Corona-Schutz für Rohingya erfolgreich
19. Juni 2020Mohammad Alam lebt mit seiner achtköpfigen Familie im Camp 24 des Flüchtlingslagers Teknaf, nicht weit entfernt von der Stadt Cox's Bazar an der Grenze zwischen Bangladesch und Myanmar. Seit Ausbruch des Coronavirus versuche die Familie, so viel wie möglich zu Hause zu bleiben, wie Alam im Gespräch mit der DW sagt. "Wir versuchen auch, Abstand zu halten. Aber unser Camp ist überfüllt. Es ist sehr schwierig, Abstand zu halten, wenn man nach draußen geht."
Etwa 800.000 Flüchtlinge teilen das Schicksal von Alams Familie in den beiden Flüchtlingslagern Teknaf und Kutupalong, die in Bangladesch 2017 nach der Flucht Hunderttausender Rohingya aus Myanmar errichtet wurden. Schon vor Ausbruch des Coronavirus war die Lage in den Camps angespannt, was etwa die Qualität des Trinkwassers, Anzahl sanitärer Einrichtungen und Einhaltung von Hygienestandards betrifft. Laut Felix Heiduk und Antje Missbach von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sind die Bedingungen nach dem Auftreten der Pandemie in den Lagern sogar schwieriger geworden. Unter anderem deshalb, weil die Regierung von Bangladesch die Zahl der Helfer, die in die Lager dürfen, im April massiv eingeschränkt hat – um einer Ausbreitung des Virus vorzubeugen. Die Folge seien laut Hilfeorganisationen Engpässe bei der Versorgung der Flüchtlinge mit Dingen wie Trinkwasser und Nahrungsmitteln.
Lager haben weniger Fälle als Umland
Trotz diesen und anderen Schwierigkeiten etwa beim Einhalten der Abstandsregeln ist bisher die Katastrophe ausgeblieben. Stand Mittwoch gab es in den Flüchtlingslagern insgesamt 38 bestätigte Fälle, 405 Personen sind getestet worden. Von den 38 Personen sind zwei gestorben und drei genesen. Außerhalb der Lager, in der Region Cox's Bazar, liegen die Zahlen deutlich höher. Ebenfalls am Mittwoch waren mehr als 1600 Infektionen bestätigt. Die Regierung in Dhaka klassifiziert die Stadt als "rote Zone", ein Hochrisikogebiet.
Ram Das, der Vizedirektor der internationalen Hilfsorganisation Care in Bangladesch, betonte in einem Pressebriefing, an dem auch die Deutsche Welle teilgenommen hat, dass die Eindämmung des Virus unter den Flüchtlingen nur durch eine gemeinsame Anstrengungen der Regierung von Bangladesch, der WHO, des UN-Flüchtlingshilfswerks und von Hilfsorganisationen wie Care möglich geworden sei: "Die Situation im ganzen Land ist düster, aber der Ausbruch des Virus im Camp ist noch begrenzt, es gibt nur 38 Fälle. Das ist eine große Leistung."
Frühzeitig und umfassend reagiert
Als vor über einem Monat der erste Fall in Kutupalong bestätigt wurde, gab es bereits eine Isolierstation, Testkits und geschultes Personal. Seither sind weitere Isolationszentren für Erkrankte hinzugekommen. Die Hilfsorganisation Care allein hat vier Zentren mit jeweils 20 bis 25 Betten aufgebaut. Es wurden Handwaschstationen eingerichtet, um die Handhygiene zu verbessern und die Zahl von Menschenansammlungen zu reduzieren.
Am wichtigsten aber sei die umfangreiche Aufklärungskampagne gewesen, so Ram Das. Mehr als 300 Mitarbeiter sind fast täglich im Auftrag von Care unterwegs. Sie gehen von Familie zu Familie, um über Fragen aufzuklären wie: Was ist das Coronavirus? Was sind die Symptome? Wie kann man sich schützen?
Internetzugang eingeschränkt
Die Aufklärungskampagnen waren auch wichtig, um Falschinformationen und Gerüchten um das Coronavirus zu begegnen, wie Ram Das auf Nachfrage der DW bestätigte. Das Internet ist diesbezüglich ein zweischneidiges Schwert. Einerseits fördert es die Verbreitung von Gerüchten und Falschmeldungen; es ermöglicht auch Kriminellen und Extremisten in den Lagern ihre Machenschaften und Propaganda zu betreiben. Andererseits ist das Internet hilfreich bei der Aufklärungsarbeit und für die Kommunikation der NGOs und der medizinischen Helfer.
Die Regierung von Bangladesch ist der Meinung, dass die Gefahren überwiegen und blockiert seit vergangenem September den Internet-Zugang in den Lagern. Die Blockade sei allerdings nicht vollständig, wie Ram Das sagt. An verschiedenen Orten gebe es, wenn auch unzuverlässig, Zugang. Aus seiner Sicht wäre es besser, das Internet freizugeben. "Ein schneller und unkomplizierter Informationsfluss ist für die humanitäre Hilfe sehr wichtig."
Gerüchte schüren Ängste
Auch der 38-jährige Syed Alam aus Camp 20 wünscht sich einen besseren Zugang zum Internet. Er sucht mehr Informationen und sagt der Deutschen Welle: "Die Leute haben Angst, dass die Sicherheitskräfte Kranke aus dem Lager holen und in die Isolation bringen. Es gibt Gerüchte, dass Kranke nicht mehr ins Lager zurückkehren können und dass sie irgendwohin kommen, wo sie nicht hin wollen. Aus Angst vermeiden manche die Krankenstationen, auch wenn sie sich krank fühlen."
Auch die aktuelle SWP-Studie stellt fest, dass es in den Lagern viele Gerüchte wie oben beschrieben gibt. Diese hätten zu einem deutlichen Rückgang derjenigen geführt, die sich in den medizinischen Einrichtungen krank melden. "Bei den Einwohnern der Camps wächst die Angst, dass sich das Virus wie ein Lauffeuer verbreiten und zu einem weiteren 'Massaker' an den Rohingya führen kann." Deshalb bestehe die Gefahr, dass wieder vermehrt Rohingya über das Meer flüchten. Im Frühjahr 2015 hatten schon einmal etwa 30.000 Rohingya versucht, Myanmar und Bangladesch mit dem Boot zu verlassen. Hunderte kamen bei dem Versuch ums Leben.
Bisheriger Erfolg keineswegs gesichert
Dam Ras von Care bestätigt, dass viele Flüchtlinge sehr besorgt sind, aber es gebe bisher keine Anzeichen für eine Panik. Insgesamt dürfe der große Erfolg aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Risiko für einen großen Ausbruch nach wie vor sehr hoch ist. Alle Maßnahmen können die schwierigen Rahmenbedingungen nicht völlig abfedern. Die Monsunzeit steht bevor und bald muss wieder mit Zyklone gerechnet werden. Starkregen, Erdrutsche und Stürme stellen die Flüchtlinge und Helfer vor zusätzliche Herausforderungen. Insofern ist es wichtig, dass die internationalen Mittelgeber mehr tun. Von den 877 Millionen US-Dollar, die von der UN im "Joint Response Plan" im März 2020 zur Betreibung des Flüchtlingslagers in diesem Jahr angesetzt wurden, sind bis heute gerade einmal ein Fünftel eingegangen. Und damals waren die Kosten für den Schutz vor COVID-19 noch nicht eingerechnet.
Mitarbeit: Arafatul Islam