"Die dritte Impfung hat Israel gerettet"
11. November 2021Geduldig warten Impfwillige vor einem Pop-Up Impfzentrum im Gebäude der Gemeindeverwaltung in West-Jerusalem. "Ich bin hier, um meine dritte Impfung zu bekommen. Es ist wirklich wichtig, damit sich Israel weiter öffnen kann", sagt Leah Powell, eine Gast-Studentin aus den USA. "Es gibt zwar noch immer eine Maskenpflicht an einigen Orten, aber es fühlt sich an, als ob das richtige Leben zurückkehrt."
Noch vor wenigen Wochen sah die Situation weniger optimistisch aus. Im Sommer begann sich die Delta-Variante rapide auszubreiten. Im September wurden landesweit zeitweise mehr als 10.000 Neuinfektionen pro Tag registriert. Auch die Zahl der schwer an COVID-19 erkrankten Personen stieg stark an. Während zu Beginn zweifach geimpfte ältere Menschen schwer krank wurden, so waren es später vor allem ungeimpfte, jüngere Patienten, die auf den Intensivstationen lagen.
Zweimal impfen reicht nicht
"Die wichtigste Waffe, die wir in Israel und andernorts haben, ist der Impfstoff", sagt Salman Zarka, Leiter der nationalen Coronavirus Task Force, der in Israel auch gerne als 'COVID-Zar' bezeichnet wird. "Mit dem Beginn der Delta-Welle war uns klar, dass zwei Impfstoff-Dosen keinen ausreichenden Schutz mehr bieten würden. Wir mussten eine schnelle Entscheidung treffen."
Denn wissenschaftliche Studien zeigten: Die Immunität durch den BioNTech/Pfizer-Impfstoff lässt nach sechs Monaten nach. Damit waren vor allem ältere Menschen erneut einem Risiko ausgesetzt. Diese waren zum Großteil bereits im Dezember 2020 geimpft worden.
Mit ausreichend Impfstoff, einer gezielten Kampagne - gemeinsam mit den lokalen Krankenkassen und der Einführung des sogenannten "grünen Passes", der Geimpften mehr Freiheiten einräumt - konnte Israel schnelle Impferfolge erzielen.
Im Frühjahr - als andere europäische Länder gerade ihre Impfkampagnen ausweiteten - waren die Infektionsraten so weit gesunken, dass Israel viele Beschränkungen aufheben konnte - wie zum Beispiel die Maskenpflicht in Innenräumen. Der Alltag schien zurückzukehren.
Doch ab Mitte Juni breitete sich die Delta-Variante aus. Und das trotz hoher Impfrate. Im August entschied die israelische Regierung, eine dritte Impfung mit dem BioNTech/Pfizer Impfstoff einzuführen. Jede Person über zwölf Jahren kann sich eine sogenannte Booster-Impfung geben lassen - und viele haben dieses Angebot auch schon genutzt.
"Wir müssen mit COVID leben"
"Keine Frage, die dritte Impfung, der Booster, hat Israel gerettet," sagt Gabriel Barbash, Professor für Epidemiologie am Weizmann Institut für Wissenschaft. Er ist einer der gefragtesten Gesundheitsexperten des Landes. "Ich denke, das Leben wird wieder normaler, aber es wird eine andere, neue Normalität. Wir werden nicht mehr ohne Masken auskommen. Sie werden vor allem in geschlossenen Räumen notwendig sein." Booster seien zwar ein "mächtiges Mittel" zum Schutz der Menschen, aber Barbash warnt: "Auch dieser Schutz wird nachlassen, und wir müssen darauf vorbereitet sein und vorsichtig bleiben."
Die Strategie der israelischen Regierung, "mit COVID-19 zu leben", ist nicht unumstritten, aber momentan scheint der Plan aufzugehen. Schulen konnten geöffnet bleiben und auch die Wirtschaft erholt sich wieder. Die absolute Zahl der täglichen Neuinfektionen ist momentan auf unter 500 gefallen, die Zahl der Schwerkranken deutlich gesunken. Etwas über vier Millionen von insgesamt rund neun Millionen Einwohnern Israels haben sich bereits zum dritten Mal impfen lassen. Nach Schätzungen des israelischen Gesundheitsministeriums sind noch rund 700.000 Israelis ohne eine Impfung.
