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China droht eine Ära des langsamen Wachstums

Liangping Gao u.a., Reuters
18. Juli 2023

Das Wachstum mau, die Jugendarbeitslosigkeit hoch, die Schulden steigend. Nicht nur Ökonomen fragen sich: Wird das lange Zeit als Konjunkturlok der Weltwirtschaft geltende China vielleicht doch nie reich werden?

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Straßenszene aus Tianjin, China mit einem kommunalen Fahrzeug der Stadtreinigung
Superstar oder Mitläufer: Wohin steuert Chinas Volkswirtschaft? Bild: DW

Es ist noch gar nicht so lange her, da gingen Regierungsmitglieder in Peking und Ökonomen davon aus, dass die Volksrepublik noch in diesem Jahrzehnt die USA als weltgrößte Volkswirtschaft ablösen werden. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs rasant, junge Chinesen strömten in Scharen an die Universitäten, um in zukunftsträchtigen Fächern zu studieren, ausländische Unternehmen rangelten um Investitionen in China. "Es ist unwahrscheinlich, dass die chinesische Wirtschaft die der Vereinigten Staaten innerhalb der nächsten ein oder zwei Jahrzehnte übertreffen wird", sagt nun Analyst Desmond Lachman vom American Enterprise Institute. Er erwartet, dass sich das Wirtschaftswachstum auf jährlich etwa drei Prozent verlangsamen wird, "was sich wie eine wirtschaftliche Rezession anfühlen wird". Denn die Jugendarbeitslosigkeit liegt bereits jetzt bei mehr als 20 Prozent.

Gern werden Vergleiche mit dem Japan der 1990er-Jahre gezogen. Doch die hinken. Als die japanische Wirtschaft zu stagnieren begann, hatte sie bereits das durchschnittliche Pro-Kopf-BIP der einkommensstarken Volkswirtschaften überschritten und näherte sich dem Niveau der Vereinigten Staaten. China liegt hingegen aktuell im weltweiten Vergleich nur knapp über dem mittleren globalen Einkommensniveau.

Mittel- bis langfristig nicht optimistisch

Im abgelaufenen zweiten Quartal schaffte die Wirtschaft noch ein Wachstum von 6,3 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Doch die Zahl trügt: Ein Jahr zuvor war die Konjunktur wegen der drakonischen Corona-Politik und Lockdowns in Metropolen wie Shanghai stark belastet. Für 2023 insgesamt wird ein Wachstum von etwa fünf Prozent erwartet. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahrzehnt lag das jährliche Wachstum noch bei durchschnittlich sieben Prozent, in den 2000er Jahren sogar bei mehr als zehn Prozent.

Blick in eine Textilfabrik im Tianjin Industrial Park in der  nordwestlichen chinesischen Uiguren-Region Xinjiang
Blick in eine Textilfabrik im Tianjin Industrial Park in der nordwestlichen chinesischen Uiguren-Region Xinjiang Bild: Xinhua/imago images

Die nachlassende Dynamik führen Ökonomen auf den schwachen Konsum der Verbraucher und schwächelnde Investitionen zurück - und nicht mehr auf Pandemie-Nachwehen. So schrumpft die Zahl der Arbeitskräfte, während die der Ruheständler steigt. "Das demografische Problem, die harte Landung des Immobiliensektors, die hohe Schuldenlast der lokalen Behörden, der Pessimismus des Privatsektors sowie die Spannungen zwischen China und den USA lassen uns nicht optimistisch auf das mittel- bis langfristige Wachstum blicken", sagt deshalb der Chefökonom des Vermögensverwalters Huatai Asset Management, Wang Jun.

Der mächtigen Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) sind die Probleme bewusst. Ihr Chef Zheng Shanjie wies in der Zeitschrift "Qiushi" darauf hin. China müsse "den Aufbau eines modernen Industriesystems beschleunigen". Zheng verwies auf die Schwierigkeit, angesichts steigender Kosten und abnehmender Wettbewerbsfähigkeit den Übergang vom mittleren zum hohen Einkommensniveau zu schaffen.

"Haben wir genug von diesen Unternehmen?"

Ökonomen führen zwar gern Chinas Boom bei Elektrofahrzeugen als Beweis für den anhaltenden Fortschritt an. Aber ein Großteil der Industrie wird nicht mit dem gleichen Tempo modernisiert. Dazu kommt: Der Auslandsabsatz von Autos macht nur 1,7 Prozent der Exporte aus. "Viele Beobachter sagen: Wow, China kann all diese fantastischen Produkte entwickeln, also sollte die Zukunft rosig sein", sagt der Chefökonom des Nomura-Forschungsinstituts, Richard Koo. "Meine Frage ist: Haben wir genug von diesen Unternehmen?"

Produktionslinie in der Beijing Automotive Factory in Qingdao in der Provinz Shandong
Produktionslinie in der Beijing Automotive Factory in Qingdao in der Provinz ShandongBild: AFP/Getty Images

Die Regierung muss sich entscheiden, ob sie lieber die Nachfrage der Konsumenten ankurbeln will oder auf eine Stärkung der Exportindustrie setzen soll. Die von Präsident Xi Jinping ausgegebene Strategie des "gemeinsamen Wohlstands" und sein Kampf gegen die Ungleichheit haben zu Gehaltskürzungen in der Finanzbranche und in anderen Wirtschaftsbereichen geführt. Viele Kommunen haben wegen roter Zahlen die Gehälter ihrer Mitarbeiter gekürzt. Hinzu kommt ein wenig tragfähiges soziales Sicherheitsnetz, weshalb viele Chinesen Geld beiseite legen, um selbst vorzusorgen. Viele Ökonomen fordern deshalb eine bessere öffentliche Gesundheitsversorgung, höhere Renten und mehr Arbeitslosenunterstützung, damit die Verbraucher weniger sparen und mehr konsumieren.

Nomura-Forscher Koo sieht China in einer "Bilanzrezession": Verbraucher und Unternehmen zahlen lieber Schulden zurück, anstatt Kredite aufzunehmen und zu investieren. Dagegen würden nur "schnelle, substanzielle und nachhaltige" fiskalische Anreize helfen. Die aber hält der Experte angesichts der Schuldenproblemen für nicht machbar.

Zugleich nimmt der außenpolitische Gegenwind zu: Industriestaaten wie Deutschland versuchen, ihre Abhängigkeit von China zu verringern. Peking wiederum will die Exporte von Rohstoffen wie Metallen, die in Halbleitern verwendet werden, als Druckmittel einsetzen. "Jedes Mal, wenn die USA eine Anti-China-Politik ankündigen, kommt die chinesische Regierung mit einer Gegenmaßnahme", sagt Koo. "Aber die Amerikaner befinden sich nicht in der Falle des mittleren Einkommens. China schon."