Warum die WHO China lobt
17. April 2020US-Präsident Trumps Ankündigung, die Finanzbeiträge der USA an die WHO auszusetzen, haben international scharfe Kritik hervorgerufen. Ein solcher Schritt mitten in der weltweiten Corona-Krise sei unverantwortlich, so der Tenor der offiziellen Stellungnahmen aus China, Deutschland, Russland oder der EU.
Deutschlands Außenminister Heiko Maas forderte seinen amerikanischen Amtskollegen Mike Pompeo in einem Brief, aus dem die FAZ zitiert, auf "während der fortdauernden Krise keine Schritte zu operationalisieren, die die zuständigen Institutionen im System der Vereinten Nationen nachhaltig schwächen würden." Und weiter: "Wir müssen (die WHO) daher jetzt, bei allen Unvollkommenheiten, gemeinsam kraftvoll unterstützen." Der ehemalige britische Premierminister Gordon Brown sagte der DW mit Blick auf Trumps Entscheidung: "Das ist ein unlogischer Schritt des Präsidenten. Es ist ein Akt der Selbstgefährdung. Um uns selbst in Deutschland oder Amerika zu schützen, müssen wir global handeln."
China zu einflussreich in der WHO?
Trumps am vergangenen Dienstag verkündeter Schritt deutete sich bereits eine Woche zuvor an, als er die WHO scharf angriff und sagte, die Organisation habe in der Pandemie "völlig versagt" und sei "China-zentriert". Seine Kritik an der WHO verband er also indirekt mit einer Kritik an Chinas Rolle in der Pandemie. Bei seiner Ankündigung, die amerikanischen Überweisungen an die WHO zu stoppen, legte er nach: Die WHO habe Chinas "Falschinformationen" über den Ausbruch des Virus begünstigt und auch Chinas Erklärungen zu der Epidemie kritiklos übernommen. Bei einem anderen Auftreten gegenüber China hätte es weltweit viel weniger Tote gegeben, behauptete Trump.
Obwohl Politiker und Beobachter weltweit in Trumps doppelter Attacke gegen die WHO und China vor allem ein innenpolitisches Ablenkungsmanöver sehen, stellen sich manche dennoch die Frage: Ist was dran an seiner Kritik an einer allzu chinahörigen WHO? Und: Hat China einen zu großen Einfluss in der multinationalen Organisation?
Die entscheidenden ersten Wochen der Epidemie
Denn dass die Pekinger Führung in der Frühphase der Epidemie vertuscht hat und eben keine Transparenz walten ließ, behauptet inzwischen nicht nur Trump (im Januar und Februar lobte Trump Chinas Präsidenten Xi Jinping allerdings noch für "Transparenz" und "Professionalität").
Vor allem geht es darum, inwieweit sich die WHO zu diesem frühen Zeitpunkt zum Komplizen der chinesischen Parteiführung machte. Das wird unterschiedlich gesehen. Im Zentrum steht die Frage der Mensch-zu-Mensch-Übertragung des neuartigen Virus. Diese wurde von Peking noch am 14. Januar als wenig wahrscheinlich und in einem Tweet der WHO als "ohne klare Beweise" bezeichnet.
Die WHO verteidigt sich mit dem Hinweis, dass sie sofort nach dem Bekanntwerden der ersten Hinweise auf das Virus aus Wuhan, also am 1. Januar 2020, intern alle Mechanismen aktiviert und am 5. Januar alle Mitgliedsstaaten über den Ausbruch informiert habe. Auch habe sie auf die Möglichkeit der Mensch-zu-Mensch-Übertragung stets hingewiesen und auf die Notwendigkeit, diese zu erforschen. Bis zum 14. habe es aber eben keine klaren Beweise für ebendiese gegeben.
Dennoch sprechen Kritiker von "verlorenen frühen Wochen", in denen viele infizierte Bewohner aus Wuhan ausreisen und den Virus in China und indirekt weltweit verbreiten konnten.
"China nicht in die Defensive drängen”
Für Thomas des Garets Geddes, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner China-Think-Tank MERICS, ist es nachvollziehbar, dass die WHO davor zurückschreckte, Chinas Handhabung der Epidemie in irgendeiner Weise in Frage zu stellen. "Dies hätte Peking in die Defensive gedrängt und damit die Krise verschärfen können", sagt Geddes gegenüber der DW. "Es hätte dazu führen können, dass China der internationalen Gemeinschaft weniger Informationen zur Verfügung stellt oder WHO-Experten den Zugang nach China verwehrt."
Allerdings erkläre diese diplomatische Zurückhaltung nicht, warum der Generaldirektor der WHO Tedros Adhanom Peking mit Lob überschüttet hat: "Solch exzessives und teilweise irreführendes Lob war unnötig und falsch", stellt China-Experte Geddes fest. Nach seinem Besuch bei Xi Jinping Ende Januar wurde Tedros mit den Worten zitiert: "Geschwindigkeit, Umfang und Effizienz (der Maßnahmen) Chinas sind die Vorteile des chinesischen Systems."
