Venezuelas Flüchtlinge kehren um
8. April 2020Jede Nacht befürchten Tausende von venezolanischen Flüchtlingen in Kolumbien, aus ihren Unterkünften und Wohnungen vertrieben zu werden. Denn sie haben kein Geld mehr, um ihre Miete zu zahlen. Ihre Niedriglohnjobs sind verschwunden, zusammen mit dem informellen Wirtschaftssektor - ein Opfer der präventiven Isolation, die Präsident Ivan Duque vor zwei Wochen verordnet und bis zum 26. April verlängert hat.
Viele von ihnen, die schon auf der Straße leben, haben sich entschlossen, mehr als tausend Kilometer bis zur venezolanischen Grenze zu laufen, obwohl diese geschlossen ist. Die Corona-Krise zwingt sie nun auch in Kolumbien zu einem Leben in bitterer Armut - oder einem beschwerlichen Weg zurück ins krisengebeutelte Venezuela.
Schwanger auf dem Rückweg nach Venezuela
Die 17-jährige Yuri Mendoza hat ihre Entscheidung getroffen. Sie ist im fünften Monat schwanger und läuft seit zwei Wochen von Cali aus, der drittgrößten Stadt Kolumbiens, nach Venezuela. Sie hatte an Straßenkreuzungen Limonaden und Süßigkeiten verkauft, aber wegen der Ausgangssperre schickten Polizisten sie nach Hause.
"Venezuela ist meine Heimat, und wenn mir etwas passiert, dann wird es dort sein", sagt Yuri. Deshalb entschied sie sich, den langen Fußmarsch über die Berge anzutreten, wie schon ein Jahr zuvor, nur diesmal in umgekehrter Richtung.
Viele Flüchtlinge entscheiden sich für eine Rückkehr nach Venezuela, obgleich die Wirtschaft dort unter der schlimmsten Krise in der Geschichte des Kontinents leidet. Der Mangel wird sich mit dem Sturzflug des Ölpreises wahrscheinlich weiter verschärfen. Hinzu kommt der Zusammenbruch des Gesundheitssystems, das weit davon entfernt ist, die Corona-Krise bewältigen zu können.
Gefährlicher Grenzübergang
Genau aus diesen Gründen will der 32-jährige Juan Carlos Atacho unter keinen Umständen zurückkehren. Er lebt seit einem Jahr in einem Armenviertel von Bogotá. Eine Heimkehr nach Venezuela wäre für ihn nur die allerletzte Option, sagt er. Die Ausgangssperre werde ihn aber wohl keine Wahl lassen. Juan Carlos, der die Miete für seine Unterkunft in wenigen Tagen bezahlen muss, hat bisher als Assistent in einem Friseursalon gearbeitet. Dort verdiente er sieben US-Dollar am Tag. Seit der Ausgangssperre ist der Laden geschlossen. Damit haben er, seine Frau und seine drei Kinder im Alter von zwei, sieben und neun Jahren ihre einzige Einkommensquelle verloren.
Da die Grenzübergänge nach Venezuela geschlossen sind, befürchtet Juan Carlos, auf die illegalen Grenzpfade zurückgreifen zu müssen, die von Schmugglerbanden und Drogenhändlern kontrolliert werden. "Diesen gefährlichen Weg möchte ich mit meinen Kindern nicht erneut gehen", sagt er.
Verhandlungen über humanitären Korridor
Weil der illegale Grenzübertritt riskant ist und weil trotzdem immer mehr Venezolaner versuchen, in ihre Heimat zurückzukehren, verhandelt die kolumbianische Migrationsbehörde mit der venezolanischen Verwaltung über die Möglichkeit, einen humanitären Korridor zu öffnen.
"Das ist ein schwieriges Thema, denn wir wollen keine Venezolaner oder überhaupt jemanden, der auf den Straßen unterwegs ist, während das Land unter Quarantäne steht", betont Felipe Muñoz, Migrationsbeauftragter der kolumbianischen Regierung. "Venezuela hat in den vergangenen Tagen etwa 1000 Personen hereingelassen", sagt Muñoz und hofft, dass Venezuela weiterhin die eigenen Staatsbürger wieder einreisen lässt.
Die Situation der rund 1,5 Millionen venezolanischen Flüchtlinge in Kolumbien wird sich absehbar nicht verbessern. Derzeit melden kolumbianische Behörden 1579 mit dem COVID-19 infizierte Menschen und 46 Todesfälle. Die Pandemie greift auch in Kolumbien um sich und der Kollaps des informellen Wirtschaftssektors wird weitere Venezolaner zur Rückkehr zwingen.