China und Pakistan wollen Taliban zügeln
26. Juli 2021Der chinesische Außenminister Wang Yi ist besorgt. In Afghanistan müsse ein Bürgerkrieg verhindert werden, sagte Wang seinen Amtskollegen der Mitgliedsstaaten der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) beim Treffen Mitte Juli in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe. Die acht SCO-Mitgliedstaaten, die sich hauptsächlich mit der Sicherheitspolitik in der Region beschäftigen, seien darum gefordert, gemeinsam einen Versöhnungsprozess in Afghanistan voranzutreiben.
China will das Wiederaufleben terroristischer Kräfte verhindern, da Afghanistan an die westchinesische Uiguren-Provinz Xinjiang grenzt, die muslimisch geprägt ist. Nach Chinas Lesart kehren viele Extremisten nach ihrer Ausbildung in Afghanistan nach China zurück. Sie werden für zahlreiche Anschläge in China verantwortlich gemacht.
Die SCO sollte alle Anstrengungen dagegen unternehmen, dass sich "Terrorismus, Separatismus und Extremismus" von Afghanistan aus in den Nachbarländern verbreiten. Peking nutzt den Begriff "Separatismus", um die Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang zu legitimieren. Das Turkvolk könnte sich durch den Aufstieg der Taliban ermutigt sehen, ihren Kampf um Unabhängigkeit fortan mit neuer Energie fortzuführen.
Handelswege unter Terrordruck
Als enger regionaler Handelspartner ist auch Pakistan für China eine Drehscheibe nach Süd- und Zentralasien, vor allem nach Afghanistan. Über den gemeinsamen chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (China Pakistan Economic Corridor, kurz CPEC) möchte China Afghanistan in sein transnationales Wirtschaftsgeflecht, bekannt als Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, kurz BRI), einbinden. So hat Peking Pakistan dazu bewegt, mehrere gemeinsame Grenzmärkte mit Afghanistan zu eröffnen.
Jetzt kommen diese Projekte durch Separatisten in der westpakistanischen Provinz Belutschistan unter Druck, die zahlreiche Anschläge auf chinesische Einrichtungen im Rahmen des CPEC verübt hatten. Ebenso ist in der Grenzregion auch die Milizengruppe Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP) aktiv, die als pakistanische Bewegung der Taliban bekannt ist.
Im April zündete die TTP eine Bombe vor einem Luxushotel in Quetta, der Hauptstadt der Provinz Belutschistan. Viele Menschen kamen dabei ums Leben. Presseberichten zufolge galt der Anschlag dem chinesischen Botschafter in Pakistan, der Belutschistan besuchte. Nach Angaben des pakistanischen Innenministeriums war der Botschafter zur Zeit des Anschlags aber nicht im Hotel.
Afghanistan als "neues Schlachtfeld"?
Mit dem Erstarken der Taliban in Afghanistan fühlt sich auch deren pakistanische Schwestermiliz zu verstärkten Anschlägen berufen. Dies gilt umso mehr, als die pakistanische Armee in den vergangenen Jahren Teile der TTP über die Grenze nach Afghanistan vertrieben hat. Angaben der Vereinten Nationen zufolge leben rund 5.000 TTP-Milizen in Afghanistan.
Zwar hat die pakistanische Regierung die Taliban wiederholt aufgefordert, die TTP zu zügeln. Doch dem seien die Taliban nicht nachgekommen, berichtet die indische Zeitung The Diplomat. Im Gegenteil: Nach dem Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan hätten die TTP-Milizen verstärkt Angriffe unternommen, um ihre Schlagkraft unter Beweis zu stellen. "Der Erfolg des CPEC und im Weiteren auch derjenige der BRI hängt jetzt von Afghanistan ab, das mutmaßlich so zu einem neuen Schlachtfeld wird", so The Diplomat.
Einer der jüngsten Terrorakte war Mitte Juli ein Bombenanschlag auf einen Passagierbus in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa. Dabei kamen neun Chinesen und vier pakistanische Zivilisten ums Leben. Die TTP erklärte zwar, sie sei für den Angriff nicht verantwortlich, räumte aber ein, dass eine Splittergruppe den Angriff unternommen haben könnte. Die Auskunft signalisiert nicht zuletzt auch, dass China bei den TTP über keine Ansprechpartner verfügt, die Vereinbarungen und Abmachungen auch durchsetzen könnten.
"Die TTP und andere Militante werden für chinesische Interessen auf pakistanischem Boden weiterhin eine Bedrohung darstellen", so The Diplomat. "Und mit der Instabilität in Afghanistan wird auch die Gefahr für den CPEC wachsen."
Investitionsrückgang in Afghanistan
Bedroht sind aber auch chinesische Projekte in Afghanistan. So sind etwa chinesische Unternehmen in die Ausbeutung einer Kupfermine in der Provinz Lugar aktiv. Wieder andere beteiligen sich am Straßenbau in Nordafghanistan oder sind dort an der Erdölförderung beteiligt. Teile dieser Engagements sind bereits zurückgefahren worden.
Anfang Juli hatte das Außenministerium in Peking die in Afghanistan lebenden Chinesen aufgefordert, das Land umgehend zu verlassen. Kurz darauf wurden über 200 chinesische Staatsbürger ausgeflogen.
Zugleich treibt die Regierung in Kabul in der afghanisch-chinesischen Grenzregion Pamir den Bau einer großen Straße voran - die erste, die bis zur chinesischen Grenze führen würde. Über sie will China künftig die in Afghanistan geförderten Bodenschätze importieren.
Umgekehrt ist die Einbindung in die chinesische Seidenstraßeninitiative auch für Afghanistan wichtig. Denn in diesem Netz könnte Afghanistan zu einer Drehscheibe für den Handel in Richtung seiner nördlichen Nachbarstaaten - etwa Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan – und bis hin zum Kaspischen Meer werden. Bereits 2016 wurde die erste Eisenbahnverbindung zwischen China und Afghanistan eröffnet, die unter anderem über Xinjiang in die westafghanische Provinz Herat führt.
"China ist ein freundliches Land"
Über die wirtschaftliche Bedeutung dieses Handelsnetzes sind sich die Taliban offenbar im Klaren. Anfang Juli sendete ihr Sprecher Suhail Shaheen freundliche Signale in Richtung Peking. Die Taliban begrüßten Investitionen Pekings beim Wiederaufbau des vom Krieg zerrütteten Afghanistans, erklärte er in einem Interview mit der Zeitung South China Morning Post. "Wir waren viele Male in China und haben gute Beziehungen zu Peking", sagte er. "China ist ein freundliches Land, das wir für den Wiederaufbau und die Entwicklung Afghanistans begrüßen."
Doch noch sei es für China zu früh, allzu entschlossen auf die Taliban zuzugehen, heißt es in der Zeitung Eurasia Review, denn noch sei der Machtkampf in Afghanistan nicht entschieden. Auf dessen Ausgang wartet man in Peking offenbar ebenso sehr wie in allen anderen Teilen der Welt.