Das Vertrauen in die Regierungen wächst wieder
23. März 2020Druckfrisch sind die Ergebnisse der Gallup International Association zum Corona-Virus. Mehr als 20.000 Menschen wurden in 26 Ländern weltweit zu ihrem Empfinden bezüglich der global kursierenden Epidemie befragt. Die Ergebnisse überraschen weniger in der Tatsache, dass 62 Prozent der Befragten angaben, Angst vor einer Ansteckung zu haben. Vielmehr scheint auf den ersten Blick verwunderlich, dass gleichzeitig 56 Prozent die Bedrohung für übertrieben halten. Wie passt das zusammen? Für Kancho Stoychev, Präsident der Gallup International Association, stehen die beiden Aspekte nicht im Widerspruch: "Das Virus ist real und es ist normal, dass Menschen Angst haben," so Stoychev im DW-Interview. Auf der anderen Seite existieren Viren seit dem Beginn der Menschheit. Jeder Mensch auf der Welt wisse, dass wir ständig von Viren umgeben seien. Aus diesem Grund erschienen einigen die Reaktionen auf das Virus übertrieben, sagt Stoychev.
Angst und Unsicherheit
Nichtsdestotrotz mehren sich die Opferzahlen täglich. Die Entwicklung eines Impfstoffs wird noch Monate in Anspruch nehmen. Für viele Menschen auf der Welt stellt sich nun die Frage, was passiert und wie es weitergeht. Täglich werden neue Maßnahmen verkündet. Schulen, Kindergärten und Universitäten sind geschlossen. Soziale Kontakte werden durch die Staatsmacht eingeschränkt. In ihrer außerordentlichen Ansprache am vergangenen Mittwoch sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich seit Sonntag selbst in häuslicher Quarantäne befindet, von der "größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg." Hier ist es weniger die Angst, die sich breit macht, als Unsicherheit. Das öffentliche Leben und der Alltag sind zum Stillstand gekommen.
Für Kancho Stoychev liegt die derzeitige Herausforderung im emotionalen Umgang der Menschen mit dem Virus. Angst sei Teil unserer DNA, sogar lebensnotwendig, so der Sozialforscher. Eigentlich habe sie in der Geschichte der Menschheit immer eine wesentliche Rolle gespielt. Sicherheit sei ein Phänomen der jüngeren Vergangenheit: "Insbesondere in den letzten Jahrzehnten haben wir aufgrund des Fortschritts, der Modernität usw. das Gefühl, dass das Leben sicherer wird, dass wir Dinge vorhersagen und planen können." In einer Situation wie dieser, die mit einer solchen Gewalt auf uns hereinbricht, sei es die fehlende Sicherheit, die die Menschen psychisch belaste: "Zur Zeit kann dir niemand sagen, was in einem, zwei, drei oder fünf Monaten passiert."
Balkanvölker krisenerprobter
Angst und Unsicherheit aber breiten sich laut Zahlen der Studie unterschiedlich in der Welt aus. Auch aus diesen Gründen hielten 56 Prozent der Befragten die Bedrohung durch das Corona-Virus für übertrieben, so Stoychev: "Wir wissen, dass in einigen Ländern die Krise zwei oder drei Wochen früher begonnen hat, sodass sich diese jetzt in einer anderen Phase befinden. Italien ist in einer sehr fortgeschrittenen Phase und es ist verständlich, wie die Italiener in diesem Moment reagieren. In Bosnien-Herzegowina erleben wir immer noch eine frühere Phase."
Gerade in den Balkan-Ländern, die in die Untersuchung mit einbezogen wurden, scheint sich keine Panik breitzumachen. In Bosnien-Herzegowina halten 73 Prozent der Befragten die Bedrohung durch das Virus für übertrieben, in Bulgarien 72 Prozent und in Nordmazedonien 73 Prozent. Für den Bulgaren Kancho Stoychev nicht zuletzt ein Ergebnis der bewegten Geschichte der Region: "Der Balkan ist seit Jahrhunderten ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt. An solchen Orten ist die Intensität der Geschichte deutlich höher, was bedeutet, dass man hier deutlich mehr Krisen zu bewältigen hatte." Auch die letzten 30 Jahre seien hier beispielhaft. In Bulgarien, Rumänien und den ex-jugoslawischen Ländern habe es andauernd Krisen gegeben: "In gewisser Weise sind wir an diese Art von Situation etwas mehr gewöhnt."
Deutlich wird dies im Vergleich. Die Menschen in den Ländern West-Europas empfinden die Bedrohung durch das Corona-Virus als real: Rund 70 Prozent der dort Befragten äußerten sich dementsprechend.
Regierende Machthaber profitieren
Interessanterweise zeigt die Datenerhebung aber auch, dass 76 Prozent aller Befragten durchaus dazu bereit sind, persönliche Freiheiten einzuschränken, unabhängig davon, ob sie die Bedrohung für übertrieben halten oder nicht. Ganz vorn liegen hier Österreich mit 95 Prozent, Nordmazedonien mit 94 Prozent und die Niederlande mit 91 Prozent. Am niedrigsten liegt die Befürwortung in den Vereinigten Staaten mit nur 45 Prozent. Kancho Stoychev nennt dafür die anhaltende politische Spaltung sowie "die starke demokratische Tradition" des Landes als mögliche Gründe.
Die Quintessenz der Studie aber liegt für ihn in einem anderen Punkt: "Was wir sehen, ist eine deutliche Steigerung des Vertrauens in die nationalen Regierungen. Wenn wir die Zahlen nehmen, sehen wir, dass mehr als zwei Drittel der Menschen auf der ganzen Welt begonnen haben, ihren Regierungen zu vertrauen, weil sie Angst haben." Normalerweise lägen diese Werte bei etwa 20 bis 40 Prozent. "Die politischen Eliten, die eigentlich in Ungnade gefallen waren, gewinnen in dieser Zeit, die als Beginn einer globalen Krise ohne zeitlich relevanten Vergleichsfall gewertet wird, das Vertrauen zurück. 'Allein' wird ersetzt durch 'zusammen' , 'nahe' durch 'entfernt‘' und 'global' durch 'national'."
Für Stoychev ist dies das Ende einer Zeit, in der ein globaler Markt auch die Politik dominiert: "Unsere Mentalität als Verbraucher ist es, in unserem eigenen Universum zu existieren. Wir können einkaufen, tun und reisen, was und wohin wir wollen. Die derzeitige Krise bricht diese Illusion. Am Ende des Tages sehen wir: Menschen sind kollektive Wesen. Und wenn es um global und national geht: National ist auch kollektiv, es bedeutet zusammen, aber nicht auf globaler Ebene." Dennoch sieht er angesichts zahlreicher Solidaritätsbekundungen von Seiten Tausender Menschen auch eine Chance: "Solche Situationen vereinen Menschen. Grundsätzlich gibt es im Leben zwei Strategien, wenn man vor einem ernsthaften Problem steht. Die eine ist, es auf eigene Faust zu versuchen, und die andere, mit anderen Menschen zu gehen. Zum Schluss fährt man mit der Gemeinschaft immer am besten."