Vom Wohlwollen der Mitglieder abhängig
Gian Luca Burci vom Global Health Centre des Genfer Instituts für Internationale Studien bestätigte gegenüber der NZZ: "[Die WHO war] auf die Kooperation Chinas angewiesen, um an wichtige Informationen wie die Genomsequenz des Virus zu gelangen." Andererseits habe die WHO Ende Januar den internationalen Gesundheitsnotstand gegen den Willen Pekings ausgerufen, schreibt die NZZ. Umso wichtiger sei es für die WHO gewesen, andere Schritte Chinas zu loben, um die Zusammenarbeit nicht zu gefährden.
Die zitierten Experten und andere erklären das Hinwegschauen der WHO über Unterdrückung von unliebsamen Informationen und Verfolgung von mutigen Ärzten durch die Kommunistische Partei Chinas also nicht mit einer "Dominanz der WHO durch China", wie Trump unterstellt. Vielmehr sei dieses Verhalten durch die schwache Stellung der WHO gegenüber den Mittelgebern und Mitgliedsländern zu erklären. "Im Gegensatz zu anderen UN-Organisationen hält sich die WHO generell mit Kritik an Mitgliedstaaten zurück", sagt Gian Luca Burci vom Genfer Institut für Internationale Studien in der NZZ.
Gemeinsame Interessenlage von WHO und China
Dennoch beklagen manche Regierungen gerade in Asien - insbesondere Japan, Indien, Australien - einen zu starken Einfluss Chinas in der WHO. Solche Sorgen bezeichnet China-Experte Geddes als legitim, denn Chinas Einfluss innerhalb der WHO habe in den vergangenen Jahren eindeutig zugenommen.
Dafür sieht Geddes drei Gründe: "Erstens steht China potentiell als künftiger großer Beitragszahler bereit, eine zweifellos verlockende Aussicht für die Organisation. Zweitens hat die Zusammenarbeit zwischen China und der WHO zugenommen, sowohl im Rahmen der von China propagierten 'Seidenstraße der Gesundheit' als auch in Form von Unterstützung für das von der WHO und ihrem Chef Tedros ausgerufene Ziel einer Art globaler Krankenversicherung. Und drittens hat sich China zu einem wirtschaftlichen und diplomatischen Schwergewicht entwickelt, das politische Entscheidungen beeinflussen und länderübergreifende Koalitionen schmieden kann. Dies trifft vor allem auf den 'globalen Süden' zu, wo die WHO besonders aktiv ist. Mit einem Wort: Die WHO braucht China an ihrer Seite."
WHO und die Taiwan-Frage
Dies erklärt auch die Behandlung oder besser gesagt Nicht-Behandlung Taiwans und dessen erfolgreichen Krisenmanagements durch die WHO, zu dessen Mitgliedern Taiwan wegen Pekings Alleinvertretungsanspruch nicht zählt. Taiwans zentrale Epidemie-Behörde (Central Epidemic Command Center, CECC) erklärte gegenüber der DW, dass bei der WHO die frühzeitigen Informationen aus Taiwan, nämlich schon am 31. Dezember 2019, über die wahrscheinliche Mensch-zu-Mensch-Übertragung des neuartigen Virus "auf taube Ohren" gestoßen seien. Die WHO wies das zurück. Man habe "mit taiwanischen Experten und Behörden […] zusammengearbeitet, um schnell und wirksam reagieren und den Informationsfluss aufrechterhalten zu können".
Das taiwanische Epidemie-Zentrum widerspricht: "Informationen von Taiwan sind nie in den täglichen Aktualisierungen der WHO aufgetaucht. Deshalb konnten andere Länder sich über die Lage und Maßnahmen auf Taiwan nicht informieren."
Wie schwer sich die WHO mit der Anerkennung der Leistungen Taiwans tut, wurde in einem vielfach geteilten Video deutlich: Eine Journalistin von Radio Television Hongkong fragt dort den WHO-Spitzenmanager Bruce Aylward, der zuvor die China-Mission geleitet hatte, nach dem positiven Beispiel Taiwans. Aylward von der WHO schützte zuerst vor, die Frage nicht verstanden zu haben und brach das Interview dann ab.
Für den China-Experten Geddes ist das Verhalten nicht überraschend: "Die WHO und ihr Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus sind sich vollständig darüber im Klaren, dass jegliche Provokation Pekings in der Taiwan-Frage das Ende ihrer Zusammenarbeit mit Peking bedeuten könnte. Diese Furcht ist wohl die Ursache dafür, dass sie Taiwan ignorieren und es so behandeln, als wäre es eine chinesische Provinz."
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels waren in der Infografik falsche Werte zu den Beiträgen Chinas angegeben. Die Grafik wurde am 17.5.2020 korrigiert. Die Redaktion bittet den Fehler zu entschuldigen.