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Politik

Wenn Zuhause zum Schreckensort wird

Alasdair Lane Ehl
14. April 2020

Die Ausgangsbeschränkungen lassen Opfern häuslicher Gewalt keinen Ausweg. In Großbritannien registrieren Helfer, dass sich wesentlich mehr Frauen bei ihnen melden. In einem Hilferuf wenden sie sich an die Regierung.

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Großbritannien | Häusliche Gewalt nimmt zu
Bild: Julian Nieman

Bleibt zu Hause - das ist in Großbritannien wie im Rest der Welt das Gebot der Stunde, damit sich weniger Menschen mit dem Coronavirus infizieren. Aber für Hunderttausende britischer Frauen bedeutet "Zuhause" ein Ort, an dem sie anderen Bedrohungen ausgesetzt sind.

"Sein emotionaler und verbaler Missbrauch verstärkt sich, je länger wir isoliert sind. Ich habe Angst, das mental nicht zu überstehen", zitiert die Hilfsorganisation SafeLives eine Frau. "Während der Ausgangsbeschränkungen sind wir gefangen, und er kann jeden Moment auftauchen", schreibt eine andere. "Ich muss mich in mein Auto setzen, um sicher zu sein", berichtet eine dritte Frau.

Liz Thompson, die Pressesprecherin von SafeLives, sagt: "Offensichtlich spüren die Menschen den Druck, zu Hause isoliert zu sein und sich verletzlich zu fühlen." Ihre Organisation wolle die Menschen erinnern, dass sie nicht alleine sind: "Hilfe und Unterstützung sind da."

Die Herausforderung wächst

Organisationen gegen Partnerschaftsgewalt in Großbritannien arbeiten dieser Tage besonders hart, um ihre Hilfsangebote aufrecht zu erhalten. Das erweist sich unter den allgegenwärtigen Einschränkungen als immer schwerer.

Therapien und Beratungssitzungen - buchstäblich lebenswichtig für viele Opfer häuslicher Gewalt - können wegen der Abstandsregelungen nicht mehr wie gewohnt stattfinden. Als Notlösung bieten einige Stellen Online-Alternativen an. Thompson gibt jedoch zu bedenken: "Nichts kann ein physisches Treffen ersetzen."

Großbritannien | Häusliche Gewalt nimmt zu
Viele Hilfsorganisationen mussten ihr Angebot wegen der Ausgangsbeschränkungen reduzierenBild: Julian Nieman

Um ein besseres Bild zu bekommen, wie die Unterstützung der betroffenen Frauen in Corona-Zeiten funktioniert, hat SafeLives während der ersten Tage der Ausgangsbeschränkungen mehr als 100 Hilfsorganisationen befragt. Drei Viertel von ihnen gaben an, sie hätten ihre Angebote reduziert. Beratungen aus der Ferne hielten viele für wenig hilfreich.

"Telefongespräche sind nicht ausreichend, um die Umstände und Risiken einer Person zu evaluieren", sagt eine Vertreterin einer Beratungsstelle. "Viele unserer Klienten haben Angst, das Telefon zu nutzen und haben teils nicht die notwendige Privatsphäre und Sicherheit." Eine andere Vertreterin befürchtet, dass die Ausgangsbeschränkungen auch auf ihr Team negative Auswirkungen haben könnte: Sie fürchtet Burnout und indirekte Traumatisierung, also wenn ihre Angestellten sich so sehr in die Situation ihrer Klientinnen hineinversetzen, dass sie das Trauma selbst durchmachen.

Trotz aller Widrigkeiten ist Hilfe für die betroffenen Frauen gerade so wichtig wie selten zuvor. Die landesweite Hotline für Opfer häuslicher Gewalt, häufig die erste Anlaufstelle für die Betroffenen im Vereinigten Königreich, vermeldet deutlich mehr Hilfsgesuche. Allein vom 5. auf den 6. April klingelten die Telefone um 20 Prozent häufiger.

Ökonomischer Missbrauch

"Das Zeitfenster, in dem Frauen mit einem gewalttätigen Partner eine Hilfshotline anrufen können, ist schon in normalen Zeiten sehr klein", sagt Sandra Horley, Leiterin der Organisation Refuge, die die Hotline anbietet. "Gerade scheint dieses Zeitfenster noch kleiner zu sein."

Wenn Frauen sonst etwa auf dem Weg zur Arbeit die Hotline anrufen, bekommt ihr aggressiver Partner davon nichts mit. Weil die Mobilität eingeschränkt ist, sind jetzt aber auch die üblichen Wege vieler Anruferinnen, ihren Peinigern zu entgehen, versperrt.

Die momentanen Einschränkungen begünstigen noch eine weitere Form der Partnerschaftsgewalt: ökonomischen Missbrauch. Experten warnen, dass die Peiniger in einer solchen Zeit massiver finanzieller Unsicherheit die Krise ausnutzen könnten, um Zugang zu den Ersparnissen ihrer Partnerin zu erhalten, was diese stärker in eine ökonomische Abhängigkeit treibt.

Dabei wälzen sie nicht selten die Erziehung der Kinder auf die Frau ab. Die Situation der Kinder während der Pandemie ist für Liz Thompson von SafeLives ein wichtiges Thema: "Wir hören immer wieder, dass die Täter das Virus als Vorwand nutzen, um dem anderen Elternteil oder Sozialdiensten den Kontakt zu den Kindern verwehren."

Symbolbild - Häusliche Gewalt
Häusliche Gewalt in Zeiten von Corona: Viele betroffene Frauen sind ihren gewalttätigen Partnern mehr denn je ausgeliefertBild: picture-alliance/empics/D. Lipinski

Angesichts solcher Schwierigkeiten ist es entscheidend, dass Opfer wissen, wo sie Hilfe suchen können. Notunterkünfte bleiben im Vereinigten Königreich trotz Corona weiter offen, und auch die Polizei ist weiterhin zum Einschreiten bereit, wenn akute Fälle häuslicher Gewalt gemeldet werden. "Wenn Sie akut bedroht werden, rufen Sie nach wie vor 999 an und wir kommen, um zu helfen", sagt Polizistin Louisa Rolfe von dem National Police Chiefs' Council.

Mehr Geld, mehr Hilfe

Einige Einsatzkräfte suchen neue Wege, um den zusätzlichen Bedrohungen zu begegnen, denen Opfer wegen der Ausgangsbeschränkungen ausgesetzt sind. In der nordenglischen Grafschaft Cumbria setzt die Polizei auf Postboten und Paketlieferanten, die Ausschau nach Zeichen von Missbrauch halten sollen. Andere Dienststellen haben Betroffene aufgefordert, mit Nachbarn oder Freunden Codewörter zu vereinbaren, um im Notfall diskret Alarm schlagen zu können.

Diese Maßnahmen könnten Leben retten - aber angesichts von immer mehr Menschen, die Hilfe ersuchen, ist eine umfassendere Strategie gefragt. Hilfsorganisationen haben die Regierung in einem Brief dringend um eine Finanzhilfe gebeten, damit sie die Flut an Hilfsgesuchen bewältigen können. Sie fordern auch, die Öffentlichkeit stärker zu Gewalt gegen Frauen zu sensibilisieren. Doch viele fürchten, dass auch mit dieser Unterstützung die Partnerschaftsgewalt weiter zunimmt, solange die Ausgangssperren andauern - und dass wie so oft die Schwächeren während der Pandemie den höchsten Preis zahlen.