Krise im Rakhine-Staat
24. August 20181942 – Die Japaner erobern im Zweiten Weltkrieg die britische Kolonie Birma (das heutige Myanmar) mit Unterstützung einer vom Vater Aung San Suu Kyis angeführten birmanischen Armee. Die Briten ziehen sich nach Indien zurück. Während des Abzugs der Briten aus Arakan, dem heutigen Teilstaat Rakhine, und dem Vorstoß der Japaner gibt es mehrere Massaker; sowohl von Buddhisten an Muslimen als auch von Muslimen an Buddhisten. In der Folge kommt es zu einer ethnischen Trennung. Zwei Verwaltungsbezirke an der Grenze zum heutigen Bangladesch sind seither überwiegend von Muslimen bewohnt, der Rest wird von Buddhisten dominiert. Die Massaker hinterlassen tiefe Spuren im kollektiven Gedächtnis beider Bevölkerungsgruppen.
1948 – Birma wird unabhängig. Als natürliche Staatsbürger gelten alle Angehörigen der "indigenen Ethnien". Dazu gehören acht namentlich genannte Gruppen, die schon vor Beginn der britischen Kolonialzeit im Lande lebten. Für alle anderen, darunter Inder, Chinesen aber auch die Rohingyas, gelten komplizierte Sonderregeln, die praktisch dazu führen, dass sie nicht als Staatsbürger anerkannt werden. Für einen Großteil der Bevölkerung hat das kaum praktische Bedeutung, denn der Staat greift nicht ins tägliche Leben seiner Bürger ein und die Grenzen werden kaum kontrolliert. Migration über die Grenzen des neuen Staates hinweg ist üblich. Nach der Unabhängigkeit beginnt im Land ein Bürgerkrieg, an dem sich auch Muslime im Rakhine-Staat beteiligen. Forderungen nach Autonomie werden laut.
1961 – Die nördlichen, überwiegend von Muslimen besiedelten Gebiete Rakhines erhalten eine Sonderverwaltung unter Aufsicht der Zentralregierung von Myanmar.
1962 – Das Militär putscht. Es folgt der "Birmanische Weg zum Sozialismus" unter der Führung von General Ne Win.
1964 – Die Sonderverwaltung wird aufgehoben.
1977 – Das Innenministerium initiiert in den Grenzregionen des Landes eine Kontrolle der Staatsbürgerschaft von Bewohnern. Als die Aktion im Februar 1977 in Rakhine beginnt, flüchten 250.000 Rohingya-Angehörige nach Bangladesch, das 1971 nach einem Krieg die Unabhängigkeit von Pakistan erlangte. Sechs Monate später schließen Myanmar und Bangladesch ein Repatriierungsabkommen. Die meisten Flüchtlinge, die jetzt üblicherweise als Rohingya bezeichnet werden, kehren daraufhin zurück.
1982 – Ein neues Staatsbürgerschaftsrecht wird verabschiedet. Es sieht drei Formen der Staatsbürgerschaft mit abgestuften Rechten vor und zielt auf eine Registrierung der nicht als indigen anerkannten Bewohner. Offiziell soll das neue Gesetz den Nachkommen die volle Integration ermöglichen. Aufgrund des Misstrauens zwischen den Bevölkerungsgruppen und bürokratischer Hindernisse ist die Anzahl derer, die sich registrieren lassen, gering. Der Status der Staatenlosigkeit für die Rohingyas wird damit festgeschrieben.
1988 – Ein nach einem Volksaufstand erfolgter Militärputsch beendet das sozialistische Regime. Aung San Suu Kyi verkörperte nach ihrem Eintritt in die Politik die Hoffnung der Menschen auf einen Neuanfang, auch im Rakhine-Staat. Sie wurde zur führende Oppositionspolitikerin gegen das Militär und verbrachte mehr als 15 Jahre im Hausarrest.
1991 – Spannungen im nördlichen Rakhine-Staat und Berichte über das gewaltsame Vorgehen der birmanischen Armee lösen eine erneue Massenflucht von etwa 250.000 Rohingya nach Bangladesch aus.
1992 – Gemeinsam mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) wird eine Repatriierung vorbereitet. Ein Jahr später unterzeichnen Myanmar und Bangladesch ein Repatriierungsabkommen. Etwa 230.000 Flüchtlinge kehren in den folgenden zwölf Jahren zurück, begleitet von Vorwürfen, dass die Flüchtlinge zur Rückkehr gezwungen würden.
