen."
Aber, fährt Vöpel fort und dabei kommt er der Position des Deutschen Fußballbundes schon recht nah: "Wir sehen ja auch in anderen Politikbereichen, dass Verständigung, Kooperation und Zusammenarbeit notwendig sind - auch über politische, manchmal auch über moralische oder ethische Grenzen hinweg."