China, die Uiguren und deutsche Firmen
27. November 2019Mit wie viel systematischer Gewalt das chinesische Regime gegen die Minderheit der Uiguren im Nordwesten Chinas vorgeht, darüber geben die unlängst veröffentlichten China Cables erschreckende Auskunft. Seither verlangen Politiker in den USA, in Europa, in Deutschland Standhaftigkeit in Sachen Menschenrechte. Weniger forsch klingen die Stellungnahmen deutscher Unternehmen, die in der Region aktiv sind, allen voran Volkswagen, BASF und Siemens. Tenor: Wir wussten nichts Genaues, bei uns geht alles nach Recht und Gesetz vonstatten.
Zügig und einigermaßen ausführlich bezog Volkswagen Stellung, um dem Verdacht zu begegnen, das Image des deutschen Autobauers bekäme auch noch durch die brutalen Missstände in der chinesischen Provinz Kratzer. "Wir gehen davon aus, dass kein Mitarbeiter unter Zwang arbeitet", betonte VW mit Blick auf die Belegschaft in seinem Werk in der Provinzhauptstadt Ürümqi. Der Standort ist ein Joint Venture mit dem chinesischen Konzern Saic. 650 Mitarbeiter bauen hier Autos für den heimischen Markt, es ist eine der kleinsten der weltweit über 120 VW-Fabriken.
Die Wirtschaftsprofessorin Karen Horn, die an den Universitäten Erfurt und Zürich auf dem Gebiet der Wirtschaftsethik forscht und lehrt, sagt: "Man bräuchte Nachweise, dass sie [die Firmen] wissentlich Zwangsarbeiter beschäftigen. Dafür gibt es bisher keine Beweise."
VW: "Wir beobachten"
"Volkswagen ist sich der Lage in der Region bewusst", erklärte das Unternehmen. "Wir beobachten die Entwicklungen und beziehen uns dabei auf die öffentlich zugänglichen Berichte der Vereinten Nationen." Ziel von VW sei es, "dass mit Arbeitsplätzen für alle Volksgruppen das soziale Umfeld für die Menschen in Ürümqi verbessert" werde.
Aber wann wäre der Punkt, an dem es für ein Unternehmen unhaltbar wäre, dort zu bleiben? Eine extrem schwierige Entscheidung, sagt Karen Horn. "Wenn Verfolgung, Gefängnis, Zwangsarbeit dahinter stehen, dann kommen wir an einen Punkt, an dem die Grenze überschritten ist. Dann wäre das auch ein Verstoß gegen deutsches Recht. Dann muss gehandelt werden."
Nach Angaben der Vereinten Nationen sind mindestens eine Million Angehörige der Volksgruppe und andere Muslime in der Region festgesetzt worden. Wegen des Vorgehens Chinas haben die USA unlängst 28 chinesische Unternehmen und Regierungsorganisationen auf eine schwarze Liste gesetzt.
Die VW-Fabrik steht in einer abgelegenen Region, in der nach Regierungsangaben in den ersten zehn Monaten dieses Jahres 23.000 Autos verkauft wurden. Das ist für chinesische Verhältnisse verschwindend wenig. Im Rest des Landes hat allein Volkswagen im letzten Jahr mehr als vier Millionen Autos abgesetzt.
Druck von der KP?
Was also will der Konzern mit einem kleinen Standort, der über weite Entfernungen mit allen Teilen erst beliefert werden muss? In China sei es "ein offenes Geheimnis", schrieb dazu jetzt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, "dass die Investitionen auf den Druck der Kommunistischen Partei zurück gehen". Wohlverhalten in einer Krisenregion, um die eigenen Ziele anderweitig durchsetzen zu können? Die Entscheidung für die seit 2013 bestehende Fabrik sei "auf Grundlage rein wirtschaftlicher Überlegungen gefällt" worden, erklärte der Konzern dazu am Dienstag. VW gehe von einer weiteren wirtschaftlichen Stärkung Westchinas aus und halte daher weiterhin an dem Werk in Ürümqi fest.
Die Führung in Peking hat jegliches Fehlverhalten zurückgewiesen und betrachtet die Vorgänge in der Provinz als innenpolitische Angelegenheit. Die Einrichtungen, in denen die Uiguren festgehalten werden, bezeichnet die Regierung als Berufsbildungszentren.
Da will auch das Europäische Parlament nun Genaueres wissen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister, forderte, dass "Vertretern der Vereinten Nationen unverzüglich ungehinderter Zugang zu der chinesischen Provinz Xinjiang gewährt" werde, um die Zustände vor Ort nach dem Bekanntwerden der geheimen Regierungsdokumente bewerten zu können.
BASF: "Kein Zwang"
In der zweitgrößten Stadt der Provinz, in Korla, hat die deutsche BASF seit 2016 eine gemeinsame Fertigungsstätte mit einem chinesischen Partner, eine "Anlage im Weltmaßstab", so BASF gegenüber der DW. Gründe für die Investition an dem Standort seien seinerzeit "Wettbewerbsfähigkeit und die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen" gewesen. Zu den nun bekannt gewordenen Berichten äußert sich der Chemiegigant zurückhaltend: Man sei sich "der sozialen Probleme im Raum Xinjiang bewusst", heißt es da. Eine klare Aussage hingegen zu den Lagerinsassen: "Wir schließen aus, dass Mitarbeiter unter Zwang für uns arbeiten." Man habe mit den Partnern vor Ort entsprechende Vereinbarungen "auf Basis des BASF-Verhaltenskodex".
Mit einer Niederlassung in Ürümqi ist auch der deutsche Siemens-Konzern in der Region tätig - und steht wegen seiner Geschäfte in Xinjiang in der Kritik. Denn der Konzern arbeitet mit dem chinesischen Rüstungszulieferer CETC zusammen, der nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch eine Überwachungs-App entwickelt hat, mit deren Hilfe Uiguren von der Polizei verfolgt und eingesperrt würden. Zu dem Geschäftspartner CETC heißt es bei Siemens, man entwickle mit ihm "im Schwerpunkt" intelligente Fertigungslösungen. Siemens liefere CETC "keine Produkte, die in Endprodukten unseres Kunden zum Einsatz kommen". Im übrigens unterhalte man in Ürümqi ein Büo mit rund 50 Mitarbeitern, ein Zehntel davon Uiguren. "Uns ist nicht bekannt, dass dort Mitarbeiter unter Zwang arbeiten", so ein Siemens-Sprecher zur DW.
So oder so: Unternehmen wie Siemens, VW oder BASF seien groß genug und leisteten ausreichend Technologietransfer, "dass sie auch mal ihr Gewicht in die Waagschale werfen können, um zu sagen: Lasst das oder wir sind raus", sagt die Wirtschaftsethikerin Karen Horn. "Dann müssen aber im Zweifel auch Konsequenzen folgen." Gerade bei diesen Technologie-Unternehmen, die für China so wichtig sind, wäre das möglich.