Corona: Stufenplan – Hoffnungsschimmer für Deutschland?
13. Februar 2021Der Plan, der Deutschland in der Corona-Pandemie endlich wieder eine Perspektive geben soll, ist neun Seiten lang und hat vier Spalten, 23 Zeilen und 92 Kästchen in den Farben grau, gelb und weiß. Er teilt die Gesellschaft in verschiedene Lebensbereiche ein wie Schulen, Gastronomie und Kultur und die Infektionslage in Inzidenzen über 100, unter 100, unter 50 und unter 35.
Liegt der Inzidenzwert über 100 oder auch zwischen 100 und 50, muss die Gastronomie zum Beispiel geschlossen bleiben, möglich ist dann nur ein Außer-Haus-Verkauf. Sinkt die Inzidenz eine Woche lang unter 50, dürfen die Restaurants mit einem Hygienekonzept und halber Gästezahl öffnen, bleibt der Inzidenzwert drei Wochen unter dem neuen bundesweiten Richtwert 35, wird auch die Sperrstunde aufgehoben.
Für die Kritiker ist er ein realitätsferner Vorschlag, der wegen der Corona-Mutationen schneller wieder in der Schublade verschwinden wird als er herausgeholt wurde, für die Befürworter ein verbindlicher Fahrplan, ein Strategiewechsel und vor allem eine dringend benötigte Motivationsspritze für die erschöpfte Bevölkerung. Und ein Modell, das schon seit vielen Jahren in der Seuchenbekämpfung gang und gäbe ist.
Reaktionen auf den Stufenplan in Schleswig-Holstein positiv
Dirk Schrödter ist der Mastermind des Stufenplans von Schleswig-Holstein, der vom Landtag bereits abgesegnet wurde. Der Chef der Staatskanzlei hat wochenlang über der Tabelle gebrütet, ist mit Infektionskurven, Lockerungs- und Schließungsmaßnahmen der vergangenen Monate eingeschlafen und mit Anrufen von Virologen, Kinderärzten und Ökonomen wieder aufgewacht.
"Als wir unseren Stufenplan hier im Land vorgestellt haben, waren die Rückmeldungen unheimlich positiv. Die Menschen haben gesagt, toll, dass ein Plan vorliegt, Klarheit, damit wissen wir endlich, woran wir sind", sagt der CDU-Politiker. "Rein psychologisch ist das ein Riesenvorteil, das Hangeln über einen Zeitraum von 14 Tagen ist, glaube ich, nicht hilfreich."
"Eine gute Blaupause für die gesamte Bundesrepublik"
Als Schrödter im Volkswirtschaftsstudium in Potsdam Statistik-Seminare belegte, hätte er sich nicht träumen lassen, dass diese ihm 20 Jahre später enorm hilfreich sein würden. Der 42-Jährige ist jemand, der sich stundenlang damit beschäftigen kann, wenn eine Infektionskurve einen ungewöhnlichen Verlauf nimmt, und der erst Ruhe gibt, wenn er das Rätsel entschlüsselt hat.
Dirk Schrödter sagt von sich selbst, er habe schon immer eine gewisse Affinität zu Zahlenreihen gehabt. Und vielleicht war er genau deswegen der Richtige, um ein Corona-Stufenmodell für die knapp drei Millionen Einwohner des nördlichsten Bundeslandes zu entwickeln.
"Ich glaube, wir haben mit diesem Stufenplan eine gute Blaupause für die gesamte Bundesrepublik entworfen, wie man anhand von Kriterien auch regional unterschiedlich vorgehen kann. Das ist ja der Charme", sagt der Chef der Staatskanzlei von Schleswig-Holstein.
Schleswig-Holstein lockert, Hamburg meckert
Weil der Inzidenzwert in Schleswig-Holstein aktuell bei 61,5 liegt, öffnet das Bundesland am 22. Februar Grundschulen und Kitas, am 1. März Zoos, Wildparks, Gartenbaucenter und Blumenläden – genauso, wie es der Stufenplan vorsieht. Doch was in Schleswig-Holstein für Aufatmen sorgt, ruft im benachbarten Bundesland Hamburg die Kritiker auf den Plan.
Die zweite Bürgermeisterin der Hansestadt, Katharina Fegebank von den Grünen, kritisierte die Lockerungen scharf und warnte vor einem unterschiedlichen Vorgehen der Länder, um nicht "wieder in so eine Art Lockerungskakophonie" zu kommen. Schrödter entgegnete, Hamburg habe die Entscheidung aus Schleswig-Holstein gekannt.
Erneuter Flickenteppich – einige Bundesländer für Stufenpläne, andere dagegen
Ein Stufenmodell für ganz Deutschland dürfte nur dann erfolgreich sein, wenn alle Bundesländer es einführen und es möglichst einheitlich ist. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass ein weiterer Flickenteppich entsteht.
Bisher haben neben Vorreiter Schleswig-Holstein nur Niedersachsen und Thüringen einen Stufenplan ausgearbeitet. Ausgerechnet die bevölkerungsreichsten Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Bayern haben ein solches Modell dagegen jetzt schon kategorisch ausgeschlossen, sie wollen weiter "auf Sicht fahren".
Anfang März nächster Corona-Gipfel
Schrödter hofft trotzdem weiter auf ein bundeseinheitliches Modell und baut darauf, dass bis zum nächsten Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten am 3. März weitere Bundesländer nachziehen. Gleichzeitig weiß er, dass Schleswig-Holsteins Stufenplan immer wieder nachjustiert werden muss, wegen möglicher Mutationen, dem Stand bei den Impfungen oder der Auslastung der Intensivbetten in den Krankenhäusern.
"Wir sind in einer Pandemie und lernen jeden Tag neu. Wenn sich neue Erkenntnisse ergeben, muss man das Modell natürlich auch anpassen", sagt Dirk Schrödter. "Aber schon jetzt ist dieser Stufenplan ein Riesenerfolg. Weil wir zum ersten Mal über die nächste Konferenz hinausschauen und eine Perspektive geben."
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte übrigens in Berlin, er halte die Öffnung des Einzelhandels in den Bundesländern auch vor dem 7. März für möglich, wenn die Infektionszahlen dauerhaft unter einer Inzidenz von 35 liegen. Dieser Wert müsse drei bis fünf Tage unterschritten sein. Es scheint also, als sei auch die Bundesregierung den Stufenplan-Modellen nicht völlig abgeneigt.