Corona: Quasi-Lockdown für Ungeimpfte
2. Dezember 2021Dass etwas geschehen muss, und zwar schnell, war allen Beteiligten der Videokonferenz der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer an diesem Donnerstag klar. Die Corona-Infektions-Zahlen in Deutschland sind dramatisch hoch, wenn sie auch den dritten Tag in Folge leicht gesunken sind. Was, so Experten, eher auf die Überlastung der zuständigen Meldebehörden als auf einen tatsächlichen Rückgang zurückzuführen ist. In den Krankenhäusern wird die Lage immer prekärer. Längst werden Patienten aus überlasteten Regionen in andere Bundesländer ausgeflogen.
Merkel sichtlich abgekämpft
Sichtlich abgekämpft trat Merkel mit ihrem designierten Nachfolger Olaf Scholz von der SPD nach fast vierstündigen Verhandlungen in Berlin vor die Presse. Wohl zum letzten Mal nach unzähligen Treffen dieser Art mit den Länderchefs. Sie sprach von einem notwendigen "nationalen Akt der Solidarität". Patienten, Ärzte und Pfleger in den Kliniken müssten sofort entlastet werden: "Sie sehen an den Beschlüssen, dass wir verstanden haben, dass die Lage sehr ernst ist."
Merkel: "Die Welle zu brechen haben wir noch nicht geschafft."
Die vierte Welle der Pandemie müsse unbedingt gebrochen werden, so Merkel, das habe das Land bislang noch nicht geschafft: "Wir haben im Moment eine gewisse Beruhigung, aber auf einem viel zu hohen Niveau." Scholz ergänzte: "Es müssen sich diejenigen durchringen, sich impfen zu lassen, die das bisher noch nicht gemacht haben." Fast beschwörend fügte er hinzu: "Wir wissen jetzt endgültig, dass es eine Konsequenz hat, dass ein großer Teil der Bürgerinnen und Bürger sich bisher dazu nicht durchgerungen hat." Am Donnerstag lag die Quote der vollständig geimpften Menschen in Deutschland bei fast 69 Prozent.
Quasi-Lockdown für Nicht-Geimpfte
Konkret bedeuten die Beschlüsse der Runde vor allem drastische Einschränkungen für Menschen, die sich noch nicht gegen das Corona-Virus haben impfen lassen: In Geschäften des Einzelhandels, etwa in Warenhäusern oder Boutiquen, haben künftig nur noch Geimpfte und Genesene Zutritt. Ungeimpfte Bürger können dann nur noch in Geschäften des täglichen Bedarfs wie Supermärkten, Drogerien oder Apotheken einkaufen gehen. Auch der Besuch von Kultur- und Freizeiteinrichtungen ist dann nur noch für Genesene und Geimpfte möglich, auch der von Weihnachtsmärkten, wo sie noch stattfinden.
Hausärzteverband: "Hätte früher kommen müssen."
In Regionen mit besonders hohen Ansteckungszahlen können etwa Diskotheken und Clubs ganz geschlossen werden. Im Moment sind das vor allem Regionen in den östlichen Bundesländern und in Bayern. Private Zusammenkünfte, auch in der Öffentlichkeit, an denen Menschen ohne Impfung teilnehmen, werden auf Personen des eigenen Haushalts und höchsten zwei weitere Menschen beschränkt. Maßnahmen, die nach Ansicht von Wolfgang Kreischer, dem Vorsitzenden des Hausärzteverbandes Berlin und Brandenburg, allerdings mindestens zwei Monate zu spät kommen. Kreischer sagte der DW am Donnerstag: "Ende des Sommers haben alle gedacht, es ist vorbei. Alle sind wieder zu Veranstaltungen gegangen, und dass Fußballspiele mit 40.000 Zuschauern stattfanden, ist für mich unerklärlich. Das hat den Bürgerinnen und Bürgern ein Sicherheitsgefühl vermittelt, für das die Grundlage fehlte."
