Chávez vor Wiederwahl
3. Dezember 2006Kaum ein Tag, am dem Hugo Chávez in diesem Wahlkampf nicht etwas eingeweiht hat. Schulen, Arztpraxen, Brücken, Straßen und Nahverkehrszüge. Die Revolution schreitet voran, lautet die Botschaft. Und stets wurde eine perfekt durchinszenierte Ein-Mann-Show geboten. Hugo Chávez hat Talent als Moderator. Seine Auftritte können mehrere Stunden dauern. Gerne wettert Chávez dann gegen seinen Lieblingsfeind George W. Bush, zitiert Gedichte, erzählt Anekdoten oder er singt. Das nicht besonders gut, aber seinen Anhänger gefällt es trotzdem.
Chávez verdankt seine Popularität zum großen Teil seinem Talent, Massen für sich zu begeistern. Diese Fähigkeit sei bei seinem ersten Wahlsieg 1998 entscheidend gewesen, sagt sein Biograph Alberto Barrera. 1998 habe das ganze Land einen Wechsel gewollt. " Und Chavez spricht ja auch Dinge aus, die wahr sind. Er hat eine enorme Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, zu spüren, was der andere hören will. So schafft er es, dass selbst Gegner sagen. Irgendwie hat der Recht. Chávez ist eine Emotion", sagt Barrera.
Rot, die Farbe der Revolution
Auf den Wahlevents sah man stets rot. Wie Uniformen tragen die Chavez-Anhänger rote T-Shirts und Mützen. Rot, das ist die Farbe der Revolution. Doralia Ordaz ist aus dem Armenviertel El Valle zur Einweihung eines Nahverkehrszuges gekommen. "Wir werden alle wieder für ihn stimmen. Chávez ist der einzige Präsident, der sich um die Armen kümmert, der uns nicht ausgrenzt. Er nutzt den Ölreichtum, um dem Volk Gesundheit und Bildung zu geben", schwärmt sie.
Vor drei Jahren, nach zwei Generalstreiks und einem gescheiterten Putschversuch, startete Chavez seine so genannten Missionen, Sozialprogramme, die direkt aus den Erdölgeldern finanziert werden. "Es geht darum, allen Bürger Lebensmittel, Sicherheit, Bildung und Gesundheit zukommen zu lassen. Ihnen all das zu geben, was man ihnen 40 Jahre zuvor nicht gegeben hat", sagt Oramaika Espinoza vom Außenministerium.
Ärzte für Öl
Eines der Vorzeigeprojekte ist die Mission "Barrio Adentro". Sie soll vor allem die medizinische Versorgung der verarmten Bevölkerung sicherstellen. Die Mission beruht auf einem Tauschhandel zwischen Kuba und Venezuela: Kuba hat bisher rund 18.000 Ärzte nach Venezuela geschickt. Dafür liefert Venezuela 100.000 Barrel Öl täglich nach Kuba. "Das Neue an diesem Programm ist, dass es vorher in den Armenvierteln keine medizinische Versorgung gab. Die Bevölkerung musste in die Krankenhäuser kommen, die sind jedoch sehr teuer. Viele konnten das nicht bezahlen", sagt Espinoza. Vor vier Jahren seien die ersten 50 kubanischen Ärzte gekommen. "Das war ein voller Erfolg", so die Mitarbeiterin des Außenministeriums.
Fragwürdiger Erfolg der Missionen
Die Missionen umfassen nicht nur die kostenlose medizinische Versorgung. Auch der Zugang zu Bildung soll für die Armen nichts kosten. Laut Chávez-Regierung ist Venezuela inzwischen analphabetenfrei. Als erfolgreichste Mission gelten die so genannten Mercal-Geschäfte. Spezielle Supermärkte in denen man Grundnahrungsmittel bis zu 40 Prozent billiger einkaufen kann. Friedrich Welsch, Professor an der Simón-Bolívar-Universität in Caracas, ist einer der wenigen ausgewogenen Beobachter im Land. Er sieht die Missionen skeptisch. "Die Gesundheitspolitik und Bildungspolitik ist ineffizient und ineffektiv. Die Wirksamkeit ist fragwürdig und die Kosteneffizienz ebenfalls", sein Urteil. "Das sind großzügige Geschenke, die nur vergeben werden, wenn man dafür mit Loyalität bezahlt", sagt der Experte.
Der Führerkult um Chávez ist nicht jedermanns Sache. Und auch die angeblichen großen Fortschritte spürt nicht jeder. Zwar sank die Armut nach offiziellen Zahlen der Regierung seit 1999 von 50 auf 39 Prozent. Venezuela gehört aber nach wie vor zu den korruptesten Ländern der Welt, die Kriminalität ist außer Kontrolle. Caracas gilt als eine der gefährlichsten Städte Lateinamerikas. Das kratzt an der Popularität von Chávez. Davon hat die Opposition profitiert.
Farbloser Rivale holt auf
Venezuela-Experte Welsch rechnet zwar nicht damit, dass die Opposition erfolgreich sein wird. Allerdings ist Kandidat Manuel Rosales, Gouverneur des Bundesstaates Zulia, dichter an Chávez dran als erwartet. Dabei war er eigentlich ein Verlegenheitskandidat. "Rosales ist der Kandidat, weil es eben keinen anderen gibt", sagt Welsch. Dieses Handicap habe Rosales aber im Wahlkampf ablegen können.
Rosales hat den Slogan ausgegeben. "Trau Dich!" Viele Venezolaner haben Angst, Repressalien zu erleiden, sollten sie gegen Chávez stimmen. Welsch fürchtet, dass Chavez nach den Wahlen Venezuela in eine Art Volksdemokratie nach Vorbild des Ostblocks umbauen könnte. Entscheidend für den Ausgang der Wahlen wird das Lager der Unentschlossenen ein. Das macht zwischen 20 und 30 Prozent aus. Diese Wähler zählen sich weder zu dem einen oder anderen Lager. Es ist zu befürchten, dass viele davon gar nicht wählen werden.