Politischer Neuanfang
2010 – Die vom Militär geschaffene Solidaritäts- und Entwicklungspartei (USDP) gewinnt die Wahlen. Aung San Suu Kyi wird anschließend aus dem Hausarrest entlassen.
2011 – Der neu gewählte Präsident Thein Sein kündigt umfassende Reformen an.
2012 – Im Rakhine-Staat kommt es im Juni zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Buddhisten und Muslimen. Mehr als 150 Menschen sterben, etwa 100.000 werden vertrieben und in gesonderten Camps untergebracht, überwiegend Rohingyas. Im August setzt Thein Seine eine Untersuchungskommission ein.
2013 – Landesweit kommt es zu anti-muslimischen Ausschreitungen. Mindestens 50 Menschen sterben. Im April veröffentlicht die Untersuchungskommission ihren Bericht. Sie stellt fest, dass die Volksgruppen im Rakhine-Staat nicht zu einem Zusammenleben bereit seien und fordert, die Lebensbedingungen aller Menschen im Rakhine-Staat zu verbessern.
2014 – Myanmar führt eine Volkszählung durch. In den am stärksten von Rohingyas bevölkerten Bezirken Maungdaw und Buthidaung weigern sich viele Menschen teilzunehmen, da ihre Ethnie nicht aufgeführt ist. Im August veröffentlicht das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR einen Bericht, nach dem seit 2012 knapp 90.000 Rohingya überwiegend über das Meer aus Myanmar nach Thailand oder Malaysia geflohen sind.
2015 – Bei den Wahlen im November gewinnt die Nationale Liga für Demokratie unter der Führung von Aung San Suu Kyi klar. Ihre Partei hat keinen einzigen muslimischen Kandidaten aufgestellt. Anders als 2010 gibt es keine keinen Vertreter der Rohingyas im Parlament. Im Rakhine-Staat gewinnt die Arakan National Party, die die Interessen des buddhistischen Bevölkerungsanteils vertritt, die meisten Sitze.
Erneute Eskalation im Rakhine-Staat
2016 – Aung San Suu Kyi setzt im September eine Gutachterkommission unter Vorsitz von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan ein. Sie soll Vorschläge machen, wie die Lage im Rakhine-Staat verbessert werden kann. Im Oktober attackiert die Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) eine Reihe von Grenzposten. Dabei werden nach offiziellen Angaben neun Sicherheitskräfte getötet. Das Militär reagiert mit großangelegten Operationen. 87.000 Rohingya fliehen nach Bangladesch.
2017 – Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung des Abschlussberichts der Kommission unter Vorsitz von Kofi Annan attackiert ARSA erneut 20 Außenposten der Polizei und eine Militärbasis. Die Streitkräfte reagieren erneut mit militärischen Operationen. Es erfolgt eine Massenflucht. Bis Oktober werden 600.000 Flüchtlinge in Bangladesch gezählt. UN-Mitarbeiter sprechen von ethnischen Säuberungen. Menschenrechtsorganisationen sammeln in den Flüchtlingslagern Berichte von Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen und anderen Gräueltaten. Aung San Suu Kyi krtisiert im September in einer Fernsehansprache generell jede Art von Menschenrechtsverletzungen. Es brauche aber mehr Zeit, um herauszufinden, was tatsächlich im Rakhine-Staat passiert sei. Ihre Haltung trägt ihr scharfe Kritik im Westen ein. Eine überwältigende Mehrheit im Land scheint ihre Position und auch das Handeln des Militärs zu unterstützen. Im November unterzeichnen Bangladesch und Myanmar einen allgemeinen Vertrag zur Repatriierung der Flüchtlinge nach dem Vorbild des letzten Abkommens von 1993.
2018 – Human Rights Watch veröffentlicht Satellitenaufnahmen, die die Zerstörung von 55 verlassenen, früher überwiegend von Rohingya bewohnten Dörfern belegen. Die myanmarische Regierung weist alle Vorwürfe eines brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte zurück. Anfang April erklärt Aung Tun Thet, Chefkoordinator der Regierung für die Umsiedlung der Rohingya, dass sein Land bereit sei, die Flüchtlinge aufzunehmen. Seit Februar sind zwei Ankunftszentren in unmittelbarer Grenznähe entstanden.
Im Mai 2018 veröffentlicht AI einen Bericht, nach dem ARSA im August 2017 für für die Ermordung von etwa 100 Zivilisten verantwortlich sein soll.
Die Chronologie wurde zuletzt im August 2018 aktualisiert.