Halbleere Stadien, Masken in den Schulen
Genau für solche Sport- und andere Großveranstaltungen gelten nun auch neue Mindeststandards, damit auch für die Fußball-Bundesliga: In Innenräumen sind maximal 5000, im Freien höchstens 15.000 Zuschauer erlaubt. Von diesen Standards können die Länder aber abweichen. In Bayern etwa gilt als sicher, dass die Stadien künftig ganz leer bleiben. In den Schulen gilt im ganzen Land eine Maskenpflicht.
Einschränkungen auch für Geimpfte und Genesene
Auch für Genesene und Geimpfte gelten jetzt neue Bestimmungen, vor allem in Regionen mit einer Ansteckungsrate von über 350 Menschen innerhalb einer Woche unter 100.000 Menschen, und das sind viele Regionen. Bei privaten Feiern sind dann in geschlossenen Räumen 50 und im Freien höchstens 200 Teilnehmer erlaubt.
Eine allgemeine Impfpflicht wird immer wahrscheinlicher
Thema der Runde war auch eine mögliche allgemeine Impfpflicht für alle in Deutschland lebenden Menschen, für die sich zuletzt auch Scholz ausgesprochen hatte. Der wahrscheinliche nächste Bundeskanzler hatte dafür plädiert, den Bundestag darüber abstimmen zu lassen und allen Abgeordneten das Votum freizustellen. Einer Umfrage des Nachrichtenportals "watson" zufolge zeichnet sich dabei eine Mehrheit ab. Von 229 befragten Abgeordneten sprachen sich 155 dafür aus, 50 Volksvertreter lehnten eine Impfpflicht ab, 24 zeigten sich noch unentschieden. In dem Beschluss des Treffens der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten heißt es dazu, die Impfpflicht könne kommen, "sobald sichergestellt ist, dass alle zu Impfenden auch zeitnah geimpft werden können, also etwa ab Februar 2022". Auch Merkel, die das lange abgelehnt hatte, sprach nun davon, die Impfpflicht sei "geboten". Bereits in der nächsten Woche soll eine Impfpflicht für das Personal etwa in Pflegeeinrichtungen vom Bundestag beschlossen werden. Die heftige Debatte über kommende Impfpflichten ist sicher auch ein Grund dafür, dass die Zahl der Impfungen jetzt täglich steigt. Am Mittwoch wurden in Deutschland fast eine Millionen Menschen geimpft.
Auch Zahnärzte und Apotheker sollen impfen
Die Runde der Kanzlerin mit den Regierungschefs der Länder beschloss außerdem, dass künftig auch Zahnärzte und Apotheker beim Impfen helfen sollen. Davon hält Wolfgang Kreischer gar nichts: "Bei Zahnärzten, auch bei Tierärzten, gehört das Impfen ja wenigstens zum Berufsbild. Bei Apothekern überhaupt nicht. Wir in den Hausarztpraxen könnten viel mehr machen, wir haben ja medizinische Fachangestellte. Nur die dürfen nicht impfen, obwohl sie dafür ausgebildet sind." Noch in diesem Jahr plant die Regierung 30 Millionen weitere Impfungen.
Scholz ruft eindringlich zum Impfen auf
Olaf Scholz, dem in den letzten Wochen vorgeworfen worden war, sich zu der dramatischen Zuspitzung der Corona-Lage in Deutschland nur sehr zurückhaltend zu äußern, wandte sich im Fernsehsender Pro Sieben am Mittwoch mit eindringlichen Worten an die Bürger: "Mir ist wichtig, dass jede und jeder, der kann, sich impfen lässt. Nur das hilft", sagte Scholz, der allein auf einem Stuhl sitzend direkt in die Kamera sprach. Er berichtete dabei auch von seinen Besuchen auf Intensivstationen und Gesprächen mit Ärzten und Pflegern. Am nächsten Mittwoch soll Scholz vom Bundestag in Berlin zum neuen Bundeskanzler gewählt werden.