Wie wird Entwicklungspolitik nachhaltig?
20. Mai 2013Deutsche Welle: Helen Clark - brauchen wir eine neue Definition von Entwicklung?
Helen Clark: Wir brauchen ein neues Denkmuster, ein Paradigmenwechsel hin zur nachhaltigen Entwicklung. Das heißt auch, dass die Menschen, die sich mit Entwicklung beschäftigen und die, die sich mit Umwelt beschäftigen, miteinander reden müssen. Wenn Entwicklung unsere Ökosysteme zerstört, verlieren wir auch unser Potential für menschliche Entwicklung. Wenn wir also über nachhaltige Entwicklung reden, dann müssen wir überlegen, wie wir das Leben der Menschen qualitativ und quantitativ verbessern können, indem wir gleichzeitig die Ökosysteme schützen. Also brauchen wir neue Denkmuster, um diese beiden Aspekte unter einem Hut zu bringen.
Die meisten Menschen denken beim Begriff Nachhaltigkeit vor allen an ökologisch verträglichere Lebensweisen als heute. Wie ist Ihre Definition von nachhaltiger Entwicklung?
Es gibt drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung: die ökonomische, die soziale und die ökologische. Statt diese drei Säulen als gegenseitige Widersprüche zu sehen, sollten wir überlegen, wie wir alle Ziele gleichzeitig erreichen können. Ein Beispiel, das ich nennen möchte, ist das globale Energiesystem. Wenn wir das Energiesystem transformieren, wäre es für die Umwelt besser. Es könnte grüne Jobs schaffen, die gleichzeitig den Lebensstandard vieler Menschen und die Versorgung der Gesellschaft sichern könnten. In unserer Arbeit in der Entwicklungswelt versuchen wir sehr intensiv, diesen dreifachen Positiveffekt zu propagieren.
Werden auch die Industrieländer eine neue Definition für die eigene Entwicklung finden müssen?
Heute sind wir Erdbewohner wie Passagiere auf einem Zug, der außer Kontrolle geraten ist. Wir leben, als ob wir drei oder vier Planeten hätten, die wir ausbeuten könnten. Doch wir haben keine drei oder vier Planeten, sondern nur einen – noch dazu mit einer wachsenden Bevölkerung und schrumpfenden Ressourcen. So ja, wir müssen uns ändern – das war die große Botschaft der UN-Konferenz Rio +20. Und eine ganz besondere Verantwortung für die notwendige Transformation liegt bei den Industrieländern, etwa meinem eigenen Land, Neuseeland, oder auch bei Deutschland. Die Treibhausgasbelastung in der Atmosphäre geht vor allem auf unsere Kappe. Darum müssen wir unsere Emissionen drosseln. Doch auch die Schwellen- und Entwicklungsländer müssen nachhaltiger werden. Die großen aufstrebenden Länder wie China, Indien oder Brasilien können ihre Entwicklung aus eigener Kraft schaffen. Doch wir in der UN- oder auch in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit müssen uns vor allem auf die armen Länder fokussieren. Wir müssen unsere Ressourcen dort einsetzen, wo sie in diesen Ländern zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können.
Im neuen Bericht des Worldwatch Institute "Ist eine nachhaltige Entwicklung noch möglich?" ist von Schwachhaltigkeit statt Nachhaltigkeit die Rede – in dem Sinn, dass viel geredet doch wenig bis nichts getan wird. Wird tatsächlich nur geredet – oder wird bereits gehandelt?
Rio +20 hat ein sehr großes Abschlussdokument hervorgebracht, wo alles Richtige gesagt wurde. Doch die internationale Staatengemeinschaft war bisher nicht sehr erfolgreich, wenn es um konkrete Lösungen geht. Wir sehen das in den langwierigen Klimaverhandlungen, wo es noch keinen Durchbruch gibt. Dabei wissen wir, dass wir den Durchbruch bis 2015 schaffen müssen. Der Klimawandel steht ja stellvertretend auch für die schwindende Artenvielfalt, für die Umweltbelastung der Ozeane, für die schlechter werdenden Böden, die schlechter werdende Wasserqualität, die schrumpfenden Waldflächen. Wenn wir das Klimaproblem angehen, können wir tatsächlich sehr viele dieser ökologischen Probleme mildern.
Wo sehen Sie die Rolle der UNDP, wenn es um die globale, nachhaltige Entwicklung geht?
Nachhaltige Entwicklung ist keine Frage nur des Geldes. Es reicht nicht zu sagen, ich gebe Geld, damit Kinder zur Schule gehen können oder damit Frauen in Krankenhäusern entbinden können. Viele Faktoren können daran schuld sein, dass Kinder nicht zur Schule oder Frauen keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Eine hohe Müttersterblichkeit kann auch daran liegen, dass viele Mütter sehr jung sind.
Das haben wir neulich in Ghana gesehen. Das Land erklärte die hohe Müttersterblichkeitsrate zur nationalen Notlagesituation. Die meisten Mütter, die im Kindbett starben, waren 12-15 Jahre alte Mädchen. Sie waren einfach zu jung, um Kinder zu bekommen. Sie hätten stattdessen eine Kindheit und Jugend haben sollen, zudem auch Möglichkeit, selber Entscheidungen über ihr Leben zu treffen.
Das Beispiel zeigt auch, wie komplex Entwicklung ist. Wir beim UNDP glauben an eine Entwicklung, die auf die Rechte der Menschen baut. Wir glauben an gerechte Millenniumsentwicklungsziele, an die MDGs. Wir sind nicht nur an Zahlen und Statistiken interessiert, sondern wir wollen wissen, ob der Fortschritt auch jedem zu Gute kommt und jeden erreicht.
Helen Clark leitet seit 2009 als erste Frau überhaupt das UN-Entwicklungsprogramm UNDP (United Nations Development Programme). Sie bekleidet damit das dritt-höchste Amt der Vereinten Nationen. Die Politikerin war von 1999 bis 2008 Premierministerin Neuseelands.
Das Gespräch führte Helle Jeppesen