Bayerns Grenzgebiete im Winterschlaf
14. Februar 2021Der weiße Pulverschnee glitzert in der Sonne. Eiskristalle rieseln von den Tannen. Sanfte Hügel. Auf den Kirchtürmen barocke Zwiebeldächer. Das dünn besiedelte Fichtelgebirge im Nordosten Bayerns sieht an diesem Morgen aus wie aus einem Werbeprospekt für Winterurlaub.
Doch die Wirklichkeit ist anders. Die Landkreise direkt an der tschechischen Grenze ächzen unter hohen Corona-Infektionszahlen. Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 300 Infektionen pro 100.000 Einwohner nehmen sie bundesweit einen Spitzenplatz ein.
Auf der andere Seite der Grenze liege die Inzidenz bei über 1000, gibt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zu bedenken, der am ersten Tag der Abriegelung zum Grenzübergang Schirnding gekommen ist.
"Direkt an der Grenze haben wir diese 'Hotspots'. Wir mussten reagieren", sagt Markus Söder. "Wir können nicht zulassen, dass unsere bisherigen Maßnahmen sinnlos werden. Deshalb sind auch Zurückweisungen nötig, die streng gehandhabt werden müssen."
Seit Mitternacht dürften nur noch Menschen, die Grenze überqueren, die Lkw fahren oder im medizinischen Bereich oder in unbedingt notwendigen Unternehmen arbeiten. Sie alle müssen einen negativen Corona-Test vorweisen können.
Etwa 2000 Menschen wurden am ersten Tag mit den neuen Regeln an den bayerischen Grenzübergängen abgewiesen, Mehre Tausend durften einreisen, berichtet die Bundespolizei. Die gleichen scharfen Maßnahmen gelten auch an der bayerischen Grenze zum österreichischen Bundesland Tirol und zwischen Sachsen und Tschechien.
Eine leitende Beamtin der bayerischen Grenzpolizei meint in Schirnding, dass der Betrieb reibungslos läuft, am Montag, wenn der Berufsverkehr und der Lkw-Gütertransport wieder einsetzen, könne es allerdings Staus geben. Die Kälte mache den Beamten der Polizei bei ihren Schichten rund um die Uhr natürlich zu schaffen.
"Ich habe noch Glück"
Bei Minus 15 Grad Celsius, die trotz Sonnenschein am Sonntag in Schirnding gemessen werden, hat Milan aus Cheb in Tschechien eine Stunde vor dem Corona-Zentrum auf seinen Test gewartet und gebibbert. Milan arbeitet in einem Gemüse-Großmarkt in Bayern und gilt deshalb als systemrelevanter Arbeitnehmer.
"Ich habe Glück gehabt. Viele Bekannte in anderen Branchen müssen zuhause bleiben und verdienen nichts mehr", sagt Milan. Allerdings muss er jetzt jeden Tag zwei Corona-Tests machen, einen bei der Einreise am Morgen, einen bei der Heimfahrt am Abend.
"Ich hoffe, dass dieser Zustand nicht so lange andauert. Aber bei uns in Tschechien ist es schlimm, weil niemand genau weiß, wie es weitergeht." Der tschechische Pendler weist auf den Beschluss des Parlaments in Prag hin, den Corona-Notstand nicht über den heutigen Sonntag hinaus zu verlängern, trotz der Verbreitung der britischen Corona-Variante im Land. Damit der Lockdown nicht schlagartig endet, hat die Minderheitsregierung in Tschechien den Notstand um 14 Tage verlängert, weil die regionalen Behörden darum gebeten hatten. Wie effektiv diese Regelung ist, bleibt unklar.
Kritik an den Nachbarn
Der bayerische Ministerpräsident Söder kritisiert sowohl Tschechien als auch die Landesregierung von Tirol, die seiner Ansicht nach zu lax mit der Corona-Gefahr umgingen. Das mutierte Virus will Söder so gut wie möglich draußen halten.
