Corona: Schub für digitalen Unterricht
14. April 2020Ramón ist neun Jahre alt, lebt in der Provinz Buenos Aires und ist im März in die vierte Klasse der Grundschule gekommen. Nur eineinhalb Wochen nach Beginn des Schuljahres wurde der Unterricht wegen der Ausbreitung des Coronavirus unterbrochen. Seitdem erhält er Aufgaben, die er zu Hause erledigen muss.
Ramón ist einer von mehr als 156 Millionen lateinamerikanischen Schülern, die von der Unterrichtssperre betroffen sind, so das UNESCO-Regionalbüro für Lateinamerika . Diese Zahl umfasst auch "alle Studenten der universitären und technischen Ausbildung und der Berufsausbildung. Mit anderen Worten, alle formalen Bildungsebenen", so Mary Guinn Delany, Leiterin des Bereichs Gesundheit und Erziehung im UNESCO-Regionalbüro in Santiago de Chile.
Sonia, Ramóns Mutter, fühlt sich manchmal überfordert mit den Hausaufgaben, die ihr Sohn durch eine die App SM Educamos erhält. "Sie schicken uns Aufgaben für Englisch, Spanisch und Videos. Wenn wir etwas nicht verstehen, können wir uns mit der Schule über einen Chat unterhalten. Und wir haben auch eine Gruppe von Müttern, die sich gegenseitig unterstützen", sagt Sonia gegenüber der Deutschen Welle.
Kann man digitalen Unterricht einfach gegen die Ausbildung im Klassenzimmer tauschen? "Im Moment ist es von grundlegender Bedeutung, auch wenn es den traditionellen Unterricht nicht vollständig ersetzt. Hinzu kommt, dass nicht alle Lehrer bereit sind, in diesem Rahmen zu arbeiten, und die Bildungssysteme haben diese Programme bisher nicht regelmäßig angewandt. Das mitten in einer Notsituation einzuführen, ist kompliziert", räumt Ariel Fiszbein, Leiter des Bildungsprogramms des Think-Tanks Inter-American Dialogue in Washington, gegenüber der DW ein.
Digitale Bildung als Notlösung
Gabriel und Joaquin sind neun und vier Jahre alt und leben in Santiago de Chile. Das Schuljahr begann am 4. März, aber der Unterricht wurde nur zwölf Tage später unterbrochen. Sie erhalten von ihren Lehrern Hausaufgaben, und in den vergangenen Tagen hat die Schule mit der Videokonferenzplattform Zoom experimentiert. "Auf diese Weise konnten sowohl meine Söhne als auch wir Eltern kurz mit den Lehrern sprechen, und sie haben Lerneinheiten in kleinen Gruppen durchgeführt", sagt Patricio, der Vater. Dabei werden diese digitalen Kommunikationswege in der Fernarbeit längst genutzt - sie auch im Bildungswesen anzuwenden, wird nun von der Corona-Krise beschleunigt.
Milagros ist 17 Jahre alt, lebt in Montevideo und befindet sich in ihrem letzten Jahr am Gymnasium. Im allgemeinen ist sie mit dem Einsatz von Zoom, das ihre Schule anbietet, zufrieden. Sie glaubt aber, dass ihre Leistung "um 80 Prozent" gegenüber dem normalen Unterricht mit einem Lehrer gesunken ist.
"Manchmal gibt es keine klaren Konzepte und wir können nicht alle teilnehmen, da wir eine große Klasse sind und da keine echte Diskussionsatmosphäre aufkommt. Außerdem ist man zu Hause entspannter, hat das Handy neben sich liegen, und kann nicht so gut zwischen Freizeit und Unterricht trennen", sagt die Schülerin.
Die Krise vertieft die soziale Ungleichheit
Das größte Problem ist, dass nicht alle Kinder den gleichen Zugang zum Internet und zu Computern haben. Den Experten Ariel Fiszbein beunruhigt vor allem, dass die Krise die soziale Ungleichheit vertiefen wird: "Schülerinnen und Schüler aus Familien mit niedrigen Einkommen, in denen auch die Eltern ein niedrigeres Bildungsniveau haben, werden die Verlierer dieser Krise sein."
Andererseits glaubt der Bildungsexperte, dass "die meisten Bildungsministerien in der Region erhebliche Anstrengungen unternehmen, um den Unterricht im eigenen Land aufrechtzuerhalten". Darüber hinaus lobt er "das starke Engagement der Lehrer", das in sozialen Netzwerken spürbar sei. Jedoch wären die Schulsysteme auf eine solche Situation nicht gut vorbereitet: "Wenn die Schulschließungen länger dauern, können die Auswirkungen erheblich sein, mit starken sozialen Verschiebungen zwischen wohlhabenden und ärmeren Haushalten."
Digitale Kommunikation: Gekommen, um zu bleiben
Alegria ist Lehrerin für Literatur an einer Privatschule in Quito, die Schüler aus wohlhabenden Familien besuchen. Sie unterrichtet 16-Jährige und erzählt stolz, dass ihre Schule sehr aktiv am digitalen Unterricht teilnehmen.
"Wir nutzen eine internationale Plattform namens Schoology. Das ist ein Kommunikationsinstrument, das wir bereits vor der Pandemie eingesetzt haben. Während des landesweiten Streiks im vergangenen Oktober mussten wir improvisieren, weil eine Woche lang kein Unterricht stattfand. Jeden Tag senden wir Aufgaben über Schoology."
Die Plattform ermöglicht, die Jugendlichen täglich zwei Stunden per Video zu unterrichten. "Der Schüler braucht nicht nur Informationen, sondern auch emotionale Nähe zum Lehrer. Die Werkzeuge erlauben das und es macht einen großen Unterschied", sagt Alegria. Sie glaubt, dass digitale Anwendungen in der Bildung eine große Zukunft haben werden.
Davon ist auch Fieszbein überzeugt, der bekräftigt, dass die gegenwärtige Situation eine echte Debatte anstoßen kann, die zu einer Modernisierung des Bildungswesens und einer stärkeren Nutzung von neuen Technologien führt. Fieszbein ist zuversichtlich: "Die aktuelle Krise zeigt uns, dass Bildungstechnologien kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit sind."