Gemeinsam mit den Auffrischungsimpfungen hatte die Regierung die Maskenpflicht für Innenräume wieder eingeführt und die Bestimmungen für den Erhalt des grünen Passes verschärft. Er wird seit Oktober nur noch an diejenigen ausgegeben, die eine dritte Impfung erhalten haben. Für alle anderen wurde der Pass storniert. Wer keinen Pass mehr hat, kann sich mit Schnelltests oder PCR Tests einen kurzzeitig geltenden Nachweis ausstellen lassen.
Vorteile für Menschen mit grünem Pass
Mit energischen Schritten und einem sympathischem Lächeln grüßt Ofer Levi die Badegäste im Gordon-Freibad am Strand von Tel Aviv. Die Temperaturen sind mild an diesem Herbsttag, und durch das Meerwasser-Freibad mit seinen 50 Meter-Bahnen ziehen wie jeden Tag viele Schwimmerinnen und Schwimmer: "Wir haben hier eine Art sichere Zone geschaffen", sagt Levi.
Um hier Sport treiben zu können, müssen Mitglieder den grünen Pass vorweisen, der mit der Ausweisnummer und einem QR-Code versehen ist. "Wenn jemand ins Fitnessstudio oder ins Freibad gehen will, dann checken wir den grünen Pass. Jeder hat das ja jetzt auf dem Handy. Manchmal ist das vielleicht etwas umständlich, aber die Leute haben Verständnis und machen mit", sagt Levi.
"In der Pandemie haben wir monatelang zuhause gesessen, und wir wollen nicht, das so etwas wieder sein muss. Was immer nötig ist, das machen wir", sagt Ofer Levi.
Bei mildem Herbstwetter dürfen Restaurants Gäste ohne Nachweise an Tischen draußen bedienen, wo ohnehin weniger Beschränkungen gelten. Doch nicht jeder hält sich an die Regeln. So wird die Maskenpflicht nicht immer ernst genommen und verbale Streitigkeiten in Aufzügen oder Bussen sind keine Seltenheit, wenn Menschen ihren Mund-Nasenschutz am Kinn oder gar nicht tragen.
Neue Herausforderungen
Israel befindet sich nun inmitten einer eher emotionalen Debatte über die Impfung von Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren. Am Mittwoch entschied sich eine Expertenrunde für eine Impfkampagne für Kinder. Israelische Medien berichten, dass die speziellen Impfstoffe in den nächsten Tagen eintreffen sollen. Israelische Medien spekulieren bereits, wie viele Eltern dem Aufruf tatsächlich folgen werden.
Auch die Öffnung des Flughafens für ausländische Reisende bereitet einigen Gesundheitsexperten Sorge: Seit dem 1. November dürfen geimpfte ausländische Besucher wieder einreisen. Der Flughafen Ben Gurion - Israels wichtigster Hub zum Rest der Welt - war seit März 2020 bis auf wenige Ausnahmen für Ausländer geschlossen. "Wir können noch nicht das Ende der Pandemie feiern", sagt 'COVID-Zar' Salman Zarka. "Unsere größte Sorge ist, dass es eine fünfte Welle gibt und eine neue Virusvariante ihren Weg nach Israel findet."
Labor für die Welt
"In Israel sind wir aufgrund unseres Impftempos zu einer Art Labor für die ganze Welt geworden. Wir erfahren hier vieles viel früher als andere Regionen wie die USA oder Europa", sagt Wissenschaftler Gabriel Barbash. Derzeit laufen Studien in Echtzeit, um zu verstehen, wie lange die dritte Impfung Schutz bieten wird. Das könnte auch anderen, wohlhabenden Ländern mit Zugang zu genügend Impfstoffen helfen, um sich in den nächsten Monat durch die Pandemie zu navigieren.
Auch in den benachbarten israelisch-besetzten palästinensischen Gebieten nimmt die Impfrate langsam, aber stetig zu. Zu Beginn von Israels Impfkampagne standen die Palästinenser zunächst ohne Impfstoffe da. Seit einigen Monaten nun gibt es sechs verschiedene Vakzine, die von der palästinensischen Autonomiebehörde zur Verfügung gestellt werden, einige davon durch das COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation WHO. Bislang haben laut WHO etwa 52 Prozent der Palästinenser über 16 Jahren im Westjordanland und dem Gazastreifen mindestens eine Impfung erhalten. Die dritte Impfung wird momentan nur bestimmten Risikogruppen angeboten.