Video-Streaming als Klima-Killer
11. Juli 2019Dutzende E-Mails pro Tag, mal eben ein Anruf über WhatsApp, Fotos in der Cloud speichern, kurz mal ein Video auf YouTube schauen - all das ist fast weltweit digitaler Alltag. Für jeden einzelnen ist es "nur ein Foto", sind es "nur ein paar Minuten Video" aber in der Summe verursacht unser Internetverhalten enorme Klimaeffekte.
Denn jede Rechnertätigkeit verlangt Strom. Und bei der Stromerzeugung, die überwiegend noch auf fossile Brennstoffe zurückgreift, wird CO2 erzeugt.
Die Nutzung digitaler Technologien hat sogar die Luftfahrtindustrie in Sachen CO2-Ausstoß überholt. Während der Anteil des Flugverkehrs an den globalen CO2-Emissionen Schätzungen zufolge bei rund 2,5 Prozent liegt (Tendenz steigend), gehen mittlerweile fast vier Prozent aller CO2-Emissionen auf das Konto des weltweiten Datentransfers und seiner Infrastruktur, wie der französische Think-Tank "The Shift Project" in seiner jüngsten Studie darlegt. Die Non-Profit-Organisation forscht über Wege hin zu einer Wirtschaft, die mit erneuerbarer Energie funktioniert.
Digitaler Alltag mit enormem Energiebedarf
In der von ihr errechneten Summe sind sowohl die Energiekosten für die IT-Infrastruktur als auch für die eigentliche Datennutzung enthalten - und letztere verschlingt mehr Strom, als die Herstellung aller Geräte und Technik zusammen.
Laut einer Hochrechnung des IT-Riesen Cisco werden im Jahr 2022 schon 60 Prozent der Weltbevölkerung das Internet nutzen. Und der weltweite Datentransfer wächst: um mehr als 25 Prozent pro Jahr, prognostiziert Cisco. Daher müsse man sich dringend Gedanken über die Zukunft der Internetnutzung machen, meint Maxime Efoui-Hess von "The Shift Project". Der Energie- und Umwelt-Ingenieur hat die neuste Studie von "The Shift Project" maßgeblich verfasst. Sein Fazit: Wir müssen dringend wieder mehr "digitale Bescheidenheit" walten lassen.
"Wir haben nur begrenzte Energie-Ressourcen. Selbst wenn wir jetzt auf erneuerbare Energien umstellen, können wir nicht davon ausgehen, dass die sich in den kommenden zehn Jahren überall durchgesetzt haben", gibt der Studienautor zu bedenken. Das Internet funktioniere ja durch weltweite Vernetzung. Für einen "rein grünen" Datentransfer müsste jeder Staat dieser Erde nur noch erneuerbare Energien einsetzen. Das sei aber nicht absehbar. "Deswegen darf der weltweite Datentransfer nicht so rasant weiterwachsen wie bisher", so Efoui-Hess.
300 Millionen Tonnen CO2 durch Online-Videos
Den größten Anteil an diesen Daten machen mittlerweile Videos aus: 80 Prozent aller Daten sausen als Bewegtbild durchs Netz. Bei fast 60 Prozent des weltweiten Datentransfers handelt es sich um Online-Videos. Dazu zählen solche Videos, die auf einem Server gespeichert sind, ohne vorherigen Download auf separaten Endgeräten angesehen und von Plattformen bereitgestellt werden, die per Internet erreichbar sind.
Das Problem: Bewegtbilder benötigen riesige Datenmengen. Der durchschnittliche CO2-Verbrauch durch solche Online-Videos liegt bei mehr als 300 Millionen Tonnen pro Jahr (Messzeitraum 2018). So viel etwa emittiert ganz Spanien in einem Jahr. Je höher die Auflösung, desto mehr Daten sind nötig. Zehn Stunden HD-Film erfordern laut "The Shift Project" mehr Bits und Bytes als alle Artikel der Internet-Enzyklopädie Wikipedia (englisch) zusammen.
Das Problem ist unser Gehirn
Die Art, wie wir Videos und Filme konsumieren, hat sich grundlegend geändert. Übermittelten Filme früher eine Geschichte mit bewegten Bildern und Musik, werden Videos im Internet vor allem dazu genutzt, die Aufmerksamkeit von Usern einzufangen und sie möglichst lange auf der jeweiligen Seite zu halten. "Das funktioniert prächtig, denn unser Gehirn ist auf bewegte Bilder gepolt. Wir schauen sofort hin, wenn sich etwas bewegt. Deswegen wird im Netz immer mehr mit bewegten Bildern verknüpft: Musik, Information, Werbung," so Efoui-Hess.
Mittlerweile nutzten Plattformen wie YouTube, Facebook, Netflix und Co diese Vorliebe immer raffinierter, berichtet Efoui-Hess. "Etwa mit der Autoplay-Funktion, die Videos loslaufen lässt, ohne dass man sie manuell starten muss. Oder mit Untertiteln. Durch sie werden Informationen noch leichter konsumierbar und der User schaut den Film in den allermeisten Fällen bis zum Ende."
"Die letzte Meile ist entscheidend"
Lässt sich der Video-Hunger stromsparender stillen? Oder muss man auf die Lieblingsserie im Netz ganz verzichten? Besser sei es auf jeden Fall, eine Sendung über das analoge Fernsehen anzusehen, statt im Livestream oder in der Mediathek, sagt Efoui-Hess. Zwar verbrauche auch die Analogausstrahlung Strom, doch hier würden die Daten nur national übertragen, statt, wie oft bei Internet-Videos der Fall, durch die halbe Welt.
Wie sehr der Transportweg für den Stromverbrauch ins Gewicht fällt, bestätigt auch Lutz Stobbe. Er forscht am Fraunhofer-Institut für Mikroelektronik und Zuverlässigkeit in Berlin an der Umweltwirkung von Informations- und Telekommunikationstechnik. Gerade die sogenannte letzte Meile sei entscheidend, also die Frage, über welche Technik die Daten zum User kommen.
Am allermeisten Strom werde bei einer Mobilfunkübertragung verbraucht. Freiraumdämpfung, Gebäude, Vegetation und Witterung schwächten die elektromagnetischen Wellen und führten zu Verlusten. Deshalb sei eine hohe Sendeleistung nötig. Aber auch bei den alten Kupferkabeln müsse man das Signal verstärken, insbesondere über lange Distanzen. "Die Leistungsverstärker haben einen geringen elektrischen Wirkungsgrad. Dadurch geht etwa die Hälfte der zur Datenübertragung eingesetzten Energie als Wärme verloren. Die eindeutig effizienteste Übertragungstechnik stellen Glasfaserkabel dar, die die Signale per Licht weiterleiten."
5G statt Glasfaser
Deutschland etwa surft aber hauptsächlich noch mit Kupferkabeln durchs Internet. Nur etwas mehr als zwei Prozent aller Breitbandanschlüsse bestehen aus Glasfaser (Stand 2017). Massiv ausgebaut wird dagegen der Mobilfunk.
Immerhin: Laut Stobbe wird derzeit am sogenannten Edge-Computing gearbeitet, also daran, die angeforderten Daten näher am Endkunden abzulegen, etwa in Rechenzentren in den großen Städten, anstatt sie weit durch die Gegend zu schicken.
Die Technik ist ausgereizt
Auf neue Geräte und Techniken zu hoffen, die stromsparender und damit klimaschonender operieren könnten, bringe dagegen nichts. Die Energieeffizienz technischer Geräte habe sich in den vergangenen zehn Jahren nicht wesentlich verändert, sagt Stobbe. Auch deswegen sollte man seine alten Geräte möglichst lange nutzen.
Was bliebe, seien aber kleine Stellschrauben, an denen jeder einzelne drehen könne. "Wir nennen das digitale Hygiene. Muss man wirklich 25 Bilder vom selben Motiv in die Cloud hochladen? Jedes gespeicherte Foto, jedes gespeicherte Video wird dort aus Sicherheitsgründen immer wieder mal neu abgelegt, und das verbraucht jedes Mal Energie. Wenn man Sachen dagegen auch mal löscht, spart man Energie."
Lesen Sie mehr: Tipps zum digitalen Stromsparen (Quelle: Umweltbundesamt)
"Der digitale CO2-Ausstoß muss auf die Agenda"
Auch Maxime Efoui-Hess kennt solche Stellschrauben: "Eine geringere Video-Auflösung spart immer Daten und damit Strom. Ein Smartphone etwa kann eine HD-Auflösung gar nicht darstellen." Außerdem gelte: je größer der Bildschirm, etwa bei einem Smart-TV im Wohnzimmer, desto höher der Stromverbrauch. Fazit: HD-Filme auf dem Smartphone über das mobile Netz zu schauen, ist am stromintensivsten und damit am klimaschädlichsten.
Um ein Bewusstsein für die Klimawirkung des digitalen Alltags zu schaffen, hat "The Shift Project" einen CO2-Rechner für den Browser entwickelt. Sie misst den CO2-Ausstoß, der durch die eigene Internetaktivität entsteht. Dennoch sieht die Organisation nicht allein den User in der Pflicht. Die Frage nach einem klimaschonenderen Internet, und damit vor allem nach dem künftigen Umgang mit Bewegtbild im Netz, sei von so großer Relevanz, dass sie hoch auf die politische Agenda gehoben werden müsse, so die Schlussfolgerung iher Studie. Doch bisher hätten weder Regierungen noch internationale Institutionen das Thema als Problem erkannt, geschweige denn aufgegriffen.