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Politik

Polen: Opposition ruft zum Wahlboykott auf

30. März 2020

Der amtierende Präsident Duda führt in den Umfragen und könnte wiedergewählt werden. Die Regierungspartei PiS will trotz Coronakrise am angesetzten Termin im Mai festhalten. Kritiker sehen darin einen Verfassungsbruch.

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Polen: Parlamentsgebäude in Warschau
Parlamentsgebäude in WarschauBild: Imago/R. Unkel

Die Szenen im polnischen Parlament in der Nacht zum Samstag (28.03.) erinnerten wieder an die vielen Schnellverfahren und die juristischen Tricks, mit denen in den letzten Jahren die umstrittene Justizreform durchgedrückt wurde. Wieder wurde den Abgeordneten keine Zeit gelassen, sich in detaillierte Änderungsvorschläge zu den Gesetzen einzulesen. Wieder wurden sie kurzfristig mit Themen konfrontiert, die nicht auf der Tagesordnung standen.

Nach der ersten Lesung der Krisengesetze für die Corona-Zeiten, die auch von einem großen Teil der Opposition unterstützt wurden, hat die national-konservative PiS-Regierung um zwei Uhr nachts 79 Seiten mit Änderungsvorschlägen vorgelegt. Darunter befanden sich auch Änderungen des Wahlgesetzes, das ursprünglich gar nicht zum Krisenpaket gehörte. Danach sollte allen Polen in Corona-Quarantäne und den über 60-Jährigen ermöglicht werden, per Briefwahl abzustimmen. Die Opposition protestierte gegen das Einbringen von Änderungen zu einem Gesetz, das nicht auf der Tagesordnung gestanden hatte. Doch zwei Stunden später wurden die Änderungen zusammen mit dem ganzen Krisenpaket von der PiS-Mehrheit abgesegnet.

Ein Verfassungsbruch

Laut Doktor Ryszard Piotrowski von der juristischen Fakultät der Warschauer Universität sei der Versuch der PiS, die Wahlordnung kurz vor den Wahlen zu ändern, ein "Attentat auf die Bürgerrechte, das zur Verbreitung des Corona-Virus führen wird", wie er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Polska Press sagte. "Das Ziel dieses Vorgehens ist es, die Präsidentschaftswahlen zum geplanten Termin (am 10. Mai) zu organisieren. Das steigert das Gesundheitsrisiko für die Wähler", meint er und erinnert an das in Polen geltende Verbot von Versammlungen über zwei Personen. Wegen der Epidemie müsste eigentlich schon längst ein Ausnahmezustand ausgerufen werden, doch gerade das versucht die PiS zu vermeiden, weil im Ausnahmezustand keine Wahlen stattfinden könnten.

Die polnische Verfassung sagt, dass das Wahlrecht nicht später als 6 Monate vor der Wahl geändert werden darf. Die kurzfristige Initiative der PiS sei laut Piotrowski ein eindeutiger Verfassungsbruch. Außerdem dürfe man den Abgeordneten die Änderungen eines Gesetzes nicht in letzter Minute in die Hand drücken, sie müssten sie 14 Tage vor der Debatte bekommen. Das Parlament verfüge zwar über Eilverfahren, doch die würden nicht für die Wahlordnung gelten. In diesem Falle habe die PiS also auch gegen die Parlamentsordnung verstoßen, so Piotrowski.

Die Mehrheit will Wahlen verschieben

Andrzej Duda
Amtsinhaber Andrzej Duda führt in den Umfragen mit knapp 50 ProzentBild: Reuters/Agencja Gazeta/D. Zuchowicz

Laut Umfragen sind 70 Prozent der Polen gegen die Abhaltung der Präsidentschaftswahlen zum geplanten Termin. Über 150.000 Personen haben die Onlinepetition dafür unterschrieben. Die Kandidatin der größten Oppositionspartei, Malgorzata Kidawa-Blonska, rief die Bürger zum Wahlboykott auf, falls die Regierung am geplanten Termin festhalte: "Wenn es nicht anders geht, sollte man auf die Verantwortungslosigkeit der Regierenden mit einem allgemeinen Boykott antworten." Die Wahlen während der Pandemie zu organisieren, sei "geradezu verbrecherisch", sagte sie.

Die Bürgermeister vieler Städte erklären sich nicht bereit, die Briefwahlen zu organisieren. Es müssten Hunderttausende zusätzliche Wahlhelfer benannt und geschult werden. Die persönliche Lieferung von Briefwahlunterlagen würde das Gesundheitsrisiko nur erhöhen. Der Bürgermeister von Breslau, Jacek Sutryk, erklärte, er könne nicht genug Wahlhelfer finden und auch niemanden zur Arbeit in den Wahllokalen zwingen. Die Pläne der PiS kommentierte er ausdrucksvoll: "Ich hoffe, dass sie uns nur zu den Wahlurnen und zu keinen anderen Urnen schicken werden".

Der Abbau der Demokratie

Für den Ex-Verfassungsgerichtspräsidenten Jerzy Stępień sei das Vorgehen der PiS "ein weiterer Ziegelstein beim Aufbau einer Diktatur in Polen". Er sieht dies als Teil der 2015 eingeleiteten Umstrukturierung des Justizwesens unter der PiS-Regierung, die eine Aushöhlung der Rechtsstaatsprinzipien zur Folge hätte. Ein weiterer Grund für die Verschiebung der Wahlen ist für die Kritiker die Einstellung des Wahlkampfes. Während die meisten Politiker von zu Hause arbeiten und die Oppositionskandidaten keine Veranstaltungen abhalten, reist Präsident Andrzej Duda durchs Land und hat das PiS-treue Staatsfernsehen zur Verfügung. Laut jüngsten Umfragen liegt Duda mit knapp 50 Prozent weit vorne in der Gunst der Wähler.

Wahlen möglicherweise ungültig

Wenn die Wahlen doch am 10. Mai stattfinden, wären sie laut Professor Jerzy Stępień nicht gültig. Formal als ungültig können sie aber nur von der Kontrollkammer des Obersten Gerichts erklärt werden, die derzeit von PiS-treuen Richtern besetzt ist.

Am Montag und Dienstag soll die obere Parlamentskammer, der Senat, über das Krisenpaket und die Wahlordnung diskutieren. Zwar hat hier die PiS keine Mehrheit, doch die Änderungsvorschläge des Senats gehen zurück zum Sejm, dem Unterhaus, wo sie mit einfacher Mehrheit abgelehnt werden können.

Die Regierung zeigt sich bislang von der Kritik unbeeindruckt. Doch nach den nächtlichen Auseinandersetzungen im Parlament hat Präsident Duda die Verschiebung der Wahlen im staatlichen Fernsehen ins Spiel gebracht: "Wenn die Epidemie weiter wütet, kann dieser Wahltermin sich möglicherweise als unhaltbar erweisen."

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau