China USA
8. Juni 2013Salutschüsse, das Abschreiten von Ehrenformationen, Staatsbankette - auf den bislang bei amerikanisch-chinesischen Gipfeltreffen üblichen Pomp wird verzichtet. Die Zwänge des diplomatischen Protokolls werden abgestreift. Neuland wird betreten, weitab von Washington. Barack Obama und Xi Jinping treffen sich in "Sunnylands", einer mit allem Luxus ausgestatteten und vor allem abgelegenen privaten Anlage im Süden Kaliforniens. Die Krawatten bleiben im Koffer. In Hemdsärmeln begegnen sie sich, die Führer der beiden größten Wirtschaftsnationen, der beiden größten Handelsnationen, der beiden größten Umweltverschmutzer. Die USA sind der weltweit größte Schuldner. China der größte ausländische Geldgeber. Mit Xi Jinping wird Barack Obama der Mann gegenüber sitzen, der die Geschicke Chinas bis weit ins kommende Jahrzehnt prägen wird. In dieser Zeit wird China aller Voraussicht nach die USA als größte Wirtschaftsmacht ablösen.
Worum es geht, brachte die frühere US-Außenministerin Hillary Clinton bereits vor gut einem Jahr auf den Punkt. Im Mai 2012 sagte sie in Peking: "Die USA und China versuchen etwas zu tun, was in der Geschichte ohne Beispiel ist: Eine neue Antwort auf die alte Frage zu finden, was passiert, wenn eine etablierte Macht auf eine aufsteigende Macht trifft."
"Vertrauens-Defizit"
Erschwert wird die Suche nach einer neuen Antwort durch einen tief sitzenden Mangel an Vertrauen bezüglich der längerfristigen Ziele des jeweils anderen. Politikwissenschaftler sprechen von "strategischem Misstrauen". Peking unterstellt Washington, den Aufstieg Chinas eindämmen oder gar sabotieren zu wollen, um seine Hegemonie zu bewahren. Die von Barack Obama begonnene Neuausrichtung seiner Asien-Politik, die Umwidmung militärischer und diplomatischer Ressourcen - im Washingtoner Jargon "Rebalancing" genannt - nährt diesen Verdacht noch. Auf amerikanischer Seite besteht die Sorge, dass China Asien dominieren möchte - auf Kosten amerikanischen Einflusses und amerikanischer Interessen.
Strategen sehen die USA und China eher in einem Null-Summen-Spiel als in einer win-win Situation. Elizabeth Economy, China Expertin beim New Yorker Council on Foreign Relations, äußert sich im Gespräch der Deutschen Welle sehr vorsichtig zu den Chancen, das strategische Misstrauen zwischen beiden Staaten abzubauen: "Wenn die Chemie zwischen beiden stimmt und wenn echte Gemeinsamkeiten gefunden werden, dann wäre das der Anfang für den Aufbau von Vertrauen zwischen beiden Ländern." Vertrauen, betont Economy, werde über lange Zeit aufgebaut und basiere auf gemeinsamen Werten und gemeinsamen Politikansätzen. Im Übrigen seien die USA nicht das einzige Land mit einem Vertrauens-Defizit gegenüber China. Andere Länder hätten ähnliche Probleme im Umgang mit China, so die Expertin. Etwa in Bezug auf den Diebstahl geistigen Eigentums, auf Hackerangriffe oder auch auf die Territorialstreitigkeiten im Süd- und im Ostchinesischen Meer.
Wirtschaft und politische Macht
Lange Zeit hatte China sich auf internationaler Bühne zurückgehalten. Noch vom Reformarchitekten Deng Xiaoping war die Devise überliefert worden, China "solle sein Licht unter den Scheffel stellen und den rechten Moment abwarten". Möglicherweise hält die chinesische Führung nach der jahrzehntelangen wirtschaftlichen Aufholjagd jetzt den rechten Moment für gekommen.
Der Berliner Politikwissenschaftler Eberhard Sandscheider hält es für folgerichtig, dass Staaten wirtschaftliche Leistungsfähigkeit irgendwann in politischen Einfluss oder auch militärische Macht übersetzen können. "Und dann entwickeln sie auch globale Interessen. Das heißt: Sie werden aktiver. Sie kümmern sich um Probleme, um ihren eigenen Interessen Vorschub zu leisten. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass China in den internationalen Beziehungen Stück für Stück, langsam, auf die bekannte pragmatische Art, eine immer aktivere Rolle einnehmen wird", so Sandschneider gegenüber der Deutschen Welle.
Investition in "quality time"
Um in dieser Situation Konflikte und Missverständnisse zu vermeiden, sollten die USA und China die Ziele der anderen Seite kennen und auch deren Motive. Dafür sind die zwei Tage "quality time" in Kalifornien eine ausgezeichnete Investition. Im hektischen Politikgetriebe sind derartig ausgiebige Gelegenheiten zum gegenseitigen Kennenlernen und Vertrauensaufbau selten. Zum zweiten Mal werden sich Xi und Obama begegnen, nachdem sich Xi im Februar 2012 im Weißen Haus als künftiger Staats- und Parteichef vorgestellt hatte.
Viel hängt von der Beziehung zwischen den beiden Politikern ab. Denn es steckt mehr als ein Körnchen Wahrheit in dem Satz eines Experten: "Zwar können China und die USA nicht alle Probleme auf der Erde lösen. Doch keines der großen Probleme kann ohne sie gelöst werden."