Wohin steuert der chinesische Fußball?
28. September 2021Vor zehn Jahren, als der chinesische Fußball just damit begonnen hatte, viel Geld auszugeben und die Chinese Super League in den Fokus der Fußballwelt rückte, ging der Meistertitel erstmals an Guangzhou Evergrande. Finanziert vom potenten Immobilienkonzern Evergrande folgten in den nächsten acht Jahren sieben weitere Titel und zwei Asienmeisterschaften. Heute ist Evergrande jedoch mit 255 Milliarden Euro verschuldet und die Zukunft des Vereins mehr als ungewiss. Der Rekordmeister liefert damit ein Spiegelbild der Achterbahnfahrt, die der gesamte chinesische Fußball in den vergangenen zehn Jahren durchlaufen hat.
Guangzhou Evergrande gab sein Geld vor allem für berühmte Importe aus, wie die brasilianischen Nationalspieler Robinho und Paulinho und Toptrainer wie die Weltmeister-Coaches Marcello Lippi und Luiz Felipe Scolari. Andere Klubs mit ähnlich potenten Besitzern folgten diesem Beispiel. Das "Wettrüsten" erreichte seinen Höhepunkt im Winter 2016/17, als die chinesische Super League innerhalb von nur zwei Monaten insgesamt 388 Millionen Euro für neue Spieler ausgab und damit alle anderen Ligen der Welt toppte.
Als Shanghai SIPG im Dezember 2016 für den brasilianischen Mittelfeldspieler Oscar mehr als 60 Millionen Euro an den FC Chelsea zahlte, warnte Chelseas damaliger Trainer Antonio Conte, dass der Aufstieg Chinas eine "Gefahr für alle Mannschaften der Welt" sei. Genau wie Conte waren damals in den etablierten europäischen Ligen viele über den Aufstieg des neuen Rivalen besorgt.
Staatlicher Eingriff und finanzielle Probleme
Tatsächlich bewahrheitete sich, dass die hohen Ausgaben der chinesischen Vereine "eine Gefahr" waren, wie Conte sagte, allerdings - wie sich zeigen sollte - für die Super-League-Klubs selbst. Seit 2018 haben die chinesischen Behörden, alarmiert von den horrenden Geldsummen, die das Land verlassen hatten und auf den Konten ausländischer Spieler, Vereine und Agenten gelandet waren, die Ausgaben durch die Einführung von Transfersteuern und Gehaltsobergrenzen eingeschränkt. Anfang 2021 wurde zudem verboten, Sponsorennamen im Vereinsnamen zu führen.
Das führte dazu, dass der Jiangsu FC - im November 2020 als Jiangsu Suning FC noch Meister der Super League - im Frühjahr 2021 aufgelöst wurde. Hinter dem Verein stand das Elektrogeräte-Unternehmen Suning Commerce Group, dem auch der italienische Meister Inter Mailand gehört. Nach dem Eingriff der chinesischen Führung ins Regelwerk war das Engagement für Suning nicht mehr attraktiv. Da kein neuer Sponsor gefunden werden konnte, endete die Klubhistorie abrupt. Ähnliches könnte auch dem Guangzhou FC drohen. Und auch wenn er nicht pleite geht, so sind die Tage seiner Dominanz und der Status als Aushängeschild des chinesischen Fußballs sicherlich vorbei.
"Die Beziehung zwischen der Unternehmenswelt und dem Fußball ist zu eng und zu schlecht geregelt", so Simon Chadwick, Professor für eurasischen Sport an der Emlyon Business School, gegenüber der DW. "Der Fußball in China braucht eine neue Vereinbarung, bei der der nationale Fußballverband die Macht und die Autonomie erhält, wenn es darum geht, die Aktivitäten von und Beziehungen zu Organisationen wie Evergrande zu regeln."
Kaum Chancen in der WM-Qualifikation
Ein großer Teil der Motivation, die hinter den Ausgaben der Klubs stand, war auch das Anheben des Niveaus im chinesischen Fußball und damit auch die Verbesserung der unterdurchschnittlichen Nationalmannschaft. Im Jahr 2016 kündigte der Chinesische Fußballverband (CFA) an, China bis 2030 zu einer asiatischen Macht und bis 2050 zu einer der weltweit führenden Fußballnationen machen zu wollen. Die Rückkehr zur Weltmeisterschaft nach der einzigen Teilnahme im Jahr 2002 wurde als entscheidend für die Entwicklung des Teams und den Nationalstolz angesehen.