Er gesteht aber ein, dass es auch in den bayerischen Grenzregionen längst verbreitet ist. "Wer die Sorge vor dem Virus jetzt ausblendet, der versündigt sich", meint Söder. Bei den Partnern auf der anderen Seite der Grenzen fehle "die nötige Ernsthaftigkeit", moniert der Regierungschef.
Und auch auf Europa ist er nicht gut zu sprechen. Die EU werde von den Grenzkontrollen nicht untergehen, so Söder. Die EU-Kommission solle sich lieber um Impfstoff kümmern und ihn und andere regionale Politiker die Aufgaben an den Grenzen erledigen lassen. Ein Sprecher der EU-Kommission hatte Deutschland am Freitag ermahnt, sich an die Beschlüsse zahlreicher EU-Gipfel zu halten, Maßnahmen abzustimmen und Grenzen im Schengenraum möglichst offen zu halten.
In Schirnding, Tirschenreuth und Wunsiedel, kleinen Städtchen in der Grenzregion, ist man nicht ganz so entschlossen wie der Chef der Staatsregierung im fernen München. Der Landrat des Kreises Wunsiedel, Peter Berek, sagt, die neuen Regeln würden erhebliche Probleme bereiten.
"Wir müssen Unternehmen jetzt sagen, ihr seid nicht systemrelevant. Bei Euch geht es nicht. Das wird sehr schwierig." Trotzdem sei es richtig, noch einmal zu verschärfen. Zwar wurden bisher nur fünf Prozent der Pendler positiv auf das Corona-Virus getestet, aber in 64 Prozent dieser Fälle soll bereits die britische Virus-Variante für die Ansteckung verantwortlich sein. "Deshalb müssen wir jetzt handeln."
Landrat Peter Berek ist auch der Präsident der EU-Regio, eines Zusammenschlusses von Kommunen auf beiden Seiten der Grenze. Was sich da in Tschechien abspiele, sei schon eine Art Staatsversagen.
"Die Menschen können nichts dafür, aber man kann jetzt nicht alles öffnen da drüben bei einer Inzidenz von über 1000", kritisiert Landrat Berek am Grenzübergang. "Ich hoffe, dass wir in der Grenzregion schnell zu der Zusammenarbeit zurückfinden können, die uns eigentlich auszeichnet."
"Wir fahren auf Sicht"
Die Unternehmen in der Region Oberpfalz, die rund 5000 Pendler aus Tschechien beschäftigen, sind unglücklich über die Entwicklung. Das Gastgewerbe, in dem viele Tschechen traditionell arbeiten, liegt auf Eis.
"Aber im produzierenden Gewerbe brauchen wir jetzt und heute diese Mitarbeiter dringend", meint Florian Rieder, der Chef der Industrie- und Handelskammer Oberpfalz. Die tschechischen Pendler nehmen einiges auf sich, um doch arbeiten zu können.
Etliche würden jetzt in Deutschland in Pensionen oder Hotels wohnen, andere würde riesige Umwege fahren oder ständig Test über sich ergehen lassen. Die Wirtschaftsunternehmen sähen ja ein, dass gegen die Virus-Varianten irgend etwas unternommen werden müsse, so IHK-Chef Florian Rieder, aber das könne man nicht einfach so übers Wochenende beschließen.
"Wir bräuchten schon ein paar Tage Vorlauf." Wie lange die Grenzschließung dauern soll, habe man ihm von staatlichen Stellen nicht angedeutet. "Wir fahren wie immer in dieser Pandemie auf Sicht."
Prognosen konnte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nicht abgeben. "Wir werden das so lange machen, wie es nötig ist", sagte er am Grenzübergang auf entsprechende Fragen. Es habe keine Sinn, jetzt schon zu spekulieren, weil niemand wisse, wie schnell sich die Infektionszahlen senken ließen.
Während Söder am Mittag in seiner geheizten Staatskarosse wieder davon fährt, ist das Thermometer in Schirnding immerhin auf Minus 5 Grad geklettert. "Das Virus, die Kälte, der Lockdown. Wir sind hier echt im Winterschlaf", meint eine Bundespolizistin. "Wann wachen wir wieder auf?"