Chinas große Firewall
7. Februar 2014Die sozialen Netzwerke sind nicht nur sozial und damit für manche in der chinesischen Führung gefährlich, sondern sie sind auch wirtschaftlich sehr erfolgreich. Beides schaut man sich in der chinesischen Führung genau an: Facebooks Börsenwert liegt momentan bei 100 Millarden Dollar, das Unternehmen ist damit teurer als Volkswagen. Twitter wird auf rund 16 Milliarden Dollar geschätzt, womit es etwa in einer Liga mit Adidas und dem Energieriesen RWE spielt. Und auch die amerikanischen Eigentümer des Kurznachrichtendienstes Whatsapp sollen schon mehrere Übernahmeangebote weit jenseits der Milliarden-Dollar Grenze erhalten und abgelehnt haben. Wer sich diese Zahlen vor Augen führt, versteht schnell: Dass die meisten westlichen sozialen Netzwerke in China geblockt sind, liegt nicht nur an Pekings Paranoia vor möglichen Aufständen, die sich über diese Dienste leicht organisieren ließen. Der chinesischen Führung ist mindestens genauso wichtig, seinen riesigen Software- und Internetmarkt nicht einfach dem Silicon Valley überlassen.
Erfolg trotz Zensur
Stattdessen haben die Staatskonzerne eigene Angebote gefördert. QQ, das chinesische Facebook, bringt es auf 800 Millionen Mitglieder und hat damit in nur einem Land fast so viele Nutzer wie Mark Zuckerbergs Original auf der ganzen Welt. Weibo, das chinesische Twitter, kommt auf eine halbe Milliarde Nutzer. Und Wechat, das Pendant zu Whatsapp, wurde mittlerweile auf über 300 Millionen chinesische Smartphones geladen. Was Chinas Softwareentwickler da anzubieten haben, lässt sich durchaus vorzeigen. Und die chinesischen Netzwerke machen die Zensur natürlich einfacher. Anders als es die NSA in den westlichen Netzwerken macht, lesen Chinas Zensoren nicht nur mit, sondern sie löschen allzu regierungskritische Texte gleich. Die angesichts dieser Zensur erstaunliche Popularität der chinesischen Netzwerke liegt unter anderem daran, dass die Chinesen die westlichen Vorbilder nicht nur kopiert, sondern geschickt weiterentwickelt haben. Wechat etwa ist dem nicht nur in Deutschland so populären Whatsapp längst mehr als nur ebenbürtig. So gab es bei dem chinesischen Dienst schon ein Jahr früher als bei der westlichen Konkurrenz die Möglichkeit, Nachrichten nicht nur zu tippen, sondern auch als Sprach-Botschaften aufzuzeichnen und zu verschicken. Bei den Nutzern in China kam das sofort gut an. Sie müssen jetzt ihre Schriftzeichen nicht mehr kompliziert mit den Fingern übers Displays wischen, sondern können einfach drauflos quatschen. Und anders als Whatsapp, das Geldverdienen mit Verweis auf seinen Start-Up Status bislang immer weiter in die Zukunft verschoben hat, kann Wechat bereits mit einem Geschäftsmodell punkten. Viele Chinesen sind momentan ganz wild auf "Sticker". Diese Smileys gehen weit über das hinaus, was man von anderen Chatprogrammen kennt. Beinahe wöchentlich können so bei Wechat neue Kollektionen von animierten Comic-Figuren geladen werden, die wahlweise Herzen in die Luft pusten, lasziv mit dem Hintern wackeln oder sich heulend auf dem Boden wälzen. Einige Kollektionen sind kostenlos, für andere umgerechnet 80 Cent bezahlt werden. Die Sticker sind derart populär, dass es bei Jugendlichen und jungen Erwachsen garantiert Gesprächsthema ist, wenn wieder eine neue Figur zum Download bereit steht: "Hast du schon Garfield?". Neben den Cartoon-Figuren können mittlerweile auch Spiele geladen und online gegen Freunde gespielt werden. Das Wechat mehr als konkurrenzfähig ist, zeigt auch der Erfolg im Ausland: über 100 Millionen Menschen außerhalb Chinas haben das Programm mittlerweile auf ihr Handy geladen.
China will eigenes Betriebssystem
Und schon bald werden in China auch die Entwickler von Betriebssystemen um Marktanteile bangen müssen. Kürzlich wurde bekannt, dass ein chinesisches Konsortium an einem eigenen System arbeitet. Das China Operating System (COS) genannte Projekt soll zuerst für Mobilgeräte erscheinen und später auf weitere Plattformen ausgeweitet werden. Google mit seinem Android-Betriebssystem und auch Apple dürften von dieser Entwicklung nicht angetan sein. Zuletzt hatte der Konzern aus Kalifornien noch Grund zur Freude. Nach jahrelangen Verhandlungen konnte Apple eine Kooperation mit Chinas größtem Netzbetreiber China Mobile verkünden. Die Freude darüber dürfte bei Apple nicht lange anhalten. Die Amerikaner haben nur 6 Prozent Marktanteil, während das koreanische Unternehmen Samsung 17 Prozent Markanteile hat. Peking wird sich schon etwas ausdenken, dass dies nicht so bleibt. Das Ziel ist klar: Ein chinesisches Unternehmen soll im eigenen Markt das größte Stück des Kuchens bekommen.
DW-Korrespondent Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking und gilt als einer der führenden deutschen Chinakenner.