Christchurch-Opfer haben das letzte Wort
24. August 2020Eineinhalb Jahre nach dem rassistischen Terroranschlag auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch ist der Prozess gegen den geständigen Täter auf die Zielgerade eingebogen. Vier Tage lang sollen vor allem Überlebende und Angehörige der Todesopfer angehört werden, bevor die Richter ein Urteil gegen den Angeklagten verkünden. Laut Gericht werden Erklärungen von 66 Personen verlesen, bei Bedarf kann die Anhörung verlängert werden.
"Sie haben Ihre eigene Menschlichkeit getötet, und ich glaube nicht, dass die Welt Ihnen für Ihr furchtbares Verbrechen vergeben wird", sagte Maysoon Salama, deren 33-jähriger Sohn unter den Toten in der Al-Noor-Moschee war. "Sie dachten, Sie können uns brechen. Sie sind massiv gescheitert." Der Angeklagte verfolgte die Aussagen regungslos, berichteten Journalisten aus dem Gerichtssaal. Dort ist wegen der Corona-Pandemie nur jeder zweite Platz besetzt; Zuschauer können in benachbarten Sälen eine Live-Übertragung verfolgen.
Der Imam der Al-Noor-Moschee, Gamal Fouda, sagte vor Gericht, die Handlungen des Schützen seien fehlgeleitet: "Wir sind eine friedliche und liebende Gemeinschaft, die Ihre Taten nicht verdient hat. Ihr Hass ist unnötig." Wenn der Attentäter überhaupt etwas erreicht habe, dann, dass er die Welt mit seinen "bösen Taten" näher zusammengebracht habe.
Kommt der Attentäter nie mehr frei?
Im März hatte der Angeklagte, der auf Anwälte verzichtet hatte, sich schuldig bekannt. Ihm wird Mord in 50, versuchter Mord in 40 Fällen sowie Terrorismus vorgeworfen. Es ist die erste Terrorismus-Anklage in der Geschichte Neuseelands. Darauf könnte sich eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit einer Begnadigung erfolgen - ebenfalls zum ersten Mal in der Geschichte des Inselstaats.
Der 29-jährige Rechtsextremist aus Australien war am 15. März 2019 schwer bewaffnet in zwei Moscheen in Christchurch eingedrungen und hatte das Feuer auf die zum Freitagsgebet versammelten Menschen eröffnet. 51 Menschen starben bei dem Anschlag, 50 weitere wurden verletzt. Er hatte die Tat lange geplant und sich dazu Grundrisse der Moscheen engeprägt; die Al-Noor-Moschee hatte er auch mit einer Drohne überflogen. Im Gerichtsprozess wurde nun bekannt, dass er offenbar vorhatte, die Moscheen mit umgebauten Gasflaschen in Brand zu stecken. Laut der Staatsanwaltschaft war er bereits auf dem Weg zu einer dritten Moschee, als Polizisten sein Auto rammten, ihn herauszerrten und festnahmen.
Ardern: "Namen nicht nennen"
Die gesamte Tat übertrug er mit einer Helmkamera live im Internet. Zuvor hatte der Mann ein Pamphlet ins Netz gestellt, das sein rechtsextremistisches Weltbild ausdrücken sollte. Darin nannte er auch den Norweger Anders Breivik, der 2011 ein Jugendzeltlager auf der Insel Utøya überfallen und 69 Menschen getötet hatte, als Vorbild. Dieser hatte den darauffolgenden Gerichtsprozess als Bühne für seine rechtsextremistischen Ansichten missbraucht - unter anderem hatte er im Gerichtssaal einen Hitlergruß gezeigt. Die neuseeländische Justiz stand beim Christchurch-Prozess unter dem Druck, ähnliche Bilder zu vermeiden.
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern rief dazu auf, den Namen des Christchurch-Attentäters nicht zu nennen: "Er wollte viele Dinge mit seinem Akt des Terrors erreichen. Eines davon war, berühmt zu werden." Bereits bezeichnen sich mehrere Sympathisanten ihn als Vorbild: Darunter ist der Attentäter von Halle, der derzeit vor Gericht steht, weil am hohen jüdischen Feiertag Jom Kippur im Oktober 2019 die Synagoge in Halle stürmen und ein Blutbad anrichten wollte. Er scheiterte an der Synagogentür und tötete draußen zwei Passanten.
Ardern wurde international vielfach für einen empathischen und respektvollen Umgang mit den Opfern gelobt. Nach dem Anschlag brachte sie ein Verbot für halbautomatische Waffen, wie der Attentäter sie genutzt hatte, auf den Weg. Tausende Neuseeländer übergaben daraufhin ihre Waffen freiwillig an die Polizei.
ehl/sti (dpa, ap, rtr)