Nun hat der Zustrom ausländischer Stars zwar das Niveau der chinesischen Super League verbessert, doch ist ungewiss, ob die Nationalmannschaft davon ebenfalls profitiert hat. Vor einem Jahrzehnt lag China laut FIFA auf Platz 69 der Weltrangliste, sechs Plätze höher als heute.
"Es ist sehr schwierig für China, sich für die Weltmeisterschaft 2022 zu qualifizieren, da immer noch ein großer Abstand zwischen China und den asiatischen Spitzenteams wie Japan, Australien, Iran, Südkorea und Saudi-Arabien besteht", sagt Ma Dexing, Chinas führender Fußballkommentator, der DW. Im September verlor China in den ersten beiden Spielen der letzten Qualifikationsrunde für 2022 gegen Japan und Australien, die WM-Endrunde in Katar liegt damit aktuell in weiter Ferne.
Super League pausiert für Nationalteam
Um der Nationalmannschaft Zeit für die Vorbereitung auf die Qualifikationsspiele im September, Oktober und November zu geben, wurde sogar die chinesische Super League von Mitte August bis Dezember ausgesetzt - was nicht alle befürworten. "Ich bin absolut nicht einverstanden mit der Idee, die chinesische Superliga zu stoppen", sagt Ma. "Ich dachte, es gäbe viel bessere Lösungen."
Seine Bedenken scheinen begründet gewesen zu sein. Der Mangel an Spielen in der Heimat hat die finanziellen Probleme einiger Klubs verschärft. Ein Trainer berichtet der DW, dass er und seine Spieler seit vier Monaten kein Geld mehr bekommen hätten, da wegen fehlender Spiele die Einnahmen seines Vereins ausgeblieben seien. Zudem tritt die große Mehrheit der Spieler wegen der fehlenden Matchpraxis fußballerisch auf der Stelle.
Massive Ausweitung der Fußball-Ausbildung
Dabei liegt der Schlüssel, um den Abstand zur Spitze tatsächlich zu verringern, wohl darin, mehr und bessere Spieler hervorzubringen. Vor einem Jahrzehnt starteten das Bildungsministerium und die CFA ein umfangreiches Programm, um Kinder zum Fußballspielen zu bringen. Bis Ende 2019 boten insgesamt 27.000 Schulen in China für rund 27 Millionen Schüler speziellen Fußballunterricht an. Bis 2025 soll die Zahl auf 50 Millionen Schüler an 50.000 Schulen steigen. Vierzigtausend Fußballplätze wurden gebaut oder renoviert, und Tausende von Trainern wurden - auch mit Unterstützung des Deutschen Fußballbundes (DFB) - ausgebildet.
Auch Tom Byer, ein Experte für Jugendentwicklung aus Japan, dem Land, dessen System China nachahmen wollte, wurde nach Peking geholt, um bei der Ausweitung der Fußballausbildung für Kinder und Trainer zu helfen. Byer ist der Meinung, dass Fortschritte gemacht wurden und dass der Weggang der berühmten ausländischen Stars nicht nur schlecht ist. "Diese hochkarätigen Ausländer besetzen Schlüsselpositionen, die eigentlich von chinesischen Spielern eingenommen werden sollten", so Byer. "Jetzt sagen die Trainer in China, dass ihre besten Spieler jüngere Spieler sind, und sie geben ihnen mehr Chancen."
Die Torschützenliste der chinesischen Super League wurde in den letzten Jahren von ausländischen Spielern dominiert, aber jetzt sind einheimische Stars wie Zhang Yuning und Liu Wenjun dabei. Es werden aber noch mehr gebraucht. Fußballkommentator Ma Dexing geht davon aus, dass es noch zehn bis 15 Jahre dauern wird, bis China kontinuierlich bessere Spieler hervorbringt.
Chadwick: "Lehren wurden gezogen"
"Die Integration des Fußballs in den Lehrplan deutet darauf hin, dass sich die Investitionen Chinas in den Sport über einen längeren Zeitraum auswirken werden", sagt auch Simon Chadwick. "Auf dem Spielfeld werden wir in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts erste Fortschritte sehen, obwohl es wahrscheinlich ist, dass es mindestens noch bis 2035 dauern wird, bis China in der Rangliste des Fußballs nachhaltig aufsteigt."
Die Chancen, dass es im nächsten Jahrzehnt tatsächlich so kommt, schätzt Chadwick dabei höher ein als in der vergangenen Dekade. "Was wir sagen können, ist, dass China jetzt weiß, was nicht funktioniert und was es nicht tun sollte - zum Beispiel, alternden Spielern aus dem Ausland hohe Gehälter zu zahlen."
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.